Hinter der HorizontalenPontiac Streator, Shinichi Atobe, Lamin Fofana – 3 Platten, 3 Meinungen

RT-Juli 2020 - lede

Unsere Party? Das Google-Doc. Unsere Hoffnung? Vogel-Bilder im Slack. Blumberg, Cornils und Herrmann tippen sich remote und safe die Finger wund zu drei neuen Alben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und die doch vieles verbindet. Pontiac Streator, ein Buddy von Huerco S, ziseliert ambiente Konzepte in unsicheren Zeiten. Shinichi Atobe, Held der Spätphase von Chain Reaction, tritt dem Dub-Techno vor die Kniescheibe und erschafft blühende Landschaften zwischen allen Stühlen. Und Lamin Fofana wagt den Rückstoß zum Ursprung aller Popmusik – dem Blues. Drei stille Platten, trotz aller Diskurstauglichkeit, einem Universum aus funkelnden Spiegelreflexen und dem klar politischen Duktus hinter dem Vorhang des Elegischen. Am runden Tisch der Musikkritik wird aufmerksam gelauscht, analysiert, verworfen und auf den Thron gehoben. Was auch sonst soll man tun in Zeiten, in denen sich die Clubkultur als maskenfreies Speak-Easy auf alle Zeiten selbst demaskiert. Marching on.

RT Juli Pontiac Streator Artwork

Pontiac Streator, Triz, ist auf Motion Ward erschienen.

Pontiac Streator – Triz (Motion Ward)

Christian: Pontiac Streator ist ein Dude aus Philadelphia, der zuvor bei Huerco S’ tollem Label West Mineral Ltd. veröffentlicht hat, unter anderem hat er dort auch Kollaborationen mit Ulla Straus vorgelegt. Sein neues Album bei Motion Ward nimmt aber einen anderen Pfad. Ich mag vor allem Tracks wie den Opener. Dieses dubbig-perkussive Grummeln über einem stehenden Soundscape. Ich höre das irgendwie als Aktualisierung von eher ambienten Chain-Reaction-Platten oder sogar älterer Jan-Jelinek-Stücke. Nur ist das hier weniger ernsthaft, sondern eher gut abgehangen. Gelegentlich hängt über „Triz“ auch eine dicke Haze-Wolke – beim dritten Track gibt es z.B. ein Jazzgitarren-Sample, das ein bisschen fürchterlich ist, da schmeckt „Triz“ dann beinahe nach dem Downbeat der späten 90er. Boom-Bap-Ambient. Und später rutscht das Album – ausgerechnet beim Track mit Ulla – einmal in Japan-Ambient-Klischees aus: Gezupftes mit allzu großzügigem Delay. In diesen Momenten ist da für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Käse drauf. Aber sonst habe ich nicht viel zu meckern, das schöne Schlusswort bzw. -Sample versöhnt mich eh komplett: „I'm stuck in a cave, what's happening?“

Thaddi: Mit erinnert das in Passagen an Releases auf em:t – ich könnte immer noch kotzen, dass ich diese CDs nicht mehr habe. Der Ambient auf diesem Label klang auch immer sehr dunstig, dabei aber auch sehr präzise, fast hochgezüchtet. Das würde ich Pontiac auch ins Gästebuch schreiben wollen. Trotz aller Looseness ist das doch tighter, als man zunächst zugeben möchte. Schon sehr schön und traditionell. Und unbedingt britisch, aber in dieser Traditions-Blase würde ich ihn eh verorten. Also würde ich Christian widersprechen. Das ist nicht Japan – ist mir eh zu hip als Referenz dieser Tage – sondern durch und durch UK.

Kristoffer: Ich finde diese Musik völlig ortlos, weil sie strömt, zum einen Ohr rein nämlich und dann zum anderen raus. Dazwischen funkeln ein paar Spiegelreflexe, die dann aber fix verglühen. Kurzum: Ich mag’s. Und kann mich mit dem Chain-Reaction-Vergleich anfreunden, es ist gleichermaßen rau und glatt, wie die besten Platten auf diesem Label, von dem später noch die Rede sein wird. Ulla ist natürlich auch die perfekte Partnerin für Pontiac Streator und Huerco S’ Label die unbedingte Heimat für solche Musik. Hier passt alles. Auf eine Art vielleicht, die mich nicht noch weiter als die paar Durchläufe beschäftigen wird, aber das muss sie auch nicht. So viel Ambient ist das dann doch, und zwar in Reinform. Insert Eno quote here.

Gibt es eigentlich zwei Labels, die Chain Reaction heißen?

Thaddi: Rau finde ich das nicht. Und ich frage mich: Gibt es zwei Label, die Chain Reaction heißen? Weil: Das Fundament dieses Label-Sounds, der zugegeben auf die unterschiedlichsten Arten durchdekliniert und in der späten Phase deutlich aufgebrochen bzw. weiterentwickelt wurde, dieses Fundament also höre ich hier gar nicht.

Christian: Ich weiß schon, was du meinst. Es gibt eben die Ambient-Nähe der flächigen Chain Reaction-Alben und dann die technoideren 12"s. Letztere waren sicher prägender – und mit denen hat „Triz“ auch nicht so viel gemein. Aber als Kategorie hat sich das verselbstständigt glaube ich. So wie mit Basic Channel: Wenn jemand Basic Channel sagt, ist ja meist der Maurizio-Sound gemeint.

Thaddi: WOW! Aber ja, das ist so wahr wie schlimm.

Ich höre einen bestimmten klanglichen Grundkontrast in dieser Musik, wie ich ihn von Chain Reaction auch gewöhnt bin.

Kristoffer: Okay, vielleicht führe ich das etwas aus oder korrigiere mein Vokabular: Mit rau meine ich eine gewisse Grobkörnigkeit und mit glatt die relativ smoothen Sounds, die mich in der Ulla-Kollaboration übrigens nicht in Tokyo bei Nacht, sondern tagsüber an den Decks von José Padilla abholen – das richtet sich schon gen Café del Mar. Wie dem auch sei: Ich höre einen bestimmten klanglichen Grundkontrast in dieser Musik, wie ich ihn von Chain Reaction auch gewöhnt bin. Dass es nun aber exakt so klingen würde wie bestimmte Chain-Reaction-Releases, das will ich nicht behaupten. Auch, weil Thaddi sonst bestimmt die Distanzierungsregeln bricht, um mir auf die Finger zu klopfen.

Thaddi: Die „Risiko-Begegnung“ ist aus meiner App übrigens wieder verschwunden. Aber: Sprechen wir vom „Aquatischen“, diesem gewissen Blubbern? Oder den moody pads?

Kristoffer: Ja, vielleicht trifft es das noch besser. Beides. Da ist irgendwas, das runterläuft wie Sesamöl, aus einer Sounddesign-Perspektive gesprochen. Slick, schmelzendes Chrom. Und dem werden viele diskrete Töne, Grains, Knistern, dies und das entgegengesetzt. So wie sich immer wieder dezente Rhythmen einschleichen, weniger als Beat denn vielmehr als Puls. Das mag ich sehr gerne, Ullas Musik funktioniert ja sehr ähnlich.

Thaddi: Ich glaube mich zu erinnern, diese Frage vor vielen Monden in einem anderen Gespräch schon mal gestellt zu haben: Wer ist Ulla? Ich hatte keine Zeit, das gemeinsame Album aus dem Slack noch in meine Inbox und … ihr wisst schon. Bleiben wir doch lieber bei Mr. Pontiac!

Christian: Ulla solltest Du unbedingt nachholen. Noch dringender würde ich übrigens das Album von Mr. Water Wet empfehlen – der ist der zweite Feature-Gast auf „Triz“.

Kristoffer: Andere Frage: Erkennen wir hier etwas … Inhaltliches in dieser Musik? Mir geht dieses „Stuck in a Cave“-Vocal auch nur schwer aus dem Kopf. Ich finde es bemerkenswert, so einen Satz auf einer Ambient-Platte zu hören, kann ihn aber nicht deuten oder in Kontext setzen.

Thaddi: Hatte ich komplett überhört, was – glaube ich – auch vollkommen in Ordnung ist. Ist halt ’nen Sample. Selbst eingesprochen oder nicht.

Christian: Ich habe das eher als Kommentar bzw. als Beschreibung eines Zustands am Ende eines zwar zurückgelehnten, aber doch auch immersiven Albums verstanden. Eine leicht bekiffte, vielleicht auch humorvolle Selbstbeschreibung.

Kristoffer: Okay, also ein deep dive an der Oberfläche? Vielleicht überinterpretiere ich das natürlich, aber mir schien das, wie gesagt, bemerkenswert, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Während die Platte bis zu dem Zeitpunkt – wir befinden uns im letzten Stück – noch sehr sanft an ihren beiden Achsen (bleibe ich dabei!) entlang gleitet, kommt da plötzlich eine neue (Bedeutungs- oder Meta-)Ebene rein. Eine Art Radiowecker, der plötzlich losgeht und so einen Kommentar loslässt. Denn klar ist das sehr immersive Musik, aber gerade in dem Kontext – könnte es nicht als kleiner böser Kommentar auf diesen von Ambient mitgetragenen Self-Care-Wahn fungieren? Wie gesagt: Ich überinterpretiere vermutlich. Mal wieder. Immer!

Thaddi: Ich setz’ noch einen drauf: Die Stimme, ihr Duktus, das ist ja eigentlich nur geklaut bei Mr. Hazeltine feat. Divine Styler und seinem tollen Remix von „City Lights“ auf dem Album „The Art Of Travel“ von Mannequin Lung, erschienen anno 1998 auf Plug Research. Die nimmt einen schon mit. Weil sie so viel auf die Rampe schafft, aber wenig einlöst. Das ist ein ästhetisches Phänomen. Was machen Stimmen mit einem. Wie geht man mit einer wie auch immer gearteten Ansprache um, gerade am Ende eines solchen Albums. Plötzlich – ja plötzlich – spricht jemand nicht mit aber zu einem. Und das, wo ich doch hier gerade in diesem nebligen Sumpf-Dunst liege, chille, nicht mehr raus komme, vielleicht auch gar nicht mehr raus will. KONTAKT! Hui! Nice to meet you. Schon schön.

Kristoffer: Dabei kommt es aber auch zu Fehlleitungen – oder aber ich lass mich veräppeln. Sagt er nicht auch zwischendurch „in a cake, I’m starting to believe“? Ich weiß es nicht, und da geht die Kommunikation wunderbar an mir vorbei, obwohl sie vornehmlich doch an mich gerichtet ist. Von wegen Kontakt!

Thaddi: Ich sage, so gehört es sich auf dem Holodeck.

Kristoffer: Springen wir von dem weiter zum vermeintlich fiktiven Mitglied dieser Runde?

RT Juli 2020 Shinichi Atobe Artwork

Shinichi Atobe, Yes, ist auf DDS erschienen.

Shinichi Atobe – Yes (DDS)

Thaddi: Shinichi Atobe ist ja das gute Gewissen aller Hardwax-Entchen, die 2020 keine Double-Knee von Carhartt mehr tragen wollen. Was in der Mode beginnt, in diesem korsettigen Dresscode, funktioniert musikalisch genauso: Ja, das ist zum Teil noch tief verwurzelt im Basic-Channel-/Chain-Reaction-Universum, geht aber gleichzeitig vollkommen andere Wege. Will sagen: Auf seinen Platten treffen sich zwei Entwürfe, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben, sich aber dennoch unbedingt und bis in alle Ewigkeiten bedingen. Seine Musik hat so eine spezielle „Anything goes“-Attitüde, die sehr befreiend ist. Egal ob distanziert oder umarmend – seine künstlerische Verweigerungshaltung gegenüber aktuellen „Standards“ ist nicht nur erfrischend, sondern auch enorm wichtig. Weil er eben nicht den kratzbürstigen Weg einschlägt, edgy und dunkel, sondern immer die Gefühlswelt der Musik in den Vordergrund stellt. Wenn wir happy sind, sind wir happy. Wenn wir dubby sind, sind wir dubby. Und wenn wir schlechte Laune haben, haben wir schlechte Laune. Obwohl Atobe einfach nie schlechte Laune zu haben scheint, bzw. das nicht in seiner Musik durchscheinen lässt. Stattdessen haben wir es hier mit auf der Oberfläche sehr einfach scheinenden Tracks zu tun, die aber cleverer sind, als vieles von dem, was sonst gerade so rumfliegt. Simpel war schon immer eine große Kunst. Hier können irgendwie alle andocken. Die, die den Pop in der Bassdrum-Musik suchen, aber auch die, die sich nach historischer Deepness sehnen. Kids, ich komme halt immer noch nicht über „The Red Line“ von seiner ersten EP hinweg, damals auf Chain Reaction. Der Soundtrack meines Lebens. Dieses Feingefühl, dieser Respekt, dieses Verständnis der Seele. Könnte ich stundenlang mit rumfahren. Am liebsten in einem Diesel-Triebwagen von JR durch die japanischen Berge. Mein Gesicht würde am Fenster kleben, ob all der Schönheit und der zivilisatorischen Brüche, die da an mir vorbeiziehen.

Kristoffer: Okay, Gen Xer!

Thaddi: Douglas! Douglas! Douglas!

Shinichi Atobe

Kristoffer: Im Ernst aber, ich teile das, aber auch … so gar nicht. Also, ich glaube, ich teile das grundlegende Gefühl, nur blühen bei mir ganz andere Assoziationen auf. Mit dem JR-Zug fahre ich natürlich gerne mit. Obwohl Atobe natürlich sehr nach Promo-Gag aussieht: Irgendwann mal eine 12" auf Chain Reaction, dann mehr als ein Jahrzehnt nichts und plötzlich kommen ausgerechnet die Trickster von Demdike Stare mit einem Release nach dem nächsten ums Eck. „Yes“ lag ein Bild bei, fotografiert beziehungsweise inszeniert vor einem Brief, mit dem er angeblich wie schon alle seine anderen Alben in den letzten sechs Jahren die neue Musik ohne weitere Kommentare rübergeschickt hat. Klingt nach Finte, klingt nach forciertem Burial-Effekt und ganz ehrlich gesagt reiht sich das natürlich bestens in die weiterhin virulente Celebrity-Archäologie von japanischen Künstler*innen wie Midori Takada, Hiroshi Yoshimura und anderen ein. Aber es gibt tatsächlich natürlich bestimmte Marker, die auch auf „Yes“ sehr japanisch klingen, nach Susumu Yokota oder So Inagawa. Vor allem eins wurde mir bei „Yes“ klar: Wie Thaddi schon richtig sagte, geht Atobe andere Wege als die klassische Chain-Reaction-Schule, wenn es je eine gab: Da wird viel über die Horizontale entwickelt, jedwede dubby Deepness scheint mir nur das Polsterkissen für eine ewig lange, ja, Fahrt durch die Landschaft zu sein. Im Grunde greift „Yes“ das elendige Kapitel Minimal Techno ebenso auf, wie die Platte es im selben Zug besiegelt: Besser und konsequenter als „Lake 2“ lässt es sich einfach nicht machen. Schön. Ein wunderbares, warmes Album, facettenreich und doch extrem aus einem Guss.

Thaddi: Was mir auffällt – und bei seinen vergangenen Releases auch schon aufgefallen ist – ist diese doch ziemlich kongeniale Ausnutzung des Chain-Reaction-Erbes mit ein paar Signature-Sounds, die er immer wieder hernimmt, um eine Art Konsens zu schaffen. Und darauf dann etwas ganz Anderes zu entwickeln. Das ist mal die komplett tot-komprimierte 909-Snare, mal eine unfassbar offensichtlich abgesampelte Basic-Channel-Bass-Rhythmus-Struktur. Das schafft Vertrauen bzw. sofortige Assoziationen. Und wenn das dann läuft, entwickelt er on top seinen eigenen Funk. Schon sehr gut, schon sehr clever Also: Gibt es den nun oder doch nicht?

Kristoffer: Das klingt fast nach böser Absicht, zumindest aber Kalkül! Oder so, als könnten wir die These, dass sich hier jemand aus dem Chain-Reaction- oder doch Demdike-Stare-Umfeld einen Spaß erlaubt und die Klaviatur eines Trademarks nochmal neu interpretiert, ernsthaft diskutieren. Wobei das vielleicht gar nicht so interessant ist wie endlich herauszufinden, ob Christian genauso begeistert von dem Album ist wie wir.

Wasser ist nicht gleich Deep Sea.

Christian: So ganz begeistert klingst du aber gar nicht. Me? Von den Möglichkeiten des DDS-Verwirrspiels mal abgesehen, bin ich eher mäßig begeistert. Dieses Arpeggio-Intro finde ich maximal random. „Lake 2“ mit seinen stehenden Tönen und den super-trockenen Drums dann aber ganz toll. Minimal Techno? Von mir aus. Dann kommt der Titeltrack, der ist zum Weglaufen cheesy. Da fühle ich mich in Bars versetzt, die Menschen in Oberhemden diese verwässerten Halbliter-Cocktails verkaufen. Wasser ist aber nicht gleich Deep Sea: Die Drexciyanischen Unterströmungen, von denen im Info gesprochen wird, kommen mir jedenfalls etwas herbeifantasiert vor. „Yes“ ist in meinen Ohren erstmal ein ziemlich slickes Deephouse-Album, geklonte Bass-Rhythmus-Strukturen hin oder her.

Hier blüht die Schönheit im Generischen auf. Toll. Reich mir doch bitte mal einen Pint Cuba Libre.

Kristoffer: Uff! Ja, es geht wie schon Atobes letztes Release deutlicher in eine housige Richtung, das stimmt auch wieder und natürlich könnte der Titeltrack wohl ebenso in Bars laufen, bei denen sonst Solomun-Mixe durchdüdeln. Aber das widerspricht ja nicht unbedingt dem, was Thaddi eben sagte: Da werden bestimmte Marker aufgegriffen, in ihrer Cheesyness auch gerne mal mitgenommen – Klavier, hallo! – und dann aber doch grundlegend erweitert. Nur wie, das ist das Interessante. Ich höre hier vor allem extrem spannungsvolle – wenngleich nicht unbedingt spannende, darum geht’s hier nicht – Entwicklungen nach Minimal-Prinzip. Sehr rigide eine Spur rein, die andere raus, es shuffelt und funkt weiter, bis irgendwann der Groschen fällt. Das tut er zumindest bei mir, auch bei den Klischeenummern, die es zweifelsfrei gibt. Da blüht die Schönheit im Generischen auf. Toll. Reich mir doch bitte mal einen Pint Cuba Libre.

Das hat schon alles Style. Hier, meine Musik, take it or leave it. Und ich take die natürlich, weil sie ehrlicher ist, originärer, als fast alles andere auf dem Dancefloor, präsentiert von who fucking ever.

Thaddi: Und genau das macht es doch aus. Hier sitzt jemand – wer auch fucking immer –, der „so Tracks baut“. Das finde ich wahnsinnig charmant. Weil eben diese Tracks nirgendwo reinpassen nach heutigen Standards. Natürlich können wir drei und noch 20 Kumpel*innen uns hinsetzen oder im Park treffen und diese Musik feiern. Aber das ändert nichts an der Deephouse-Krise, die sich hoffentlich dann auch mit dem Virus erledigt hat. Das hat schon alles Style. Hier, meine Musik, take it or leave it. Und ich take die natürlich, weil sie ehrlicher ist, originärer, als fast alles andere auf dem Dancefloor, präsentiert von who fucking ever. Ich kann auch zu Hause tanzen. Und dieser Character hilft mir dabei.

Christian: I’ll leave it then. Für mich ist die Cheesyness hier deutlich präsenter als ihre Erweiterung und das Generische, das Kristoffer angesprochen hat, wiegt schwerer als Character. Nicht dass es den dringend bräuchte! Generisches ist ja auch toll, weil es sozusagen frei vom Makel der Persönlichkeit ist. Aber ja, also nee, ach ich weiß nicht. „Yes“ ist für mich doch eher Genre-Food mit einem Hang zur Lounge, in der ich weder sitzen, noch vor mich hin tänzeln will.

Thaddi: Es gibt halt Musik, bei der man „dabei gewesen sein muss“. Überhaupt no offense. Aber: Ich finde diesen Ansatz, der – ja! – durchaus etwas von einer Verweigerungshaltung halt, schon beeindruckend. Warum? Weil er/sie/es genau die Trigger in mir triggert, die mich geprägt haben. Ganz ehrlich: Mehr brauche ich nicht. Denn natürlich war ich auch eines dieser Hardwax-Entchen in der Double Knee von Carhartt.

Kristoffer: Gut, Thaddi und ich tanzen dann eben zu zweit, einzeln dazu. Weil wir etwas Persönliches im Allgemeinen finden. Wobei dadurch jetzt wirklich interessant wird, ob dieser Character auch wirklich ein real existenter Charakter ist. Mein Votum? Einerseits: don’t care! Andererseits: Vermutlich ja, es scheint mir alles zu konstruiert. Aber auch das rührt natürlich an einer der Grundideen genau solcher Musik: Dass die Person dahinter verschwindet und sich das Eigene damit noch breiter drauf projizieren lässt. Was für mich total gelingt, das Album läuft hier rauf und runter, seitdem die Promo reinkam. Wie Pontiac Streator hinterlässt es nicht unbedingt einen nachhaltigen Eindruck insofern, als dass ich jede Wendung aus dem Effeff mitsummen könnte. Aber es geht im Ablauf definitiv nicht spurlos an mir vorbei, hebelt für einen kurzen Moment die Gegenwart aus den Fugen, hält die Zeit an und ist nah bei mir. Das hat etwas Beruhigendes, Tröstendes, Schönes und auf eine sehr bescheidene Art und Weise Überwältigendes. Sela!

Thaddi: Next?

RT Juli 2020 Lamin Fotana Artwork

Lamin Fofana, Blues, ist auf Black Studies erschienen.

Lamin Fofana – Blues (Black Studies)

Thaddi: Ich lasse den Überbau, die Herleitung und den Ursprung dieser Platte zunächst mal weg und möchte über Vögel sprechen. Als es in den vergangenen Monaten doch sehr, sehr still war bei mir in der Gegend, feierten die Piepmätze jeden Morgen eine epochale Zwischter-Party im Hof – deutlich engagierter als in anderen Jahren. Die drehten so unfassbar auf, dass ich davon sogar gerne wach geworden bin, wenn ich denn noch schlief. So im Dämmerlicht, kurz nach fünf Uhr, hörte ich also ein Konzert nach dem nächsten. Frei improvisiert, voller Drang und doch sehr leicht. Dass Lamin nun mit so einem verechoten Zwitschern den „Blues“ beginnt, finde ich angemessen. Das zieht mich rein. Auch wenn ich sagen muss: Nach kurzer Recherche empfinde ich dieses Werk nicht als sein bestes, auch wenn der Haupt-Track „When All The Birds Sing Bass“ schon sehr stark ist. Wie seht ihr das?

Interpretieren würde ich es schlicht als Verhandlung einer gewissen Ideologie, die immer mit Ambient als harmloser und durchaus an Konsum gedockten Musik einhergeht, welche als kultureller Ausdruck von sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen gelesen werden sollte.

Kristoffer: Ich sehe es so, dass die Vögel den Überbau tragen. Auch die nämlich sind in herkömmlicher Ambient-Musik, mit deren Mitteln Fofana spielt, ja durchaus entweder Mittel zum World Building oder sollen eine simulative Rückversicherungsmaßnahme darstellen: Du bist in dieser Musik sicher, die Natur ist gut, die Welt dir freundlich gesinnt. Aber „After Rain“, der Eröffnungstrack, verdichtet das Vogelgezwitscher bereits auf eine sehr intensive und, wie ich finde, unangenehme Art. Das ist Ambient à rebours und im Gesamten also ein extrem scharfer kritischer Zug. Hatte Chino Amobis „Airport Music for Black Folk“ noch mit Noise als Werkzeug gearbeitet, um ein gewisses soziopolitisches Gefälle bei der Produktion und Rezeption von Ambient herauszuarbeiten, tut Lamin Fofana das nun mit sehr feinjustierten Mitteln. Interpretieren würde ich es schlicht als Verhandlung einer gewissen Ideologie, die immer mit Ambient als harmloser und durchaus an Konsum gedockten Musik einhergeht, welche als kultureller Ausdruck von sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen gelesen werden sollte. Self-Care-Ambient musst du dir schon leisten können oder besser gesagt musst du es dir schon leisten können, dich von so einer Musik in den Schlaf rieseln zu lassen. Und da sind wir durchaus beim Überbau, denn der bezieht sich auf Blues und Jazz und wie die beiden angeeignet wurden. Zwar hören wir nicht gerade viel von beidem, aber letztlich: Lässt sich nicht auch Ambient-Musik, wie jede Form von Pop-Musik überhaupt, doch auf den Blues zurückverfolgen? Steile These, klar, aber nichtsdestotrotz: Ich denke, hier wird auf sehr subtile Art Subversion betrieben. Dass es dazu noch sehr geil klingt, ist eh ein Bonus. Ich bin sehr großer Fan von diesem Album, dem letzten in einer Trilogie, die mich durch die Bank weg überzeugt.

Thaddi: Bin raus, muss nachhören, meinen Abschluss machen und dringend in die Lounge-Wear Christian, übernimm bitte!

Das Elegische bei „Blues“ hat etwas sehr Politisches.

Christian: Es wird ja angeführt, dass sich Blues auf „Blues People“ bezieht, das ist ein Buch von Amiri Baraka. Welches ich leider nicht gelesen habe, in dem es aber wohl um die Erfahrung Schwarzer Menschen geht, die sozusagen eine Kultur innerhalb einer fremden, einer weißen Kultur zu installieren versuchten. Musikalisch betrachtet ist das vielleicht History, aber im größeren Kontext ist diese Bewegung Gegenwart, das sehen wir ja dieser Tage nicht nur in den USA gerade wieder sehr scharf. Und jetzt mal rein metaphorisch gehört: Auf „Blues“ gibt es musikalische Themen, manchmal werden die von Blues-Gitarren nicht unähnlichen Klängen gespielt. Und wenn so ein Loop dann im Lärm der Umwelt langsam zu ermüden droht, wenn es mehr oder weniger davon geschluckt wird, dann klingt das schon nach Strapaze, nach einer irgendwie aussichtslosen Anstrengung. Die hier eben eine kulturelle Facette hat. Insofern bin ich da bei Kristoffer: Das Elegische bei „Blues“ hat etwas sehr Politisches. Diese hörbare Erschöpfung, das ist nicht unbedingt ein Kapitulieren, sondern vielleicht die Beschreibung einer verglühenden Hoffnung, die auf etwas Gesellschaftlich-Politisches zielt. Und eben nicht die Verlängerung eines persönlichen Teenage-Weltschmerzes, die man einigen der zahlreichen mittelalten, weißen Ambient-Producern vermutlich konstatieren kann.

Kristoffer: Genau, aber es ist auch nicht die Negation dessen, und das macht „Blues“ zu so einem überragenden Album für mich. Da wird eine Ausdrucksform angenommen und zugleich unterlaufen. Der Titeltrack beispielsweise spielt mit Jazz-Versatzstücken und -Samples, abgehackter Sprache, das lässt sich als extremes Uneasy Listening wahrnehmen. Aber zugleich könnte es mit der entsprechenden Rezeptionshaltung auch als Wandtapetenmusik abgelegt werden. Putting the Ambivalenz back into Ambient! Und das auf Albumlänge, ich finde das extrem stark. Eben weil ich den Text von Baraka auch nicht gelesen hatte – mich aber dennoch durch die Schichten dieses Albums durchdenken kann, wenn ich möchte. Genauso, wie ich es einfach als wundervolle Sound Art hören kann.

Thaddi: Ich bin auch Fan des Albums – und hoffe inständig, dass das Menschen nicht als Hintergrund/Tapete/whatever wahrnehmen oder noch schlimmer abspeichern. Die Dringlichkeit kann man in jedem Takt hören. In jedem Knistern, in jedem Sample, in jedem gut überlegten Bogen und Übergang. À propos Samples. Ist das ein Problem dieser Platte? Reicht es, die eigene Geschichte wieder heranzuziehen, um seine Vision hinzustellen? Ich habe damit kein Problem, aber mal so in die Runde gefragt …

Kristoffer: Ich verstehe die Frage nicht ganz, welche eigene Geschichte meinst du? Seine? Deine?

Thaddi: Meine nun mal ganz bestimmt nicht. Ich nehme Bezug auf das Sich-Aneignen eines Sounds via Sampling, um Geschichte neu zu interpretieren.

Kristoffer: Die Aneignung findet ja in Schichten statt. Denn Blues und Jazz wird sich hier genauso angeeignet wie Ambient. Ich denke, das muss nicht, nein, das darf eigentlich nicht aufs Persönliche und Subjektive reduziert werden und sollte in erster Linie als kritische Verhandlung von bestimmten kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen verstanden werden, die in zweiter Linie auch einen Alternativ- oder Gegenvorschlag mit Zukunftsperspektive in sich trägt. Und in dritter sicherlich auch persönlich Stellung bezieht, aber das finde ich gar nicht so ausschlaggebend. Es geht mir durchaus ähnlich wie mit Atobe, da werden bestimmte Dinge aufgerufen, und sei es nur das Vogelgezwitscher, die mich auf dieser Platte ebenso einlullen wie sie mich für etwas sensibilisieren. Das macht Fofanas Ambient-Entwurf für mich zu etwas Hybriden und damit etwas Besonderem. Weil ich den Überbau tatsächlich mitgeliefert bekomme wie es jedes beliebige, äh, na ja, Conceptronica-Album täte. Aber weil er mir auch sehr einfühlsam ästhetisch nahe gebracht wird. Das ist eine wundervolle Doppelbewegung, die Seltenheitswert hat.

Thaddi: Einfühlsam ist das entscheidende Stichwort. Und ich ziehe meine Frage auch zurück und danke dennoch für den Erklärbär. Natürlich kann er machen was er will, Found Sound, Geschichte und Erbe neu kontextualisieren und für die Gegenwart nochmal abputzen, mit anderen Kulturtechniken vermengen und alles zusammen aufgehen lassen in einem Album mit Nachhall. Mir scheint das auch sehr gut durchsequenziert zu sein. Es beginnt im gegebenen Rahmen vergleichsweise ruppig – nach den Vögeln, mind you – und beruhigt sich dann Schritt für Schritt. Und mündet schließlich in diesem episch langen Recap aus 200 Jahren Geschichte. Das ist schon sehr on point.

Kristoffer: ...and all the birds sing bass, indeed! Was ein Schlussstatement, als würden Jan Jelinek und Earth sich durch die Chris-Watson-Aufnahmen aus dem letzten Regenwaldsommer wühlen. Es klingt wunderschön und bietet doch an, beim genauen Hinhören ein gehöriges Unbehagen zu entwickeln: diese trägen Wiederholungen, dieses immergleiche Vogelgezwitscher, da verstecken sich noch ganz andere Dynamiken drin. Antidynamiken, eigentlich. Ambivalent, ich sag es ja. Wunderbar.

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