Review: HTC One (M8)Smartphone-Stahlgewitter

HTC One Lead

HTCs neues Smartphone, das One (M8), sieht aus wie ein Tarnkappenbomber, hat ein brillantes Display, nicht eine, sondern zwei Kameras auf der Rückseite, ist laut wie ein Ghettoblaster und dank 90 Prozent Aluminium ein bedeutsamer, Eindruck machender Handschmeichler. From my cold dark hands? Fick dich, Charlton Heston.

„Immer wenn man losfährt, muss man Yeah! sagen.“

Als das Smartphone noch nicht erfunden war, gab mir eine Fünfjährige diesen Spruch mit, bevor sie auf das Dreirad stieg. Heute ist dieser Sager das Motto von HTC. Und man kann und will sich das in seinen klischeehaftesten Asien-Träumen vorstellen, wie CEO Peter Chou die Belegschaft zusammentrommelt und alle „Yeah!“ brüllen lässt, wenn ein neues Smartphone in die Entwicklung geht, das Unternehmen also die nächste Autobahn-Auffahrt sucht, endlich wieder Höchstgeschwindigkeit aufnehmen will.

Für das neue HTC One (M8) war das „Yeah!“ ganz offenkundig laut genug. Und dennoch ist die Geschichte, die es hier zu erzählen gilt, eine völlig andere. Zum Glück.

Wenn wir mal ehrlich sind, dann hat sich die Evolution des Smartphones schon lange erledigt. Die Geschichte ist zu Ende erzählt. Von Saison zu Saison wird nur noch optimiert. „Leichter, dünner, schneller“, Argumente, die noch vor wenigen Jahren ausschlaggebende Faktoren in Sachen Innovation waren, sind mehr oder weniger bedeutungslos geworden. Auch ein Gerät für 150 Euro hat nicht mehr das Gewicht eines Wackersteins. Also schwenken die Hersteller um und verkaufen Features. Diese Funktionalität, jener Sensor. Umwelt, Gesundheit, Schrittzähler, Blutdruckmesser, Fingerabdrucksensor. Samsung ist der unangefochtene Meister auf diesem Gebiet. Hätte das Unternehmen keine aufmerksame Rechtsabteilung, würden die Geräte auf den Pressekonferenzen schon längst als Künstliche Intelligenz angepriesen und auch so verkauft werden. HTC würde das auch gerne so machen, doch leider kifft die Marketing-Abteilung nicht genug. Oder hört zu wenig K-Pop. Ist ja auch kein Wunder, in Taiwan. Und doch ist dem Underdog mit dem M8 ein Meisterstück gelungen. Das Kiffen übernehmen wir. Also das „Yeah!“-Brüllen. Yeah!

HTC One M8 02

(R)evolution

Das Yeah! (wir sind dann auch fertig, keine Sorge) definiert sich vor allem durch eine Überarbeitung und Verfeinerung des letztjährigen Flaggschiff-Smartphones von HTC. Das hieß auch One und buddelte sich im unübersichtlichen Android-Segment seinen eigenen Orchestergraben für die dicksten Pauken und Trompeten. Ein kantiges und doch smoothes Etwas aus Aluminium und Glas, mit Stereo-Lautsprechern, die ihrem Namen sogar gerecht wurden, einem brutal scharfen farbenfrohen Display und einer neuen Kameratechnik. Wer dieses One kennt, fühlt sich beim 2014er-Modell sofort zu Hause. Es ist ein bisschen größer geworden (das Display misst jetzt 5“), sogar ein bisschen schwerer (160 Gramm), dafür aber auch ein bisschen lauter in den BoomSound-Speakern und auf der Rückseite sitzen jetzt zwei Kameras.

HTC One M7 vs M8

links: HTC One (2014), rechts: HTC One (2013)

HTC One M8 vs M7 hinten

Der eigentliche Killer ist jedoch, dass aus dem kantigem und smoothen Etwas jetzt ein fast schon wahnwitziges Smoothes Etwas ohne Kanten geworden ist, etwas, was man nie mehr aus der Hand legen will. Etwas, das sich anfühlt, als hätten die Urgewalten über Jahrhunderte hinweg einen Kieselstein glattgeschliffen, sich in der Handfläche anschmiegt und sich verdammt noch mal so anfühlt, wie sich ein Telefon anfühlen soll und vor allem muss, wenn es doch schon das Gerät ist, das wir den ganzen Tag in der Hand halten, immer wieder befingern, betatschen und beäugen. HTC baut jetzt Telefone wie Apple. Vor allem die dunkelgraue Version sieht dazu noch derart stylish und futuristisch aus, als hätte Karl Lagerfeld den neuen Tarnkappenbomber für die US Air Force designed.

HTC One (M8)

  • Display: 5", 1.920 x 1.080p, SuperLCD3
  • OS: Android 4.4 / Sense 6
  • Prozessor: Snapdragon 801, 2,3 GHz
  • Akku: 2.600 mAh
  • Hauptkamera: 4,1 UltraPixel, 2. Kamera: 2 Megapixel
  • Frontkamera: 5 Megapixel
  • Preis: 679 Euro
  • weitere Infos: HTC
HTC One M8 4
HTC One Blinkfeed

HTCs BlinkFeed

Diese technischen Daten sind im täglichen Leben vollkommen bedeutungslos. Wichtig ist, dass die Performance des M8 über alle Zweifel erhaben ist. Es gibt auch Telefone, die genau diese Erwartungen nicht einlösen können, trotz hochkarätiger Spezifikationen. Meistens liegt das dann an der Software, mit der die Hersteller Googles Android-Betriebssystem ver(schlimm)bessern. Auch HTC will sich partout nicht von Sense trennen, auf die Performance drückt diese Mischung aus Oberfläche und extra Features aber nicht. Bei Version 6 ist man mittlerweile angelangt, einen Drop, den man HTC unbedingt gönnen muss: The 6th sense. Und die Tweaks, die HTC vorgenommen hat, sind sogar ganz praktisch. Im Zentrum steht eine neue Version von BlinkFeed, einem News-Aggregator à la Flipboard, der eure bevorzugten Nachrichten-Kanäle grafisch hübsch aufbereitet und auch die sozialen Netzwerke integriert. Soweit, so bekannt. Neu ist die Integration von Fitbit. Das M8 hat einen integrierten Schrittzähler, der die gesammelten Informationen der Fitbit-App zur Verfügung stellt. Neu ist auch, dass man das Telefon nicht mehr auf klassische Weise entsperren muss. Ein zweifaches Klopfen auf das Display reicht, um den Screen anzuschalten. Und mit unterschiedlichen Wischgesten von links, rechts oder von unten nach oben, können bestimmte Apps sofort angesteuert werden.

Ansonsten gibt sich Sense wieder ein wenig zurückhaltender, flacher, ganz dem Trend entsprechend, den Apple mit iOS 7 ausgerufen hat und dem mittlerweile auch Samsung folgt. Außerdem löst HTC genau das Problem, das ich weiter oben schon beschrieben habe: die Performance. Android hat Defizite. Beim Scrollen zum Beispiel. Greift man sich ein beliebiges Android-Smartphone, startet Facebook und beginnt zu scrollen, fühlt man sich mitunter wie auf einer staubigen Landstraße im hintersten Teil von Nevada in einem VW Käfer von anno 1976. Es ruckelt und zuckelt und wenn es schlecht läuft, dann wird einem ein bisschen übel. Beim M8, und das ist neu, auch für HTC, sind diese Kinderkrankheiten so gut wie behoben. Das ist gut. Skurril ist vor allem, dass man das 2014 immer noch erwähnen muss.

HTC One M8 Settings

Flach und klar: Die Einstellungen in Sense 6 auf dem HTC One M8

Neben der eigenen Oberfläche hat HTC bislang vor allem in die Entwicklung der Kamera-Software investiert. Mit eigenem Interface, eigenen Features, vor allem jedoch seit letztem Jahr mit einer eigenen Kamera-Technik: UltraPixel. Kurz zusammengefasst bedeutet das, dass man nicht mehr gewillt ist, beim Megapixel-Rennen mitzumachen und immer mehr Pixel in den Kamera-Sensor zu stecken. Ein Wettlauf, der eh nichts bringt. Und auch hier muss das iPhone wieder als Beispiel herhalten, das auch aktuell „nur“ 8 Megapixel im Sensor hat. Den Rest regelt die Software und macht die Bilder so besser als in der gesamten Android-Welt. Die Kamera-Software ist ein zweites großes Manko von Android. UltraPixel bedeutet aktuell (hier hat sich im Gegensatz zum letztjährigen Modell nichts geändert): 4 Megapixel. Die, sagt HTC, sind jedoch deutlich größer als in anderen Sensoren, lassen mehr Licht durch und machen bessere Bilder, gerade und vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen, also zum Beispiel in Bars und Clubs: dort, wo das Leben wirklich passiert. Das ist keine kompromisslose Lösung, die HTC mit dieser Kamera anbietet. Die Bilder wirkten beim letztjährigen Modell sehr weich, ließen wichtige Konturen vermissen und kräftige Farben. Bei Nacht waren die Ergebnisse aber tatsächlich besser als bei anderen Smartphones. Änderungen an der Kamera-Front gibt es dennoch. Zunächst die gute Nachricht für alle Selfie-Freunde: Die Kamera auf der Vorderseite löst mit fünf Megapixeln auf und hat außerdem ein Weitwinkel-Objektiv für Peergroup-Action. Bitte unbedingt zuerst die Pickel ausdrücken und dann auf den Auslöser drücken. Und auf der Rückseite hat HTC nicht nur die UltraPixel-Kamera untergebracht, sondern eine zweite Kamera noch dazu. WTF?

Say Cheeeese

HTC One M8 Kamera

Die zweite Kamera sammelt vor allem Entfernungsdaten zu den fotografierten Objekten. So lässt sich der Fokus des Fotos auch im Nachhinein noch verschieben. UFocus nennt sich dieses Feature. Bislang kennt man diese Möglichkeit vor allem von der Lichtfeldkamera Lytro, ein ähnlicher Effekt lässt sich jedoch auch mit einigen Nokia-Telefonen erstellen. Bedingung für die Anwendung: gutes Licht. So jedenfalls kann man sich das Prinzip am besten erklären. Meistens funktioniert es, manchmal auch nicht. Das Gleiche gilt dann auch für die „3Disierung“ von Bildern, einen Effekt, von dem wir eigentlich nicht erwartet hatten, ihn noch einmal auf einem Smartphone zu sehen, gerade von HTC. Die Ergebnisse sind jedoch ausgesprochen putzig und wobbeln mindestens so gut wie ein amtlicher EDM-Breakdown.

HTC One M8 Unfocus 1

Die beiden Bilder basieren auf dem gleichen Foto, aufgenommen mit der Duo Camera und mit dem Effekt UFocus bearbeitet.

HTC One M8 Unfocus 2

Alles an der Kamera ist toll, außer dem Sensor.

Die Kamera bietet noch mehr neue Feature. Mehr Effekte, Sticker: HTC bemüht sich redlich, die Kamera aufzumotzen. Und auch für diejenigen, die den Automatik-Modus nie im Leben verwenden würden, ist einiges dabei. Wiederum ähnlich wie bei Nokia lassen sich die Standard-Einstellungen einer Kamera händisch justieren: ISO, Weißabgleich etc. All das wäre toll und wichtig, wenn die Kamera als solche bessere Bilder machen würde. Eigentlich alles an der Kamera ist toll: das Interface, die Möglichkeiten zur Bearbeitung, die Effekte, der super schnelle Auslöser (auch im HDR-Modus). Eigentlich alles, außer dem UltraPixel-Sensor. Der ist zwar im Verhältnis zum 2013er-Modell besser geworden, ist aber immer noch nicht gut genug. Da nimmt man fast lieber die Frontkamera zu Hilfe.

Interessanterweise trübt das das Yeah!-Gefühl so gut wie gar nicht. Ein paar Sample-Fotos, dann wieder zum Positiven.

HTC One M8 Kamera 1
HTC One M8 Kamera 3
HTC One M8 Kamera 2
HTC One M8 Kamera 4

Alle Bilder ohne HDR aufgenommen

Denn auch wenn die Kamera mit ihrem eher ungewöhnlichen Ansatz für viele ein deal breaker sein könnte, macht sie doch anständige Bilder, nur eben nicht ganz so verlässlich. Alle sonstigen Aspekte gewinnt das M8 klar nach Punkten. Es gibt kein Telefon, das ich lieber in der Hand halten möchte, kein Display, das ich lieber anschauen will, keine Lautsprecher, die ich vertrauensvoller laut drehe. Sogar das Zubehör ist toll. Das Dot View Case zeigt in charmanter 8Bit-Optik Zeit und Wetter an, bei Bedarf auch andere Benachrichtigungen, z.B. beim Eingang neuer E-Mails. So ein Retro-Look ist bestimmt nicht immer gut, hier jedoch, gerade im Gegensatz zum sonstigen Highend-Schliff des HTC One, passt es perfekt.

HTC One M8 Dot View

Und perfekt soll auch das Stichwort zum Schlusswort sein. Denn nichts anderes ist das HTC One (M8). In der Android-Welt und auch darüber hinaus. Ein solches Statement - denn nichts anderes ist das M8 - kann nur ein Unternehmen wie Apple aufnehmen.

Das mit dem Yeah! beim Losfahren hat also geklappt.

HTC One M8 Closer

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