Wochenend-WalkmanDiesmal mit Alva Noto & Ryuichi Sakamoto, 100% Silk und Ripperton

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute hören wir Alva Noto & Ryuichi Sakamoto, 100% Silk und Ripperton.

Alva Noto & Ryuichi Sakamoto Glass Cover

Alva Noto & Ryuichi Sakamoto – Glass

Ji-Hun: In der Rezeption von Architektur verhält es sich ein bisschen wie mit der Kunst. Am schönsten ist es, wenn man sie besitzt. Wie viele schöne Häuser hat man von Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wright schon in Coffeetableschinken bewundert. So wirklich da waren aber die wenigsten. Wohnen doch in der Regel reiche Leute drin, die ihre Architektur mit der Öffentlichkeit genauso wenig wie ihre private Kunstsammlung teilen wollen. Das 1949 von Philip Johnson und Robert Foster entworfene Glass House oder auch Johnson House ist eine Ikone der modernen Architektur. Es steht auf dem einstigen Privatgründstück von Johnson in Connecticut und war bis 2007 für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Johnson lebte in eben jenem Haus bis zu seinem Tod 2005. Inspiriert vom Farnsworth House von Mies van der Rohe gewann der seinerzeit radikale Entwurf den allerersten Pritzker-Preis überhaupt im Jahr 1979 und wurde 1997 zur National Historic Landmark erklärt. Genau hier haben nun am 1. September 2016 Carsten Nicolai /Alva Noto und Ryuichi Sakamoto eine gemeinsame programmatische Improvisation aufgenommen. Ein Stück mit 37 Minuten Länge, das vor allem die transparente, gläserne Architektur des Glass House in den Vordergrund rückt. Eine Momentaufnahme, die von beiden Großmeistern mit dezenten Mitteln und kristallinen Sounds coloriert wurde. Das Haus selber fungiert hier als Klangobjekt. Das bringt uns zwar noch immer nicht physisch ins Glass House, zumindest lässt sich jetzt aber behaupten dieses Architekturmeisterwerk wenigstens einmal gehört zu haben.

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##V.A. – Silk To Dry The Tears
Benedikt: Am zweiten Dezember 2016 brannte in Oakland, Kalifornien der Club Ghost Ship ab. Ein Warehouse, in dem in dieser Nacht eine Labelnight von 100% Silk stattfinden sollte. 36 Menschen sind ums Leben gekommen, unter ihnen auch die Silk-Künstler Chirushii und Nackt. Diese Compilation soll daran erinnern und vielleicht macht die Tatsache, dass ihr das auf so bedrückend schöne, aber angemessene Art und Weise gelingt, das Schreiben darüber so schwer. 31 Tracks, Deep House in seinen schönsten Facetten, Deep House, der deeper gar nicht klingen könnte. Blütenweiße Synthie-Melodien, sanft bouncende Basslines, Vocals wie Regen, der bei voller Fahrt seine Schlieren auf der Seitenscheibe zieht und den Blick nach draußen gleichermaßen trübt wie mit Melancholie anreichert. Die Welt rauscht vorbei, rauscht weiter, genau wie man selbst als Teil von ihr. Innehalten ist doch bloß Illusion, aber eine wichtige. Die Sinnhaftigkeit kollektiv verhasster Brandschutzverordnungen ist hingegen keine. „Silk To Dry The Tears“ ist eine Benefiz-Compilation, die Hälfte der Verkaufserlöse kommt der Initiative Safer DIY Spaces zugute.

Ripperton - Sight Seeing - WWalkman 24022018

Ripperton – Sight Seeing

Thaddeus: Der Schweizer Raphaël Ripperton gehört für mich zu den Produzenten, vor denen ich kategorischen Respekt habe, auch wenn ich nicht jede Veröffentlichung manisch und voller Aufregung verfolge, aufstöbere und sammle. Eine sichere Bank sozusagen, ein komfortabel ausgestatteter Nothalt am Rande der Techno-Autobahn im hyperaktiven Feierverkehr. Mit seinem neuen Album – dem ersten seit mehreren Jahren – nähert sich Ripperton dieser ganz eigenen Schnittstelle aus der entgegengesetzten Perspektive. „Sight Seeing“ ist ein Ambient-Album. Er selbst beschreibt die hier versammelten Stücke als „Postkarten an ihn selbst“ – ein Gegenentwurf zu seinem tagtäglichen Broterwerb in der Bassdrum-Fabrik. 15 großartige Tracks, mal lang, mal kurz, mal episch, mal fast in sich zusammenfallend. Melodien, die man schon immer mal aufnehmen und kontextualisieren wollte, Frequenzen, die sonst immer nur in anderen Zusammenhängen glänzen durften, Chords, die eigentlich nach anderen Lösungen schreien. „Sight Seeing“ ist eine sanfte Vollbremsung, die erst in der wissenschaftlich ermittelten Mitte der Konventionen wirklich zum Stehen kommt und dort beginnt, dunkelrot zu pulsen und zu glühen. Und dabei in aller Zufälligkeit so schlüssig arrangiert ist, dass ganz am Ende die Bassdrum eben doch schon wieder übernimmt. Keine Überraschung: Dieses Album begann sein Leben als Mixtape, als gesoundtrackter Endlos-Loop für die eigene Katharsis. Zerlegt, überlegt und sanft geblendet ist so ein wundervolles Album entstanden.

Don’t you know I’m loco?Berlinale 2018: „Unsane“ von Steven Soderbergh

Leseliste 25. Februar 2018 – andere Medien, andere Themen25 Jahre Tafeln, Modekrise, Bergung am Everest und Feminismus-Ausverkauf