Plattenkritik: Julius Steinhoff - Flocking BehaviourOutsider-House für Drinnenbleiber - ein Streitgespräch

Flocking Behaviour

Nachdem Smallpeople 2012 mit „Salty Days“ das schönste Detroit-Album aus Hamburg veröffentlicht haben, ist dieses Jahr Julius Steinhoff solo dran. Der Mitbetreiber des Labels/Plattenladen Smallville aus St. Pauli, DJ und Produzent bleibt bei „Flocking Behaviour“ seiner Linie treu. Klassisch, rau und immer ein bisschen sentimental ist sein Entwurf von House. Die Deephouse-Deppen vom Dienst Thaddeus Herrmann und Ji-Hun Kim haben sich die Platte gemeinsam angehört. Über Leftfield für Rechthaber, flüsternde HiHats und Ornithologie.

01. Where Days Begin

Ji-Hun: Wie heißt dieser Song?
Thaddeus: Where Days Begin.
Ji-Hun: Das ist aber auch ein Romantiker, oder?
Thaddeus: Das ist doch eh klar. Smallville, die Smallpeople, das ist doch ein Knutschverein. Was mich an diesem Track gleich so anmacht, ist das Sprach-Sample. Das ist einfach genau mein Sound.
Ji-Hun: Ein bisschen Blade Runner mit den Synths. Aber geht sehr schön gerade los.
Thaddeus: Wie wäre das wohl gewesen damals, wenn Decker in Bladerunner immer „Chicgao, Detroit“ gesagt hätte? Hmmm ... diese Bassline! Badabadbadadaaaaaa.
Ji-Hun: Die Bassline ist in der Tat der Hammer. Ist das jetzt eigentlich noch Hamburg-House?
Thaddeus: Neee. Das ist auch der Grund, warum ich die Platte so toll finde. Durchgängig. Es ist - klar, wieder mal - die große, historische Geste. Aber auch die geht ja regelmäßig schief. Hier ist das nicht so. Das war übrigens vor allem MOLL gerade. Glaube ich.
Ji-Hun: Andere gemeine Frage: Könnte das nicht auch ein Smallpeople-Album sein?
Thaddeus: Warte mal, wir rufen Just mal eben an.

„Ein wirklich gutes Vintage-Fixie für junggebliebene Großstädter.“

02. Treehouse

Thaddeus: Mist, Just geht nicht ans Telefon. Können wir nicht verifizieren. Hier flüstert alles. Nicht nur die Stimmen, die schon wieder da sind, auch die HiHats. Bring mal eine 909 zum Flüstern. Die ist ja eigentlich ein Brüllaffe.
Ji-Hun: Ich finde, hier kommen alle typische, beziehungsweise prägnanten Momente zusammen. Diese Zurückgenommenheit. Das Filtern, das aber nur auf der Hauptspur der Bassline liegt. Punk in der Ausarbeitung, aber doch tief elegant. Wie ein alter Maserati.
Thaddeus: Also Oldtimer-Techno?
Ji-Hun: Viel eher so ein wirklich gutes Vintage-Fixie für junggebliebene Großstädter?
Thaddeus: Also ein bequemer, gut ausgebauter Fahrradweg.
Ji-Hun: Genau. Für Oldtimer-Techno fehlt mir so was wie Jeff Mills oder Tanith.
Thaddeus: Das ist aber ein großes Problem bei ganz vielen Tracks, die mit der vermeintlichen alten Zeit spielen. Da klappert es dann immer nur. Das hier ist - du hast es selbst gesagt - sehr elegant. Das ist der entscheidende Unterschied. Eleganz trifft man selten in Detroit.
Ji-Hun: Es klappert der Techno im rauschenden Bach, Klipp Klapp.
Thaddeus: Wollen wir ein Label gründen, das Außenalster heißt?
Ji-Hun: Lieber „Pommes mit Mayo“, aber auch gut.

Flocking Artwork 1

Das Artwork stammt von Stefan Marx.

03. Under A Waterfall

Ji-Hun: Ab jetzt sag ich Trademark-Sound. Jetzt hat auch der Beatport-Kunde verstanden, was Phase ist.
Thaddeus: Es ist nicht nur der eigenständige Sound, der Moderne und Vergangenheit zusammen denkt, es ist auch die Beständigkeit. Der Julius, der weiß wie ein Album geht. Das wissen sonst nur ganz wenige. Es macht großen Spaß, das von A bis Z zu hören. Passt alles zusammen.
Ji-Hun: Aber wenn man nicht so ein Deephouse-Depp ist, wie wir beide, dann kann man das doch auch langweilig finden?
Thaddeus: Anders: Wenn man kein Deephouser ist, dann muss man das langweilig finden. Keine Drops.
Ji-Hun: Elitarismus durch Monotonie. Das ist doch die Normcore-Steilvorlage. Da will ich nicht mitmachen!
Thaddeus: Keine Monotonie. Und jetzt - tatsächlich - ein Drumroll, zumindest im Ansatz. Also: Bähm! Geht ab wie ‘ne Hafenrundfahrt bei steifer Brise.
Ji-Hun: Mit Abstand der groovigste Track bis jetzt.

04. Hey You

Ji-Hun: Mit der Orgel das erste Mal ein bisschen Schlager. Könnt jetzt auch so ein Jürgen-Paape-Vocal kommen.
Thaddeus: Geht das? Lass uns mal drüber schwofen: “Wir hören ein Singen im Raum, Singen im Raum, wir jagen die Monotonie“ … geht schon!
Ji-Hun: Passt. Arsch auf Eimer.
Thaddeus: Und ja eigentlich auch endlich mal das gewagt, womit Jimi Tenor früher immer untergegangen ist. Orgel und 808. Also der Alleinunterhalter, der Technik-Magazine liest und immer die neuste Ryhthmusbox am Start hat.
Ji-Hun: Wer hier Orgel sagt, muss auch Carsten “Erobique” sagen. Allerdings ist mir das hier ein bisschen zu dudelig, wie alte Jus-Ed-Platten auf Underground Quality, da hab ich mich fast bei jeder Platte im Nachhinein geärgert. Dass sie … na so dudeln.
Thaddeus: Ich hab auch noch den Schrank voll damit. Und mag sie nicht mehr hören.
Ji-Hun: Aber haben Smallpeople doch schon Platten auf UQ gemacht. Das wäre ja der Bogen.
Thaddeus: Da war was. Stimmt. Warum reden wir eigentlich über Jus-Ed? Wir müssen mal wieder über den Atlantik zurück. Von mir aus auch im Zeppelin, da ist die Aussicht besser. Und bei so einem Track will man doch einfach rausgucken.

Flocking Behaviour Artwork 2

05. Sun and Stars

Thaddeus: Jedes gutes Album wird durch eine Coverversion noch besser. Das hier ist die von Julius.
Ji-Hun: Jetzt erklär mal.
Thaddeus: Na, das klingt doch exakt wie „The Other Peoples Place“.
Ji-Hun: Let me be what i wanna be?
Thaddeus: Nicht der Track, aber die Platte, genau!
Ji-Hun: Hmm. Da bin ich jetzt nicht drauf gekommen. Aber ja. So was muss guter House aber doch auch liefern und vor allem abhaben können, oder?
Thaddeus: Absolut. Siehe oben. Eine Coverversion macht auf einem guten Album alles noch besser. Ist ja auch eher eine Verneigung vor dem Tiefwasser-Spielplatz von Drexciya.
Ji-Hun: Der bis jetzt beste „Song“, auch wenn der Titel klingt wie bei einem Mittelstufen-Mixtape.
Thaddeus: Die Toms klopfen so phänomenal wie bei einem Bieber.

06. Flocking Behaviour

„Angry Birds wäre ein Dreh. Schweine-DJs abknallen.“

Thaddeus: Das Schwarmverhalten in der Vogelwelt. Hättens Sie's gewusst?
Ji-Hun: Ornithologie ist meine Sache nicht, Herr Herrmann.
Thaddeus: Dann mal folgendes in das Poesiealbum geschrieben: The English in general and the British in particular are crazy about birds. Nun kommt der Julius ja aber aus Hamburg.
Ji-Hun: Falsche Konnotation. Ich muss jetzt an Angry Birds denken.
Thaddeus: Das wäre doch ein Dreh, den es noch nicht gibt. Gute Spielvariante. Schweine-DJs abknallen.
Ji-Hun: Angry Birds Smallville? Mit Detroit-Baseballkappe? Wird leider keiner kaufen. Außer uns.
Thaddeus: Ich auch nicht, mit passen doch keine Mützen. Aber bei dem Spiel wäre ich dabei. Pro Level ein anderes Musikgenre.
Ji-Hun: Die Schweine-Level wären aber cool. Ibiza, Melt und der Endgegner auf der Fusion.
Thaddeus: Du musst internationaler denken. Wie heißt das beknackteste Ami-Festival?
Ji-Hun: Coachella? Ah nee! Ultra Music in Miami!
Thaddeus: Das klingt angemessen. Wie kamen wir jetzt darauf? Ah! Flocking Behaviour. Ist der Julius denn eher ein Spatz, ein Storch, oder doch vielleicht eine Eule? Moment. Fliegen die überhaupt in Gruppen?
Ji-Hun: Ornithologie ist meine Sache nicht, Herr Herrmann.

Flocking Behaviour Artwork 3

07. Cheetah Nights

Ji-Hun: Da fällt uns jetzt beiden nicht viel ein, he?!
Thaddeus: Ging schon los? Ah! Rattert rein.
Ji-Hun: Gute Drums auf jeden Fall. Das klingt alles so anti-mainfloor.
Thaddeus: Ist aber genau mein Mainfloor. Stehst auf der Gästeliste.
Ji-Hun: Du und Mainfloor, hör mir auf.
Thaddeus: Um den Track zu zitieren? What about?

08. All the things you are

Thaddeus: Closer. Kurzes Album.
Ji-Hun: Wieder zurück zum Anfang. Bassline, wenige Sounds. So konstant wie ein deutsches Sparbuch.
Thaddeus: Haben wir schon über die Stimmung des Albums gesprochen? Die ist bis auf den Orgel-Track ja ziemlich konsistent unten. Im Sinne von wattig, gut verpackt.
Ji-Hun: Ja ne, die balearische Sonne strahlt mir jetzt nicht aus dem Arsch. Da wir heute aber im Juni 12 Grad haben wohl prima.
Thaddeus: Finales Statement?
Ji-Hun: Es ist auf seine Art perfekt. Wenn auch selbstreferienziell. Eine ganz eigenen Blase, die da geschaffen wird. House in der Tradition eines einsamen Blues-Gitarristen mit schnarrendem Vierspur-Gerät.
Thaddeus: Outsider House für Drinnenbleiber.
Ji-Hun: Leftfield für Rechthaber? Nein, jetzt reicht’s.

Julius Steinhoff, Flocking Behaviour, ist auf Smallville erschienen.
Bei Amazon oder bei iTunes kaufen.

“Pop möchte geteilt werden, aber sich nicht festlegen lassen“How To Dress Well über verbindlichen Pop, verdrängte Träume und Rahmenbedingungen des Sich-Verliebens

Leseliste: 29. Juni 2014 - andere Medien, andere ThemenAlte Feindbilder, wirtschaftlicher Niedergang in den USA, Aaron Sorkin, Heimautomation