Wochenend-WalkmanDiesmal mit Aphex Twin, Leonardo Martelli und Jackmaster

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.

Aphewx Twin Cheetah

##Aphex Twin – Cheetah EP
Thaddeus: Was mag in Richard D. James’ Kopf wohl vorgehen? Diese Frage habe ich mir in den vergangenen Jahren oft gestellt, wenn es um seine eigenen Veröffentlichungen, aber auch um die anderer Warp-Urgesteine ging, Autechre zum Beispiel. Die hatte ich spätestens seit 2013 komplett abgeschrieben und auf das hinterste Abstellgleis meines persönlichen Rangierbahnhofs der Erinnerungen geschoben. Mit ihrem kürzlich veröffentlichten Monster-Werk „elseq 1-5“ ändert sich das fundamental, aber darüber kann man keine Review schreiben. Das muss ein Buch werden. Auch den Aphex Twin hatte ich irgendwie vergessen. Wir haben uns im Guten getrennt, aber mein Interesse wich, verblasste. Auch alte Stücke hielten meiner Gegenwart nicht wirklich stand. Vieles nervte, einiges war egal. Dazu gehörte auch sein letztes Album. Ich werde dich immer in guter Erinnerung behalten, lieber Richard, dachte ich so bei mir. Vielleicht machst du ja irgendwann wieder eine Platte, die zu mir passt. „Cheetah“ ist diese Platte, zumindest in Teilen. Aphex Twin war immer besonders gut, wenn er seine Musik so einfach wie möglich hielt. „Tracks“ machte und keinen quantenphysikalischen Klusterfuck mit problematischem erkenntnistheoretischem Wahrheitsgehalt. Hat er sich oft genug drin verstrickt. Und bestimmt irre viel Spaß dabei gehabt. File under: Muss man dabei gewesen sein. Seine neuen Stücke hat Richard James in der Hängematte aufgenommen. So leicht klingen sie. Eigentlich ist die ganze EP in keinster Weise auch nur im Ansatz bemerkenswert, flüchtige Stücke, ein paar Beats, ein paar Drumrolls, das Aphex-typische Geklimper, das er während seiner mittlerweile endlos erscheinenden Karriere immer wieder mal verwendet hat. Die EP klingt wie mehr nach der alten Rephlex-Ästhetik als nach seinen Warp-Produktionen, ist nicht so ausdefiniert, nicht so dringlich, wie man jenseits jeglicher Wertung seine Werke einordnen muss. Die Melodien klingen nach „Bochum Welt“ in dessen besten Tagen, der Rest klappert vollkommen unfunky durch das Universum. So klingt das eben, wenn man in der Hängematte liegt, nebenher noch Pokemon streichelt und den Sequenzer bedient. Und genau das ist der Grund, warum mir diese Platte seit einer Woche so ans Herz gewachsen ist. Das hat was von Techno, ist aber keiner. Das hat was von alter Electronica, ist aber keine. Das hat was von Acid, kommt aber 100% blubberfrei. Und „Cirklon 3“ im „Колхозная mix“, das ich für mich persönlich als Hauptstück der EP identifiziert habe, ist eigentlich auch nur ein musikalischer Tagebucheintrag eines 5-Uhr-Tees von Jake Slazenger und Luke Vibert. Trocken, direkt und ein bisschen sloppy. Will sagen: ist fantastisch. „Cheetah“ ist kein Alterswerk, es ist nur ein kurzer sonischer Blitz auf der Reise ins Nichts.

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WWalkman-09072016-Leonardo Martelli

##Leonardo Martelli – Previsto EP
Christian: Jaja, wenn Aphex Twin unterproduzierten, skizzenhaften Quasi-Techno aus der Hängematte schüttelt, stehen die Leute Kopf. Dabei ist das Bandcamp-Universum doch wirklich voll von so was, bleibt nur außerhalb der Filter Bubble weitgehend unbemerkt. Schon der Gerechtigkeit halber sei hier deshalb auf „Previsto“ hingewiesen, einer neuen Mini-LP von Leonardo Martelli. Die sieben Tracks haben musikalisch mit Aphex Twin zwar nur bedingt zu tun, eher schon mit dem ausgewaschen-grobkörnigen Sounds von Actress (und den Folgen). Neu ist das wahrlich nicht, nur liegt unter den vernebelten Lo-Fi-Loops von Martelli nichts, worin man – siehe Actress – gleich eine politische Ästhetik entdecken könnte, sondern schlicht eine große Affinität zu Popmusik im Allgemeinen und zu Melodien im Besonderen. Martelli samplet Rap genauso wie Bassläufe, die eher nach New Order denn nach Detroit klingen. Seine sehr einfach gebauten Tracks sind wunderbar uneitel und wuchern in unterschiedlichste Richtungen. Mal sind sie kaum mehr als schroffes, aber angenehm testosteronbefreites und fast freundliches Geboller, dann wieder Ambient, wobei das Rauschen des Magnetbandes jeden klanglichen Kitsch zu verschlucken weiß. Und falls es eine elfte Staffel „Akte X“ geben sollte: „Leggende Metroplitane“ wäre ein fluffiger Anwärter auf eine neue Titelmelodie, zumindest bis zu dem Punkt, an dem Martelli entwaffnend simple Melodiebögen abfährt. Welche Aphex-Twin-Hörer hart unterfordern werden, aber hey, hier ist – allem hölzernen Gerumpel zum Trotz – mehr Fun.

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Jackmaster Wochenend-Walkman

##Jackmaster – DJ-Kicks
Benedikt: Nicht produzieren, nur auflegen, wer macht das schon? Fast niemand, außer Jackmaster und Ben UFO. Bei ihnen ist das „Nicht-Produzieren“ allerdings auch schon zur Marke geworden. Seit gestern kann Jackmaster trotzdem ein neues, eigenes Release in den Händen halten. Auf der neuen DJ-Kicks gibt sich der Sympath aus Glasgow die Mixing-Ehre. Was seine Sets so einzigartig und wunderbar macht: Er liebt Musik und das grenzenlos. Zwar sprechen seine Sets die Sprache von House und Techno, aber er scheut auch nicht die Kreuzung mit Indie. Oder R’n’B. Oder Eurodance. Wo für andere der Einwurf von Disco im House-Set schon gewagte Kreativität ist, fängt Jack Revills Cross-Genre-Herz erst an zu schlagen. Rein darf, was gefällt. Auch Jackmasters DJ-Kicks rauscht im Eklektizismus durch, wagt sich aber nicht so weit raus, wie man es aus manchen seiner Sets gewohnt ist. Trotzdem lässt sich dieser knapp achtzig Minuten lange Mix kaum mit Worten beschreiben. Mit jedem neuem Track nimmt Jackmaster eine neue Wendung, ohne dabei den großen Spannungsbogen aus den Augen zu verlieren. Was für eine Platte!

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„Ich schreibe keine catchy Songs“Interview: Matthew Dear aka Audion über Techno-Jams und das neue Detroit

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