Gonzos MetamorphosenBerlinale 2018: „Shut Up and Play the Piano“ von Philipp Jedicke

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Fotos: © Rapid Eye Movies / Gentle Threat

Chilly Gonzales ist viel mehr als der bebademantelte Mann am Klavier. Regisseur Philipp Jedicke verknüpft Interview-Passagen, Archiv-Material und Spielszenen zu einer Dokumentation über den Kanadier, der so schwer zu fassen ist. Das klingt weit experimenteller, als es ist.

„It’s not enough to be a Punk,“ sagt Jason Beck aka Chilly Gonzales, der in seiner etwa 30-jährigen Musikerlaufbahn schon vieles war, oft auch vieles gleichzeitig: Punk, MC, selbsternannter Präsident, Mann am Klavier. Nur eine Rolle war nie genug. Die Dokumentation Shut Up and Play the Piano zeichnet diese Metamorphosen nach und liefert das Portrait eines Musikers, der – „try living your life as a concept“ – stets anmaßend genug war, sich selbst als personifiziertes Gesamtkunstwerk zu inszenieren.

Zusammengehalten wird es von einem Interview, das Sibylle Berg geführt hat. Vor einem schweren Vorhang stellt sie Gonzales große Fragen. Und der weiß jederzeit originelle Antworten: Teenage Rebellion? Die Entscheidung fürs Außenseitertum sei auch nur eine Form der sozialen Konformitätserklärung. Rap? Eine kapitalistische Rachefantasie. Auch über seine weniger schmeichelhaften Features gibt Gonzales offen Auskunft, seien es diktatorische Anwandlungen im Tonstudio oder das Konkurrenzverhältnis mit dem ebenfalls als Musiker tätigen Bruder.

Regisseur Philipp Jedicke hat dieses Gespräch durch eigene Aufnahmen, Archivmaterial und Gespräche mit Weggefährtinnen wie Peaches oder Feist angereichert und zu einem Dokumentarfilm montiert, dessen Form nicht unbedingt experimentierfreudig ist: Oral History und Talking Heads heißen die handelsüblichen Mittel der Wahl. Allerdings verleiht sein Sujet dem Film einen doppelten Boden.

Denn je tiefer der Film in Gonzales’ Figurenrepertoire eintaucht, desto stärker wächst die Unsicherheit, ob nicht Sibylle Berg und Gonzales hier vielleicht auch nur eine Rolle spielen. Einmal ruft Gonzales, dass Journalisten die Wahrheit nicht verdienten. Spätestens da stellt sich die Frage, ob Shut Up and Play the Piano nun noch in Richtung einer Mockumentary kippen wird.

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Rollenspiel, Improvisation, Reflexion

Und tatsächlich gibt es eigens für diesen Film inszenierte Szenen. In einer veranstaltet Gonzales das Casting für einen Doppelgänger – sein Spiel mit Künstlerpersonas wird hier noch einmal verdoppelt. Doch bleiben diese grenzverwischenden Fiktionalisierungen etwas halbherzig. Anstatt ein konfliktuelles Feld zur dokumentarischen Form des Films zu eröffnen, scheinen sie lediglich eine spielerische Verneigung vor der Arbeitsweise des hier Portraitierten zu sein – eine eigenartig unterwürfig wirkende Geste.

Dafür zeigt Jedicke ein feines Gespür im Umgang mit dem zum Teil hinreißenden Material. Sein Film endet mit einem Ausschnitt eines Konzerts mit dem Wiener Radio-Symphonieorchester, der Gonzales’ Vielgesichtigkeit auf eine Formel bringt: noch während er sich die Hände sprichwörtlich blutig spielt, macht er sich über die eigene kunstwollende Geste lustig. Hier kulminieren Rollenspiel, Improvisation und Reflexion. Ein Entertainer, der die Mechanismen der Unterhaltung offenlegt, der die eigene künstlerische Strategie immer gleich wieder torpediert. Aus solchen Widersprüchen speiste sich das Interesse an Gonzales wohl schon immer. Shut Up and Play the Piano bekommt genau diese Momente gut zu fassen.

Shut Up and Play the Piano
Deutschland, 2018
Regie: Philipp Jedicke

Screenings während der Berlinale:
So, 25.02., 15:00: Colosseum 1

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