Plattenkritik: Caribou - Our Love„Wie Pizza mit fünffach Käse“ - Streitgespräch und Album-Stream

Caribou Our Love

Caribou ist zwar ein alter Bekannter, hat mit „Our Love“ allerdings erstmalig ein lupenreines Pop-Album geschrieben: Blumige Akkordfolgen und ganz viel Stimme. Ji-Hun Kim nennt das Signature Sound, Benedikt Bentler denkt: hoffentlich nicht. Wir liefern euch die Plattendiskussion und den Album-Stream - damit ihr euch gleich selbst ein Bild machen könnt.

##01. Can't Do Without You
Ji-Hun: Du meintest, das Stück sei schon tot gespielt.

Benedikt: Ja, ist auf jeden Fall schon ganz schön durch. Zumindest die Hook.

Ji-Hun: Wieso? Ist doch ein gutes Stück und ein solider Opener.

Benedikt: Ja, aber gerade weil es der Opener ist, ist es doch problematisch, dass der Track schon überall rauf und runter lief. Oder vielleicht doch ein Vorteil, schwer zu sagen. Mich nervt es eher. Aber andere kommen dadurch vielleicht besser rein.

Ji-Hun: Aber Dan Snaith kann doch nichts dafür, wenn jeder zweite DJ sich auf das Stück stürzt. Ich muss sagen, dass der Track gerade im Clubkontext erstaunlich gut funktioniert und auch hier auf dem Album eine klare Ansage macht, wohin der Cari-Bus fährt.

Benedikt: Kenne das Stück im Clubkontext gar nicht. Ich gehe nicht auf Vocals tanzen.

Ji-Hun: Wozu dann?

Benedikt: Beats und füllige Instrumentals. Aber bitte kein Singsang - zumindest nicht dominierend.

##02. Silver
Benedikt: Hier finde ich es allerdings richtig schön, wie er diese Vocals aus dem ersten Track wieder aufnimmt. Das zweite Stück fängt genau dort an, wo das erste aufhört. Nicht in Sachen Instrumentarium, aber was Gesang und Stimme angeht.

Ji-Hun: Im Vergleich zu „Swim“ ist hier noch mehr Arthur Russell zu hören und ein bisschen das alte Manitoba-Erbe von Caribou. Bei der Produktion wird auch deutlich, dass das Album einen ganzen Schritt nach vorne gegangen ist. Da steckt eindeutig mehr Penunze im Studio als zuvor. Oder anders: Es klingt erstmals nach einer größeren Studioproduktion.

Benedikt: Popkompatibel, aber trotzdem kommen die Sounds von ganz unten. Da ist eine Tiefe, die man im regulären Pop nur selten findet. Was auch immer regulärer Pop bedeuten mag.

Ji-Hun: Definieren sie Tiefe, Herr Bentler.

Benedikt: Schwierig zu sagen.

Ji-Hun: Tolle Synthesizer am Ende auf jeden Fall.

Benedikt: Irgendwie Regenbogen.

Ji-Hun: Meinst die Arpeggien?

Benedikt: Oder so.

Caribou bunt

Irgendwie Regenbogen?

##03. All I Ever Need
Benedikt: Klingt wie „Can’t do without you“, Nummer 2. Nee, mag ich nicht.

Ji-Hun: Nicht wirklich, oder? Klingt das letzte Lied nicht wie das hier?

Benedikt: Klingt alles bis jetzt ziemlich ähnlich.

Ji-Hun: So was heißt dann Signature-Sound. Ist auf jeden Fall ziemlich käsig. Nimmt schon relativ früh den offensichtlichen Konsens-Parkplatz ein und ein bisschen fühle ich mich wie beim iPhone. Irgendwie cool, aber so, dass es wirklich alle haben wollen. Ist das dann noch cool?

Benedikt: Meiner Meinung nach hat Caribou seinen Signature-Sound bereits. Und der klingt ganz bestimmt nicht so. Als einzelner Hit ist jeder Song gut, aber jetzt auf Albumlänge wird es schon bei Track 3 nervig.

Ji-Hun: Immerhin mit Dubstep-Ende.

Benedikt: Genau der Bass, in dem die Tiefe steckt, die ich angesprochen habe. Der kommt von ganz unten und drückt.Und aus.

Caribou Wiese

##04. Our Love
Benedikt: Oh Gott. Im Kopf erklingt schon wieder „I can’t do without you“. Das ließe sich easy auch über diesen Track singen.

Ji-Hun: Du hast aber einen schlechten Tag heute.

Benedikt: Nach diesem oder mit diesem wird es besser. Ich hab im Gefühl, dass Snaith mich da nicht völlig hängen lässt. Ein ganzes Album voll Pop traue ich ihm dann doch nicht zu.

JI-Hun: Auf den Stück spielt ja Owen Pallett Geige, was ich sehr gelungen finde. Womit ich mir nicht sicher bin, ist das offensichtliche Inner- City-Zitat am Ende. Ich war mal im M&M-Flagshipstore in New York, wo man nach Belieben sich mit Zucker, Schokolade und Erdnüssen in allen Varationen eindecken konnte. Kommt mir ein bisschen so vor. Bunt, viel, zitatreich, gekonnt naiv?

Benedikt: Sind wir schon am Ende? Gekonnt naiv ist nur gekonnt, wenn die Naivität auch wieder verlassen wird.

Ji-Hun: Wie meinen?

Benedikt: Ob Naivität gekonnt ist, lässt sich nur im Kontext erkennen.

##05. Dive
Benedikt: Aber das klingt jetzt schon viel besser.

Ji-Hun: Vor einigen Jahren, zu der Zeit als „Swim” herauskam, hat Caribou ja gerade das Schwimmen gelernt. Jetzt, wenn er auf Tour ist, soll er immer ein Schwimmbad in der Nähe haben und lange Bahnen ziehen. Ist „Dive“ der nächste Schritt?

Benedikt: Kein Quatsch?

Ji-Hun: Kein Quatsch, aber findest du als „Beats-Experte” das nicht fast trappig?

Benedikt: Ja, Trap ohne Drops, was der bessere Trap ist. Und zerstückelte Vocals, das ist doch wieder eher das typisch technische Caribou-Metier.

Ji-Hun: Trap ohne Drops, das müsste meine Mutter mal hören. Offensichtlich haben wir sehr unterschiedliche Soundvorstellungen von Caribou. Gerade mit seinen Daphni-Produktionen der vergangenen Jahre und seinen bummbummigen DJ-Sets scheinen mir fast die geraden Sachen stimmiger.

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06. Second Chance

Ji-Hun: Uh, mein „Lieblingsstück“. Könnte auch Katy Perry sein, singt aber Jessie Lanza, oder?

Benedikt: Ich wollte es gerade sagen: Taylor Swift? Austauschbares Pop-Stimmchen auf jeden Fall. Nee, skip mal. Das geht gar nicht.

Ji-Hun: Skippen machen wir nicht. Da müssen wir jetzt durch. Ich finde, es ist gerade wegen seiner Mainstreamigkeit ein wichtiges Stück des Albums. Weil einfach klar wird, wo das alles abgesteckt wird. Jetzt kann Caribou auch im Stern und der Bild der Frau gefeatured werden. Zedd mit ein bisschen Indie.

Benedikt: Sind nicht alle Songs ziemlich mainstreamig? Das eine mainstreamig Disco, das andere ist mainstreamig Radio. Da höre ich mir lieber FKA Twigs an, als dieses Stück. Ja, und heute noch gesehen: Caribou in der BZ.

Ji-Hun: Dir scheint das Album bis dato nicht so gut zu gefallen.

Benedikt: Ich vermisse einen Sound, der dazu einlädt, im Kopf zerlegt zu werden. Dieser omnipräsente Gesang macht das kaputt.

##07. Julia Brightly
Ji-Hun: Wenn, dann ist das hier für mich die „Can’t do without“-Reprise. Mit zwei Minuten auch wirklich nur eine Reprise.

Benedikt: Hast du eigentlich auf die Lyrics geachtet? Ich nicht so wirklich.

Ji-Hun: Ich bin auch kein Lyrics-Hörer, sonst würde ich auf Konstantin-Wecker-Konzerte gehen.

Caribou SW

##08. Mars
Ji-Hun: Ein guter perkussiver Clubtrack, hab ich auch schon aufgelegt und hat gut geklappt. Vor allem die Hippie-Querflöte gefällt mir gut.

Benedikt: Ja das kann ich mir gut vorstellen. Das gefällt mir auch wieder besser: Ums-Feuer-Tanzen 2014.

Ji-Hun: Meinst du Burning Man?

Benedikt: Da hat es doch mit dem Feuer nicht so geklappt in diesem Jahr. War da nicht was mit Unwetter? Glaube, der offizielle Start ist ausgefallen.

Ji-Hun: Ist aber auch nur bedingt schlimm für den Verbleib der Menschheit gewesen, denke ich. Ist das ein „Hallo” im Vocal-Loop? Könnte man als Handy-Ringtone benutzen.

Benedikt: Jetzt, wo du es sagst. Vorher hätte ich das aber nicht so rausgehört. Aber ein bisschen Abwechslung darf der Track noch mit sich bringen.

Ji-Hun: Och, da passiert schon was. Da, die Hi-Hat und noch ein neues Vocal-Sample. Das ist in Techno-Währung gerechnet schon fast episch.

Benedikt: Die Hi-Hat war so ziemlich die einzige Veränderung der Percussions. Aber jetzt passiert doch noch was. Jetzt geht es doch in sanften, smoothen Techno über. Ganz lieb.

Ji-Hun: Die typischen Akkord-Progressionen halten das mal wieder zusammen, zieht sich als Leitfaden aber auch durch.

Benedikt: Und genau wenn es am besten wird, ist der Track vorbei.

##09. Back Home
Ji-Hun: Aha, das ist dann die Kitsuné-Softpopnummer.

Benedikt: Mach mal Licht aus und Kerzen an.

Ji-Hun: Das hättest du jetzt gern.

Benedikt: „It’s not up to me“ - der Song hat geantwortet.

Ji-Hun: Um mich zu kriegen, muss es schon Marvin Gaye oder Barry White sein. Außerdem wird es ja wieder trancig in der Mitte. Aber auch hier wieder ein typischer Aufbau. Gar nicht so der klassische Songaufbau, sondern ein lang gezogenes Crescendo. Hat man jetzt schon oft gehört. Das kommt dann durch die Clubsozialisation. Drop.

Benedikt: Jetzt wird es richtig füllig. Doch keine Softpop-Nummer, welch ein Glück. Ist doch schade, dass fast jeder Track im Finale seinen Höhepunkt hat und dann schnell zu Ende ist. Das ist nicht konsequent. Da hätte Snaith sich lieber an klassische Techno-Track-Längen halten sollen, als diese drei, vier Minuten Pop-Spielzeit.

Caribou wide

##10. Your Love Will Set You Free
Benedikt: Hatten wir das nicht schon?

Ji-Hun: Sag ich ja, das ist eigentlich der Loop aus dem dritten Song. Nur mit mehr Flanger.

Benedikt: Ich bin ja nicht so der Flanger-Fan.

Ji-Hun: Kommt ja immer auf den Einsatz an. Aber was sagen wir nun. Zum Abschluss? Objektiv gesehen ist das ja eine super Platte. Prima produziert, reichhaltig, viele Referenzen, feine Songideen, schöne Akkorde. Aber ganz persönlich: Mir ist das zu anbiedernd, zu viel, zu viel schöngestrichene Emotion. Wie ein Telenovela-Marathon oder eine Pizza mit fünffach Käse.

Benedikt: Die Kunst wäre es gewesen, die Nerdigkeit vorheriger Produktionen aufrechtzuerhalten und trotzdem einen Popzugang zu finden. Ich finde das ist schon ganz schön klassisch durchdekliniert. Zwar konsistent, weil es Akkorden und Rhythmen gibt, die sich komplett durchziehen. Aber leider ist diese klassische, sich wiederholende Akkordfolge viel zu sehr im Vordergrund: Da wird nichts im Hintergrund zusammengehalten, sondern da ist ein fetter Stempel vorne drauf. Und die Vocals: Naja. Zu viel. Ein paar Instrumentalstücke hätten das ruhig aufbrechen dürfen. So wie bei Moderat II zum Beispiel.

Ji-Hun: Der Vergleich mit Moderat kommt aber spät. Vielleicht. Caribou wird aber auch mit diesem Album einer der wenigen Künstler sein, bei dem sich Panorama-Bar- und Karrreraklub-Publikum selig in den Armen liegt. Ich bin mal gespannt, was da alles an Remixen kommen wird. Da wird sich die Producer-Elite nicht zweimal bitten lassen, die Songs werden uns noch eine ganze Weile verfolgen.

Benedikt: Dessen bin ich mir sicher.

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