Fragmente einer GroßstadtSicherheit in Zeiten der Angst

Fragmente einer Großstadt - Sicherheit - full

Wieder was gelernt: Wer im Bahnhof seinen Koffer im Schließfach verstaut, muss diesen Spind auch abschließen und den Schlüssel mitnehmen. Sonst kommt die Polizei, bringt Spürhunde und Absperrband mit. Könnte ja eine Bombe drin sein.

In Zeiten des Terrors und der fast schon regelmäßigen Anschläge/Vorkommnisse/Begebenheiten – Nizza, München, Ansbach, Würzburg usw. – ist der Bahnhof als Ort, an dem viele Menschen verschiedenster Nationalitäten ein- und ausgehen, ja umso sicherer. Zumindest lässt sein Aufgebot an vollmontierten Polizisten im Bahnhof Würzburg darauf hindeuten. Und ebenso die gestrige Begebenheit.

Ich war ziemlich aufgeregt, als ich in der Bahnhofshalle eintraf. Denn ich traf einen alten Freund, der nach Australien ausgewandert war und den ich seit ganzen fünfeinhalb Jahren nicht gesehen hatte. Vorfreudig und eilig wollte ich meinen kleinen Rollkoffer (#travellingforgrownups – im Gegensatz zum Traveller-Rucksack schwitzt man nicht am Rücken und wird nicht ständig gefragt, was man studiere, um sich auf die Antwort „Nichts, ich arbeite bereits“ groooße Augen und noch mehr Fragen abzuholen. Ich liebe den kleinen Rollkoffer dafür). Ich wollte also meinen kleinen Rollkoffer in ein Schließfach einschließen. Alle besetzt. Oder inaktiv und scheinbar aufgebrochen. Ich dachte darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis der Spind vom DB-Sicherheitspersonal geknackt wird, wenn keiner sein Gepäck dort wieder abholt. Und darüber, dass ich noch nie bei so einer Gepäck-Versteigerung war, aber echt mal Lust drauf hätte. Kein Spind frei also. Als ich mir vorstellte, den ganzen Tag mit dem australischen Freund und dem Rollkoffer durch die Stadt und am Fluss zu schwendern (= schweres Schlendern), kam glücklicherweise jemand, der seinen Koffer abholte und mir somit ein freies Fach verschaffte. Neues Hindernis: kein Kleingeld. Schein wechseln, erfolgreich. Nun endlich drei Euro rein in die Tür – Rollkofferchen rein – Tür zu. Und los. Es folgten sehr entspannte und doch spannende Stunden des Schlenderns, Erzählens, Zuhörens, Sitzens und Essens. Wir hatten einiges aufzuholen.

Dankbar für die schöne Zeit und etwas erschöpft, machte ich mich auf den Weg zurück zum Bahnhof um mein Gepäck abzuholen und mich für eine Nacht bei Mutti einzuquartieren. Da kam es mir urplötzlich. Ich konnte mich nicht erinnern, einen Schlüssel oder etwas ähnliches eingesteckt zu haben, vorhin, als ich den Schrank schloss. Hektisch und schweißbeperlt durchwühlte ich sämtliche Taschen – ohne Erfolg. So sehr ich den Rollkoffer liebte und – zugegeben – auch meine Klamotten, das Einzige, worum ich mir in diesem Moment sehr sehr sehr ernsthafte Sorgen machte, war mein Laptop. Letztes Backup: vor circa zwei Wochen. Aktuelles Projekt: verdammt wichtig. Kette des Aufwands, die mir jetzt bevorstehen könnte: endlos lang. Angefangen von der polizeilichen Anzeige, die ich aufgeben würde, über den Neukauf eines Laptops und dessen Einrichtung bis hin zur Arbeit, der wiederholten Arbeit – wieviele Nächte ich wohl abreiten müsste, um die Zeit aufzuholen? Schnellen Schrittes und schweren Mutes weiter Richtung Bahnhof. Eigentlich glaubte ich ja an das Gute im Menschen! Vielleicht lag er ja einfach noch im Fach, der kleine Koffer, erwartete mich sehnsüchtig und seelenruhig.

In der Halle angekommen, sofort zu den Schließfächern gestürzt, erwartete mich leider nicht der Koffer, sondern erstmal die leere Enttäuschung. Nächster Halt: Info-Point der DB. Sorgenerfüllt wollte ich loslegen mit meiner Geschichte. Da sah ich schwarze Hartschale hinter der gestressten DB-Service-Angestellten hervorglänzen und strahlte so erleichtert wie noch selten. Die Dame begann mein Gewissen sofort wider zu beschweren, indem sie mir erzählte, was in meiner entspannten Abwesenheit im Bahnhof los war: „Wegen Ihnen gab es einen Polizeieinsatz mir Spürhunden hier. Die mussten alles weiträumig absperren und sichergehen, dass da keine Bombe drin ist.“

Verwundert war ich darüber kaum, schließlich ist es ja die Art von Sicherheit, die man zu schätzen weiß, die man sich momentan doch so wünscht und deren Ausbleiben man Sicherheitspersonal und Polizei vorwerfen würde, hätte sich tatsächlich eine Bombe im Koffer befunden. Ich nickte also reuig und verständnisvoll. Insgeheim dachte ich ganz kurz: ein bisschen cool – Polizei und Spürhund wegen mir. Schade, dass ich selbst nicht mal dabei war.

Liebes DB-Personal, liebe Einsatzkräfte, liebe Spürhundis: Es tut mir wirklich leid für die Aufregung und die vertanen Mühen! Lieber Laptop, liebe Schuhe, liebe Kleider, lieber Rollkoffer: Schön, dass es euch gibt. In Zukunft werde ich euch besser behandeln. Und ein Backup habe ich soeben auch gemacht.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

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