„Jeden Tag Techno ist auch irgendwie blöd“Shed aka Head High im großen Sommer-Interview

Shed lead full

René Pawlowitz ist ein Mann mit vielen musikalischen Gesichtern. Ob als Shed, Head High, Wax oder auch EQD, ob auf seinem Stamm-Label Monkeytown oder für eine seiner zahlreichen eigenen Vinyl-Serien: Im Zentrum von Sheds Universum steht immer der Techno. Pur, unverfälscht, ohne die Auswüchse des globalen Rave-Zirkus. Pawlowitz meint es ernst mit der Bassdrum. Das spürt man in jedem Takt seiner Produktionen. So viel Realness führt aber auch zu einem kontinuierlichen Hadern mit dem Geschäft, in dem Pawlowitz so erfolgreich unterwegs ist. Da ist ein Konzert wie das beim Berlin Atonal-Festival in der kommenden Woche eine willkommene Abwechslung. Kein Hochdruck-Rave, sondern Freestyle. Dort wird Pawlowitz auch Visuals in seine Performance einbauen. Shed wäre aber nicht Shed, wenn er nicht auch dafür einen Plan hätte, der anders ist als die standardisierten A/V-Aufführungen, mit denen sich die Techno-Welt derzeit Kredibilität erarbeiten will. Nicht gegen den Strich, aber eben anders, persönlicher.

Das große Das Filter-Interview zum Status quo des Techno im Jahr 2015.

René, was hat dich dazu bewogen, jetzt auch Videos bei deinen Live-Shows zu integrieren?
Auch wenn es das Atonal so ankündigt: Es ist keine Premiere. Ich habe das in der Vergangenheit schon ausprobiert, bei der Record Release Party zu meinem letzten Album zum Beispiel. Da waren Hühner in Zeitlupe zu sehen. Das fanden nicht alle wirklich komisch. „Kannst du doch nicht machen! Ist doch voll langweilig“. Ist es eben nicht. Bei mir sind Bild und Musik voneinander abgekoppelt, auch nicht miteinander synchronisiert, da ist auch nichts animiert oder in 3D. Meine Musik ist schnell, die Bilder langsam. Ein guter Kontrast. Das soll sich auch in den Motiven niederschlagen, die es auf der Leinwand zu sehen gibt. Die Bilder sollen vor allem still sein und nicht von der Musik ablenken.

Woher kommt das Material?
Von mir. Zusammen mit meinem Bruder habe ich kleine Maschinen entworfen und gebaut, auf die eine Kamera montiert werden kann. Die Maschine macht dann ganz sanfte Bewegungen, sachte Drehungen. So verändert sich das Motiv kontinuierlich, aber sehr subtil. Sonne, Wolken, Kontrast: All das kann toll wirken, wenn das Bild an sich statisch ist.

A/V ist aktuell ein sehr beliebtes Format.
Ein unglaublicher Technik-Wahnsinn wird da jeden Abend auf die Bühnen gerollt, es blinkt und blitzt überall. Mit der Musik hat das ja schon lange nichts mehr zu tun. Aber das passt irgendwie, denn die Musik ist ja auch kein Techno mehr. Ich habe die Hühner auch noch als Backup im Kopf für das Atonal, falls mein Rechner mit dem Rendering des neuen Materials nicht fertig wird. Die sind nämlich wirklich cool. Und auch der technische Aspekt der Videos ist interessant für mich. Wir haben dafür eine Hochgeschwindigkeitskamera verwendet, allerdings nicht die Tollste, dadurch bekommen die Aufnahmen so eine gewisse Patina. Die Kamera kann die Bilder einfach nicht schnell genug auf der Speicherkarte ablegen. Dadurch entsteht eine sehr spezielle Ästhetik. 500 Bilder pro Sekunde, leicht verpixelt und weichgezeichnet. Das in Zeitlupe sieht schon einzigartig aus. Da kommt dann auch der Kontrast zu meiner Musik besonders gut raus. Komplette visuelle Entschleunigung. Die Bilder lenken nicht von der Musik ab, sind aber doch spannend genug, um nicht ständig nach vorne zu starren.

„Hühner sind doch auch viel cooler als LED-Wände.“

Warum klinkst du dich in diese Art der Performance überhaupt ein, wenn du es eigentlich übertrieben findest. Das höre ich so raus bei dir. Habe ich da recht?
Ja und nein. Ich finde es schon schön, wenn man Musik macht und dabei eine Art personalisierte Rückwand hat. Man lernt das, wenn man viel auf Tour ist wie ich. Der Act vor dir hat eine Mords-Show, der Act nach dir auch. Und mittendrin dann ich, ohne alles und in Schwarzweiß. Dann heißt es wieder: Seine Platten sind zwar cool, live ist das aber total langweilig. Das will ich natürlich nicht hören. Wenn die Leute hinterher sagen: Ey, das war … irgendwie anders, dann ist schon alles gut. Hühner sind doch auch viel cooler als LED-Wände.

Shed 02

Aber ist die vermeintliche Ablenkung von den Musikern auf der Bühne, der einzige Grund, warum große Video-Performances im Moment so beliebt sind?
Das ist reine Ablenkung. Techno an sich hat ja nichts Unterhaltendes im Konzertgeschäft. Aber weil Techno mittlerweile so groß geworden ist, musste eine Strategie her, den Leuten mehr zu bieten. Das hat ja auch nichts mehr mit kleinen Clubs zu tun, wo ein VJ zur Musik seine Videos baut. Techno spielt sich auf großen Bühnen ab, mit viel Publikum, dem etwas geboten werden soll. Für mich macht das relativ wenig Sinn. Das passt doch nicht zu Techno. Immerhin steht das Publikum noch und sitzt nicht wie im Theater.

Das Atonal hat ja auch wenig mit klassischem Techno zu tun. Du stichst da schon heraus. Für das Festival wurden auch ein paar amtliche Industrial-Leichen ausgebuddelt. Dass die alle noch leben!
Ich muss auch zugeben, dass ich von vielen Künstlern noch nie etwas gehört habe.

„Warum glotzt das Publikum in Richtung der DJ-Kanzel? Und warum ist die 30 Meter über dem Dancefloor?“

Warum wird elektronische Musik immer konzertanter?
Kann ich nicht beantworten, finde es aber wirklich gruselig. Ich kann damit auch überhaupt nicht umgehen. Ich mag es nicht, wenn mir bei der Arbeit zugeschaut wird. Und live spielen ist Arbeit, ich muss mich wirklich sehr konzentrieren. Bei DJs ist es ja noch schlimmer. Warum glotzt das Publikum in Richtung der DJ-Kanzel? Warum ist die 30 Meter über dem Dancefloor? Bei Festivals ist es am schlimmsten. Warum werden DJs hinter ihren zwei CD-Playern angehimmelt und so abgefeiert. Die haben ihre Tracks doch vorher schon komplett synchronisiert. Das steht alles in keinem Verhältnis mehr zur Musik. Es ist ein extrem aufgeplustertes Geschäft, in dem deutlich zu viel Geld bewegt wird. Macht ja auch Sinn: Techno ist billig. Ein Typ, ein Laptop, fertig. Keine Crew, keine Band, keine große Produktion. In der Regel wenigstens nicht.

Ist das nicht ein Generations-Problem?
Das stimmt wohl. Ich hätte mir vor 20 Jahren auch nicht vom einem 40-jährigen DJ Techno erklären lassen wollen. Aber es gibt immer noch genug Menschen, die meine Musik hören wollen.

Lässt sich dieser Wahnsinn sinnvoll zurückbauen? Festivals, schneller, höher, weiter?
Das erledigt sich ganz von allein, da bin ich mir sicher. Das wird eine ordentliche Midlife-Crisis bei vielen DJs und Musikern provozieren.

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Du hast dank deines Projekts „Head High“ im letzten Jahr nochmals einen großen Sprung nach vorne gemacht. Du kannst noch nicht aufhören.
Das stimmt. Ich merke das nicht nur anhand von Bookings, sondern tatsächlich auch bei den Plattenverkäufen. Mit Shed hatte sich das alles ganz gut eingespielt, jetzt wollen mich plötzlich alles als Head High buchen. Ich mache mir da ziemlich viel Gedanken zu. Weil das Projekt ja ganz klar auf den 90er-Jahre-Sound abzielt. Der zieht sich mittlerweile durch alle Genres. Und bei „uns“, im Techno, ist es genau das Gleiche: das xte New-York-House-Revival mitnehmen, Reissue nach Reissue. Das kann’s ja auch nicht sein. Ich habe noch so ein anderes Projekt, sehr technoid und überhaupt nicht Retro: An diesen Verkäufen merkt man dann schnell, wie der Hase läuft. Ich mache mir da aber keinen Stress, im Moment habe ich eh keine große Lust, Sachen zu veröffentlichen. Mir dauert das alles zu lange mit dem Vinyl. Meine letzte Platte hatte ich nach der Testpressung faktisch vergessen, bin dann irgendwann in Urlaub gefahren. Plötzlich ruft der Vertrieb an: „Die Platten sind da!“ Ich wusste nicht mehr, welche Platte das wohl sein könnte. Die neue Head High habe ich auch schon als Anpressung. Ich will die gar nicht bestellen.

Dann eben nur digital.
Digital zählt nicht. Dann lieber gar nicht.

Das ist ein Widerspruch, den ich von allen Seiten höre. Alle spielen digital, geben aber die Vinyl-Produktion nicht auf. Warum ist das so?
Ich wollte eigentlich die Maxi-CD wieder beleben. Das geht doch flott mit der Produktion.

Dann aber bitte als 3“-Variante, damit sie auch in keinem Laptop gespielt werden kann.
Gab es da früher nicht die Adapter? Egal. Es geht doch eigentlich darum, etwas zu besitzen. Warum sind Tapes wieder so en vogue gerade? Die hört doch auch keiner, gemacht werden sie dennoch.

Du wünscht dir die „gute alte Zeit“ zurück. Wenn dich jemand heute spontan buchen will, dann kann er das aber auch nicht mehr, oder? So wie früher?
Natürlich nicht von heute auf morgen, aber faktisch geht das noch, ja. Ich spiele in diesem Zirkus nur bedingt mit. Ich würde meine Person auch nie über die Musik stellen. Genau so funktioniert das Business ja mittlerweile.

Kann man das sauber trennen? Gerade bei solchen Festivals wie dem Atonal, wo sehr genau kuratiert wird und ein gewisser Anspruch immer und überall mitschwingt?
Ich empfinde das eher als Chance. Weil man sich aus dem alltäglichen Wahnsinn kurz rausziehen und auch eine andere Seite seiner Musik zeigen kann. Techno an sich ist nicht schlecht, aber Techno jeden Tag ist auch irgendwie blöd. So wie wenn man im Supermarkt jeden Tag an der Kasse sitzt. Bei so einem Festival ist der Rahmen wenigstens klar definiert. Auf der Party XY ist das nicht so. Das macht mir schon zu schaffen, weil ich nie wirklich einschätzen kann, was auf mich zukommt.

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„Man weiß einfach nicht mehr, was man selbst wert ist.“

Spürst du, wenn du weit weg bist, da einen Unterschied im Vergleich zu Gigs in Deutschland oder Europa?
Ich spiele eigentlich nur noch in Europa. In vielen anderen Ländern hat sich die Szene sowieso auch stark verändert. In Japan zum Beispiel mussten ganz viele Clubs schließen, wegen eines neuen Pseudo-Gesetzes, mit dem die Regierung die Drogen in den Griff bekommen will. Und dann wollte mich ein Festival in Japan buchen, das mir vertraglich eine Sperrfirst von drei Monaten vor und nach dem Gig für Japan rein drücken wollte. Jetzt geht das da auch schon los.

Wo läuft es denn sonst noch nicht rund?
Ich merke, dass ich mich zunehmend weniger auskenne in der Musik. Ich habe ja lange Jahre im Hardwax gearbeitet, da wusste man genau Bescheid über neue Platten, hat alles exakt mitgeschnitten. Es gab auch faktisch noch Dinge zu entdecken. Heute ist es so, dass ich mir teilweise nicht mal mehr Track-Titel merken kann. Selbst von Stücken, die ich ständig spiele. Vielleicht, weil man immer öfter eben nicht mehr in den Laden geht, um sich mit Musik zu versorgen. Das verdammte Internet ist immer schneller. Das bedeutet ja auch, dass nichts mehr wirklich wachsen kann. Von Null auf 100 und dann wieder aus dem Sinn. Ich mag das nicht. Und das bildet auch die musikalische Landschaft nicht ab. Platten werden nicht mehr ausreichend verkauft, Files auch nicht. Wer bleibt übrig? Die, die immer spielen. Egal was. Das ist doch aber ein grundlegendes Missverständnis: DJs verdienen ihr Geld mit Gigs und sind nicht auf die Einnahmen mit ihren Platten angewiesen. Dann kann man sich die Musik ja auch umsonst ziehen. Dass es auch Produzenten gibt, die gar nicht auflegen können oder wollen, wird überhaupt nicht wahrgenommen. Was ist denn mit denen? Die bleiben auf der Strecke. Den Leuten im Club – in der breiten Masse –, denen ist es doch egal. Die gehen eh jedes Wochenende aus, vollkommen unwichtig, wer wo spielt. Man weiß einfach nicht mehr, was man selbst wert ist. Weil du nicht stattfindest, weil Resident Advisor keine zehn News pro Woche über dich schreibt.

Das klingt alles nicht gut.
Gibt aber auch andere Beispiele. Letztes Jahr hab ich auf der Isle Of Wright gespielt, ein Riesenfestival, auf einem Dancefloor für 12.000 Leute. Vor mir spielte so eine Hippie-Band. Total cool. Als ich anfangen sollte, spielten parallel Outkast auf einer anderen Bühne. Also erstmal alle weg. Ich geh an den Bühnenrand, guck da runter und da stehen fünf Leute. Auf einem irre großen Feld. Fünf Leute. Na gut, dann eben für euch. Faust hoch und los. Es kamen dann am Ende schon 3.000 Leute zurück zu mir, das war dann auch voll ok. In den Monaten danach habe ich bei anderen Gigs immer wieder Leute getroffen, die mich da gesehen hatten. Die sagten alle: Outkast ist scheiße. Also. Geht doch.

Das Atonal-Festival findet vom 19. bis 23. August in Berlin statt. Mit u.a.: Clock DVA, Shackleton, Lustmord, Peder Mannerfelt, Bitstream, Ryo Murakami, Lakker und FIS. Shed spielt am 22. August mit Video-Performance und später am selben Abend noch als Head High.

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