Yoga-Flickenteppich, Overkill, Regenschauer der GefühleMaxwell Sterling, Rafael Anton Irisarri, Federico Durand – drei Platten, drei Meinungen

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Keine Clubs, keine Club-Musik: Für ihren Roundtable im Wonnemonat Mai streamen Blumberg, Cornils und Herrmann drei neue Alben, die im leergefegten, aber umso besser sortierten Fachhandel wohl als Ambient über den Tresen gehen dürften. Schlimmer Blödsinn – der Begriff ist mittlerweile ja bedeutungsleer wie Deep House, und die Entwürfe von Maxwell Sterling, Rafael Anton Irisarri und Federico Durand könnten unterschiedlicher nicht sein. Sterling operiert auf seinem zweiten Album an der Schnittstelle zwischen kratzbürstiger, mal heller, mal dunkler Elektronik und Versatzstücken des Jazz. Das ist konzertant und sehr stereo. Irisarri hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen für seinen breitwandigen Klangnebel gemacht. Mit inhaltlicher Ansage und dräuender Dringlichkeit. Und Durand zieht sich auf seiner neuen LP ganz in sich selbst zurück. Der virtuelle Roundtable trinkt einen Nerventee gegen die Vergesslichkeit, gründet das #TeamWohlklang und sucht im Dauerregen das Gegenlicht. Alles wie immer halt: Drei Jungs reden über Platten von drei anderen Jungs.

RT Mai 2020 Maxwell Sterling – Laced With Rumour: Loud-Speaker Of Truth Artwork

Maxwell Sterling , Laced With Rumour: Loud-Speaker Of Truth, ist bei Ecstatic Recordings erschienen.

Maxwell Sterling – Laced With Rumour: Loud-Speaker Of Truth (Ecstatic Recordings)

Thaddeus: Ich hatte das Online-Doc, in das wir reinschreiben, ja neulich schon angelegt, nachdem wir uns auf Platten geeinigt hatten. Und als ich mich gerade wieder einwählte, fand ich das hier vor. Hat wohl einer von euch beiden geschrieben:

Maxwell Sterling
Anspruch: 3 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Humor: 0 Sterne

Rafael Anton Irisarri
Action: 2 Sterne
Gefühl: 4 Sterne
Humor: 0 Sterne

Federico Durand
Erotik: 1 Stern
Gefühl: 5 Sterne
Humor: 0 Sterne

Also gut, reden wir über Humorlosigkeit. Und fangen an mit Sterling. Ich finde es ja zunächst sehr begrüßenswert, dass seine zweite LP so viel besser ist als sein Debüt „Hollywood Medieval“. Das perlte an mir ab wie eine Regenhusche an meiner GoreTex-Jacke. Will sagen: Hinterlässt auf der Oberfläche schon eine Art von Struktur, dringt aber bis heute nicht zu mir durch. „Laced With Rumour: Loud-Speaker Of Truth“ ist viel besser – konzertanter. Das wäre auch der erste Teil meines Stichwort-Dreiklangs für die ausgewählten Platten. Beim Eröffnungstrack „Laced“ denke ich ja irgendwie an George The Poet. Ein herrlich-vorsichtiges Rieseln der Elemente. Hinten raus wird es mir dann zwar ein wenig zu sperrig, aber das nehme ich hin. Humor suche ich hier jedoch tatsächlich vergebens. Warum ist Humor im „Ambient“ eigentlich so gar nicht vorhanden? Kristoffer, widerlege meine These doch bitte mit einer diskografischen Anekdote aus deiner Japan-Sammlung.

Kristoffer: Um Himmels Willen. Ich bin doch gar nicht hier, um zu widersprechen. Ich will mich einfach nur in diese Musik reinigeln, als wäre es eine selbstgestickte Yogamatte, die in irgendeinem Wüsten-Retreat in einem von Dreamcatchern behangenen Zelt liegt und dort auf mich wartet. Bisschen Sonnenlicht auf die Nase, tief durchatmen und dann das hier als Soundtrack: Das ist gerade die Art von Weltflucht, die ich gerne hätte. Ich kenne Maxwell Sterling überhaupt nicht, ich mag aber dieses Album sehr. Ich weiß nicht, ob da Humor drinsteckt, allemal aber Zitate von Don Cherry. Das ist aus der Cherry-Familie aber nun das Mitglied, von dem ich am wenigsten weiß – mit Neneh oder sogar Eagle-Eye kann ich mehr anfangen, oder weiß zumindest mehr über sie. Also: Ich bin aufgeschmissen, beziehungsweise habe mich stattdessen intuitiv hingeschmissen auf die Matte und lasse dieses Album über mich rieseln. Eine schöne Mischung aus hypermodern und irgendwie Patchouli. Das passt. Heute regnete es schließlich die meiste Zeit.

RT Mai 2020 Maxwell Sterling Portrait

Thaddeus: Da ist Wüste doch ein gutes Stichwort. Immerhin argumentiert Cherry ja aus der Perspektive von Los Angeles – dass es dort keine Jahreszeiten gäbe. Stimmt. Und genauso brütend klingt das Album auch. Musik für eine Installation, habe ich dem Info entnommen. Die muss ich glaube ich gar nicht kennen, schauen etc. Die Platte ist so schon gut genug.

Christian: Dieses Don-Cherry-Sample im ersten Track: Da erzählt jener, seine Musik sei das Ergebnis verschiedener Erfahrungen und Kulturen. Das klingt noch programmatisch für die Platte von Sterling. Und dann geht es um die Eigenschaften akustischer Instrumente und das Aufwachsen in Los Angeles. Da öffnet sich etwas, weil es beginnt, sich mit der Musik von Sterling zu beißen. Die hat zwar einen großen Jazz-Anteil und eine gewisse Arthur-Russell-haftigkeit, kann aber auch zu fast schon Vaporwave-mäßigen Synths springen. Das finde ich ansprechend, allein schon, weil ich das in der Kombination nur selten gehört habe. Auch wenn die Passagen überwiegen, die mit diesem seltsamen Hippie-Wandteppich vom Artwork matchen. Aber das Album versagt sich, in diesen Passagen vollends aufzugehen. Da werden schon immer wieder kleine Stolperfallen aufgebaut – es darf auch mal kratzen.

„Diese Synths klingen schon wie aus einer ganz anderen Zeit, in der Transzendenz die alles entscheidende Metapher war.“

Thaddeus: Hippie ist ein anderes gutes Stichwort. Die Platte ist ja in vier Tracks unterteilt. Deren Titel ergeben schließlich den Albumnamen: „Laced With Rumour: Loud-Speaker Of Truth“. Das erste Stück heißt „Laced“ und bildet das ab, was wir gerade schon besprochen haben. Das Hippie-Tum kommt dann beim zweiten Track „With Rumour“ hinzu. Diese Synths klingen schon wie aus einer ganz anderen Zeit, in der Transzendenz die alles entscheidende Metapher war. Aber Sterling staffelt das ganz vorbildlich mit Sounds aus der Gegenwart, dem radikalen digitalen Raubbau am Geräusch und all seinen Konsequenzen. So entsteht eine wirklich verführerische Vielschichtigkeit der Irritationen, die aber dennoch hervorragend zu verdauen ist.

Kristoffer: Ja, oder eine … Doppelschichtigkeit. Stereo heißt hier die musikalische Vorgehensweise. „With Rumour“: Das sind doch die Emeralds, über die er dann was von Oneohtrix Point Never mixt, oder doch Klaus Schulze und Kara-Lis Coverdale? Sowas. Vielleicht ist der Hinweis auf die Entstehung im Kontext einer Ausstellung also doch sehr wichtig und eventuell erklärt sich meine Assoziation darüber: Hier wird etwas räumlich gemacht, indem Differentes recht schlüssig zusammengeführt wird, wobei es von zwei Seiten auf uns einprasselt. Da bleibt viel Platz im Korridor dazwischen, um womöglich durchzuspazieren oder doch die Yogamatte auszurollen. Wie gesagt, ich lege mich da am liebsten rein und sortiere die Platte womöglich danach neben dem letzten Album von ULLA ein.

Christian: Mehr noch als eine Yogamatte ist es ein Flickenteppich. Auf dem kann man ja auch gut liegen, aber es ist eben so was Verwebtes mit sichtbaren (hörbaren) Bruchstellen. Sterling wirft diese Flicken aus und dann liegt es eben an den Hörer*innen, das zu verknüpfen, oder es eben auch so fragmentarisch zu lassen. Diese Offenheit mag ich sehr.

Thaddeus: Ich habe zwei Fragen. 1.) Wer oder was ist ULLA und 2.) diese vermutete Multikanalität in der Produktion bricht dann doch in einem klassischen Stereo-Bild in sich zusammen. Finde ich nicht schlimm, wir haben nun ja alle keine 5.1-Anlage zu Hause, wir sind ja nicht blöd. Klingt auch so auf 2.1 gut separiert beziehungsweise manifestiert und räumlich arrangiert.

Kristoffer: 1.) Ulla Straus, die mit „Tumbling Towards A Wall“ in Sachen dezent rhythmische Ambientmusik in diesem Jahr schon den Vogel abgeschossen hat und bei der ich ein ähnliches Miteinander aus der einen und der anderen Welt sehe wie bei Maxwell Sterling. Hust, Organisches trifft auf, hust, Artifizielles. Sehr schön im Miteinander. Ähnlich, aber anders. 2.) Finde ich Stereo eben genau richtig bei dieser Platte und lebendig genug ausgekleidet ist es obendrein. Da steckt die Offenheit in der Mitte, bei mir also zwischen linkem und rechtem Ohr: Das Hirn ist angenehm leer. Das finde ich extrem begrüßenswert.

Thaddeus: Und wie finden wir die neue LP von Rafael?

RT Mai 2020 Rafael Anton Irisarri – Peripeteia Artwork

Rafael Anton Irisarri, Peripeteia, erscheint am 22. Mai bei Dais Records.

Rafael Anton Irisarri – Peripeteia (Dais)

Christian: Gespalten. Irisarri ist irgendwie ein One-Trick-Pony. Der beherrscht diesen vernebelten Sound ja ziemlich gut. Auch hier wieder. Und bestimmt lassen sich in seiner Diskografie auch musikalische Verschiebungen finden, aber im Großen und Ganzen wird die Formel, die er vor zehn Jahren mit „The North Bend“ für sich gefunden hat – davor war er ja eher mit Piano-Miniaturen beschäftigt – eben ein weiteres Mal durchgespielt. Ergo: Die Platte funktioniert hervorragend, ist aber zugleich völlig uninteressant.

„Wo sonst die Beschreibungen der Auswirkungen der Umwelt auf die Psyche im Vordergrund steht, das Allgemeine also mit Wucht aufs Besondere knallt, geht es nun den anderen Weg herum.“

Kristoffer: Uff, das ist eine Ansage. Wie nun meine ausfällt, weiß ich nicht genau. Zwiespältig, mindestens. Irisarris letzte Platten fand ich überwältigend. Recht wertfrei gesprochen erstmal. Er setzt ja seit geraumer Zeit auf Konfrontation und Overkill. Auch thematisch, das letzte Album befasste sich mit den psychologischen Auswirkungen der Klimakrise. Mein Lieblingsalbum von ihm ist wohl „A Fragile Geography“ von 2015, sein meiner Meinung nach intensivstes. Eigentlich kann ich mit Blick auf „Peripeteia“ nicht unbedingt sagen, dass sich stilistisch sonderlich viel geändert hätte. Es zieht mich dennoch nicht so sehr rein wie viele seiner anderen. Was eventuell daran liegen mag, dass es thematisch von innen nach außen geht. Wo sonst die Beschreibungen der Auswirkungen der Umwelt auf die Psyche im Vordergrund steht, das Allgemeine also mit Wucht aufs Besondere knallt, geht es nun den anderen Weg herum – diese Platte entspringt aus etwas Persönlichem und wir sollen nun etwas Generelles daraus ableiten können. Ich vermag das nicht, bin nur ein wenig, weniger als sonst, überwältigt – und ansonsten ratlos.

Thaddeus: Ich bin ja auch Fan von Rafael, auch wenn mir heute im Laufe des Tages auffiel, dass ich mich doch an sehr wenige Platten von ihm tatsächlich erinnern kann. Das liegt vielleicht am „Genre“, vielleicht auch an der Vergänglichkeit von Musik im Allgemeinen. Ich mag auch dieses neue Album sehr. Empfinde ich Sterling als konzertant, ist das hier aber einfach nur breitwandig. Und ich muss gestehen, dass mir das trotz aller Sympathie nicht wirklich ausreicht, um in meinem überfüllten Musik-Parkhaus im Gehirn einen gemieteten Stammplatz zu ergattern. Mir ist das auch eine Spur zu clever und berechenbar – auch wenn ich mich total gern darauf einlasse. Groß und – du hast es genau richtig beschrieben, Kristoffer – überwältigend. Mal dark, mal eher hell, immer dicht und irgendwie dräuend. In die Tropfsteinhöhle komme ich immer gerne mit – wenigstens für eine LP-Seite. Am Ende bleibt dann aber vergleichsweise wenig hängen.

Christian: Um im Bild zu bleiben: Wenn man bei Maxwell Sterling seinen Teppich noch selbst knüpfen muss, dann ist „Peripeteia“ ein gemachtes Bett. Das ist schon die ganz große Immersionseinladung, ja, eigentlich ein Imperativ. Diese Bevormundung stört mich bei dieser Überwältigungs-Logik aber. Irisarris Musik formuliert schon sehr genau, wie sie gehört werden soll. Sie soll ein Erlebnis sein. Man könnte das etwas böswillig auch Stadion-Ambient nennen. Mir geht das zu weit.

RT Mai 2020 Rafael Anton Irisarri Portrait

Kristoffer: Ich finde, dass es auf eine Art nicht weit genug geht. Es mag beeindruckend klingen, aber hinterlässt keinen Abdruck. Dazu braucht es nämlich vielleicht noch etwas mehr Druck. Nehmen wir „Empire Systems“ von besagter „A Fragile Geography“: Was da irgendwann ab der Fünf-Minuten-Marke passiert, lässt sich nicht ohne Weiteres vergessen. Das fehlt mir hier aber, ähnlich wie Thaddi. Da fräst sich nichts mit brachialer, glazialer Gewalt ins Hirn rein. Sondern stellt nur kurz die Härchen auf und huscht dann wieder vorbei. Das ist schade.

Thaddeus: Und genau die Falle, in die man in allen Genres, die mehr oder weniger klar definiert oder vielleicht sogar auserzählt sind, als Producerin immer wieder tappen kann. Ja, das ist schon bold*, aber eben auch schon bekannt. Trotzdem voll okay. Wenn ich am nächsten Wochenende morgens um sieben Uhr die komplett leere Friedrichstraße runterlaufe – auf der Fahrbahn –, dann werden sich die Sounds schon ganz automatisch an die furchtbare Architektur koppeln und sie in Schutt und Asche legen. Ich probier das seit vier Wochen immer wieder aus – funktioniert mit ganz unterschiedlicher Musik. Und dann geh ich zu Starbucks und kauf mir ’nen Kaffee.

Christian: Geh doch damit mal am Rosa-Luxemburg-Platz vorbei bitte!

Thaddeus: Zu.Ge.Fähr.Lich.

Kristoffer: Ich finde den Hinweis auf die Stadtschluchtenkulisse sehr gut. Tatsächlich würde ich Christian widersprechen. Irisarri macht eben nicht mehr das, womit er sich einst mit „The North Bend“ etablieren konnte. Das klang nämlich noch recht pastoral, mittlerweile funktioniert seine Musik aber sicherlich auch in so einem urbanen, um nicht zu sagen industriellen Setting.

RT Mai 2020 Federico Durand – Alba Artwork

Federico Durand, Alba, ist bei 12k erschienen.

Federico Durand – Alba (12k)

Kristoffer: Ganz anders als die von Federico Durand also. Ich hatte mich gewundert, dass wir mit dessen neuem Album nicht angefangen haben. Es wäre so ein schöner Einstieg gewesen. Jetzt aber? Immerhin eine sanfte Landung nach Irisarris brodelnden Soundscapes. Wenn ich an 12k als Label denke, höre ich vor meinem inneren Ohr genau solche Musik wie auf „Alba“. Das ist schön, und ein bisschen so, wie nach Hause zu kommen – nach dem Jogging-Run um sieben Uhr morgens vielleicht. Zurück vom Beton.

Thaddeus: Ha! Intro, Outro – die Platte passt vorne wie hinten. Kanntet ihr den Federico, beziehungsweise seine Musik, vor diesem Album? Mir war er bei aller Kurzzeit-Gedächtnis-Demenz kein Begriff. Aber im immer unübersichtlicher werdenden Katalog von 12K stach das Album dann doch heraus. Nach konzertant und breitwandig ist das hier die Version von Ambient, die ich als verspielt beschreiben möchte. Viel Geräusch, viel bitzelndes Klavier, ein paar Found Sounds, ein paar erzwungene Breaks dank des Vor- und Zurückspulens im Dictaphone – ich mag das. Die mit Abstand sanfteste Platte an diesem runden Tisch. Tut nicht weh, will auch nicht viel, trotz aller Emotionen, die da mit Sicherheit reingeflossen sind. Bleibt einfach in guter Erinnerung. Mir zumindest. Ich bin ja aber auch der Softie in unserer Runde.

„Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich irgendwie alle so einig scheinen, dass jetzt gerade musikalischer Nerventee geschlürft werden sollte.“

Kristoffer: Ich bin da komplett und voll bei dir. Ich hatte keine Ahnung, wer das ist, ich habe offenkundig schon andere Musik von ihm gehört, erzählt mir mein immer noch aktiver last.fm-Account. Da kann ich mich null dran erinnern. Ich habe auch locker ein Dutzend, nein, hunderte ähnliche Alben auf meinem PC und in meiner Bandcamp-Diskothek. Aber wisst ihr was? Ich finde sie alle extrem geil und diese ganz besonders. Wo Sterling noch qua Kontext ein gewisser Kunstanspruch innewohnt und Irisarri konzeptuell ankommt, ist Durand eben ein seichter Regenschauer der Gefühle – und nicht mehr. Vielleicht können wir das zum Anlass nehmen, etwas über die Lockdown-Situation und Ambient- beziehungsweise Hintergrundmusik zu sprechen: Potenziell wäre ein Album wie dieses der ideale Kandidat dafür, die Wohnung mit genau solchen Klängen einzukleiden. Nur kann ich überhaupt nicht verstehen, warum sich irgendwie alle so einig scheinen, dass jetzt gerade musikalischer Nerventee geschlürft werden sollte. Ich finde da Katharsis eigentlich wichtiger, also eher den Irisarri-Ansatz vielleicht. Das hier aber: Klangwolken-Ambient wie aus dem Buche, genau der Mindfulness-Soundtrack eigentlich, den wir alle angeblich brauchen, und ich gehe da ausnahmsweise sogar mit. Auch wenn ich diese Platte genauso schnell wieder vergessen habe wie „Peripeteia“: Das muss hier unbedingt so sein. Flüchtigkeit kann auch ein Wert sein. Und deswegen ist „Alba“ für mich großartig.

„Lockdown hin oder her: Ist es euch nicht irgendwie zu billig, singende Kleinkinder zu samplen?“

Christian: Dann spiele ich mal den Spielverderber, denn mir ist hier alles zu niedlich und zu schön und zu intim. Nach drei, vier Tracks fängt es an zu nerven. Das ist ein Album wie ein endloser Shot mit Gegenlicht aus einem Terrence-Malick-Film. Es will mich die ganze Zeit betören, aber ich fühl’s nicht. Vielleicht, weil das Album nie den Modus wechselt. Vielleicht aber auch wegen all der Infantilitäten. Im schlimmsten Fall werden Spieluhren ausgepackt oder es maunzt eine Katze. Voll süß. Aber nee, Lockdown hin oder her: Ist es euch nicht irgendwie zu billig, singende Kleinkinder zu samplen?

Thaddeus: Das irritiert mich auch. Ich muss als Softie aber in die Bresche springen für meinen neuen Buddy Federico. Ich mach’ mich mal nackig und sage: Genau das brauche manchmal. Und ehrlich gesagt immer öfter. Menschen, die mir alle Klischees, derer ich mir ja durchaus bewusst bin und die ich auch kritisch sehe, nochmals exemplarisch auf dem roten Teppich vorführen. Vor den grundlegenden Emotionen muss man sich echt nicht verstecken. Die sind in Ordnung. Ob es nun über zwei, drei Tracks gut geht oder für ein ganzes Album hält. #TeamWohlklang. Ruft mich an für einen Distanz-Spaziergang im Sonnenuntergang vor großer Kitsch-Kulisse. Dauert nicht lang, ist aber wichtig. Ab und an.

Christian: Gegen Kitsch bin ich gar nicht, aber Kitsch ist doch immer dann gut, wenn er sich der eigenen Kitschigkeit bewusst ist. Und ich habe dieses Gefühl hier nicht. Ich fürchte, dass sich dieses Album doch sehr ernst nimmt. So emo-ernst.

Kristoffer: Ich schließe mich dem #TeamWohlklang an, obwohl ich gemeinhin ja von allzu viel Harmonie lieber sozialen und physischen Abstand nehme. Ich glaube, Durand packt mich primär an meiner Liebe zum Generischen. Das meinte ich auch ein wenig, als ich sagte, dass dieses Album sehr gut den 12k-Sound repräsentiert: Im Grunde ist das freundlicher, im höheren Frequenzbereich arbeitender Ambient, der durch die Bank weg alle Genre-Tropen bedient und dessen Formeln längst bekannt sind. Ob da im Einzelfall viele sehr ernste Emotionen drinstecken? Bestimmt! Sehr viele sogar, wette ich. Teile ich die? Überhaupt nicht! Glaube ich. Finde ich es schön, dass es das genauso gibt und so dermaßen banal ist? Unbedingt. Ich bin allgemein der Meinung, dass Banalität in der Musik und vor allem solcher wie dieser gerne mal unterschätzt oder – schlimmer noch – übertüncht wird. Hin und wieder reicht auch einfach so ein selbstzweckiges Klimper-Klirr-Album, um die Welt zu retten. Ich weiß nicht, was ihr gerade vorm Fenster seht, ich jedoch die letzten Sonnenflecken des Tages an einer sonst ganztägig unerträglich grauen Mauer. Und so geht es mir mit diesem Album.

RT Mai 2020 Hof

Christian: Also ich gucke auf ein braunes Haus mit Baugerüst davor und weiterhin auf einen Müllbeutel, den ich mir als provisorischen Sonnenschutz ins Fenster geklebt habe. #teamschönerwohnen

Thaddeus: Zwei total valide Punkte von zwei total validen Jungs! Ich fürchte auch, dass Durand das alles „viel zu ernst“ nimmt und im Zweifel auch so argumentieren könnte. Aber: Das kann uns ja genau so egal sein. Wir kennen den nicht und werden ihn auch nie kennenlernen. Und Stichwort generisch: Das trifft es auf den Punkt. Letztendlich ist es die 324.784 Neuinterpretation des „Prinzip Ambient“. Ist aber auch nicht weiter schlimm, im Gegenteil: Es ist umso besser, dass uns ein random dude aus Argentinien hier eine neue Remix-Alternative als musikalischen Denkanstoß an die Hand beziehungsweise die Ohren gibt.

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