Auf dem Weg: Irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern, 2014Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte

Auf dem Weg Mecklenburg-Vorpommern

Kindheit. Traum oder Alptraum? Frei und unbeschwert, mit Fantasie und Spielfreude, immer neue Welten entdecken? Kenne ich noch diese unscharfen, emotional aufgeladenen Erinnerungen? Dort ist doch eigentlich der Ursprung von alldem, was einen heute bewegt und definiert. Damals in Bayern, herrlich, die Berge, die grünen Landschaften und die pastellenen Farben von München.

Mit der Schule war es eigentlich vorbei mit der unbeschwerten Heiterkeit. Brutale Kämpfe um Anerkennung, steile, unerbittliche Hierarchien in der Klasse. Herr der Fliegen. Das war meine Schulzeit. Um so ernster erschien mir folgendes Szenario, das ich für das SZ-Magzazin aus München begleiten und fotografieren sollte. Ein Schulprojekt der Freien Evangelischen Schule Mitte: Sechs Jungs und ein Mädchen, alle ungefähr zwölf Jahre, müssen auf sich allein gestellt, drei Wochen in Brandenburg und Mecklenburg zurecht kommen. Budget: 150 Euro für alle. Das Chaos vor Augen, packte ich meinen Rucksack, lieh mir Zelt und Isomatte und fand mich rechtzeitig zur Abreise am Berliner Hauptbahnhof ein.

Drei Wochen war ich mit Luna, Jakob, Francis, Joni, Bruno, Ben und Fabian unterwegs und war ihnen völlig ausgeliefert. Es ging in vier Kanus die Seen um Fürstenberg hinauf und hinunter. Mal paddelten wir ein kurzes Stück, nachdem bis mittags Fußball gespielt worden war. Einen anderen Tag irrten wir ewig durch Mecklenburgischen Urwald. Häufig mussten wir im Dunkeln unsere Zelte aufbauen. Nahezu jeder Tag begann mit Instant-Milch und Haferflocken und endete mit halb rohen, oft mit Erde garnierten Nudeln. Einen heißen, sonnigen Nachmittag lang trieben wir eine gefühlte Ewigkeit auf dem Wasser.

Keiner fand mehr die Kraft eine Entscheidung zu treffen, wohin wir weiter paddeln sollten.
Langsam wurden alle immer roter im Gesicht. Panik machte sich breit. Ein anderes Mal, schon seit Tagen völlig durchgeweicht vom Regen, gerieten wir auf dem Großen Stolpsee in einen heftigen Schauer. Es war hart, aber die Kinder waren härter. Und noch dazu war alles ganz anders, als ich es mir ausgemalt hatte. Als eines der Kinder nicht mehr weiter konnte, das Heimweh zu groß wurde, das ständige Herumirren zu schlimm, wollte er abbrechen. Aber von Härte keine Spur. Alle waren sie für ihn da.

Weinend saß Ben eines Abends am Rand des Sees, als ihn wieder einmal die Verzweiflung übermannte. Bruno stand etwas abseits. Er rief: „Bald haben wir die Hälfte geschafft. Dann kannst du stolz auf dich sein. Auch Zuhause werden sie stolz auf dich sein. Nach der Hälfte wird die Zeit immer kürzer, bis wir wieder Zuhause sind.“ So wurde Ben von den Anderen gestützt. Alle standen ihm auf ganz unterschiedliche Weise, aber immer als Gruppe, solidarisch bei. Natürlich war es auch für die Anderen schwer.

Im Mondschein, beim Zelt aufbauen, musste auch Bruno seufzen. Nicht nur Ben hatte Heimweh. Alle mussten sich zusammenreißen. Bens Ausbrüche machten es noch schwerer für die Gruppe. Aber sie hielt die Belastung aus und zusammen. Sind es die Schule, die aufgeklärten Eltern oder haben sich doch die Zeiten geändert? Keine Spur vom Fatalismus meiner Schulzeit. Am Ende fühlte ich mich in der Gruppe sogar aufgehoben und akzeptiert. Am letzten Tag durfte ich mit ihnen unter freiem Himmel übernachten. Sah mit ihnen in die hell leuchtenden Sterne und hörte sie über ferne Galaxien und die Zeit, welche das Licht der Gestirne bis zu uns hinunter ins Gras braucht, philosophieren. Ich muss kurz eingenickt sein, als sich Fabian zu mir drehte: „Du hast geschnarcht, aber das macht nichts.“ So wünscht man sich wahre Freundschaft.

Fabian Zapatka ist Fotograf. Er bereist teils Orte, von denen viele von uns nicht mal wissen, dass es sie gibt. Für Das Filter öffnet er jetzt nach und nach sein Archiv. Ein neues Bild und eine neue Geschichte gibt es jeden Mittwoch, nur hier bei uns.

Letzte Woche war Fabian auf Fuerteventura.

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