Not ok, BoomerBuchrezension: Vom Ende der Klimakrise

vom ende der klimakrise

Dynamischer Klimaprotest einer ganzen Generation auf der einen Seite, lahmende Politik und weiter steigende Emissionen auf der anderen: Das ist der Stand der Dinge. Die Welt wird sich ändern, der Wandel wird so oder so passieren – by design or by desaster – schreiben die Aktivist*innen Luisa Neubauer und Alexander Repenning. Kann es noch einen glimpflichen Weg aus der Krise geben?

Sachbücher, die einer aus den Fugen geratenden Welt Mut machen und zum Aufbruch motivieren wollen, sind gerade en vogue. Klar: Wir alle suchen doch nach Halt. Seien es Dickschiffe wie „Enlightenment Now“ von Steven Pinker, der in seinem Werk nicht müde wird zu betonen, die Welt werde seit Dekaden, wenn nicht Jahrhunderten permanent besser (außer das Klima vielleicht, aktuell, da müsse man ran). Oder „Factfulness“ von Hans Rosling, der ins selbe Horn stößt.

Zwei Beiträge aus Deutschland der Stunde sind „Alles könnte anders sein“ von Harald Welzer, dem sonst notorischen Nörgler (was erstmal nicht verkehrt ist) und Finger-in-die-Wunde-Leger, der hier zum Sich-Entledigen von Dystopien, zum Träumen und zum Utopien-Verwirklichen in kleinen Schritten appelliert. Oder, wesentlich trockener im Duktus, „Abschied vom Abstieg“ von Marina und Herfried Münkler. Sie beackern auf über 500 Seiten drei aus ihrer Sicht zentrale Themen, in denen es mehr Zukunftsoptimismus und Handlungsbereitschaft benötige: Bildung, Demokratie und europäische Integration. Das tun sie plausibel und klug, mitunter altklug, doch was das Thema Klima angeht, bleiben sie geradezu verdächtig still.

Dabei ist drohende Klimakatastrophe – Anfang 2019 brutalst seziert von David Wallace-Wells – doch das zentrale Thema unserer Gegenwart. Und der Zukunft. Oder nicht? Fast scheint es so zu sein, als sei die Antwort darauf eine Frage des Alters: So blicken die genannten Babyboomer–Autor*innen fast mit einer gewissen Gelassenheit oder fast gar nicht auf das Thema – ja, schon wichtig, aber anderes auch, und der Wohlstand, der darf dabei nicht verloren gehen, und überhaupt, Apokalyse hilft uns auch nicht weiter. Die Generation Z hingegen – das ist die Generation, die den Protest seit anderthalb Jahren auf die Straße bringt, von Studierenden bis zu Kita-Gruppen, sagt: Not okay, Boomer. Und das weltweit: Diese Generation, die erste wirklich globale, eine mit Vernetzung und Globalisierung groß gewordene, eint ein zentrales Thema – die Bedrohung der Menschheit durch den menschengemachten Klimawandel. Genauer: Sie eint die Angst davor. Es ist keine diffuse teenage angst vor einer ungewissen Zukunft, sondern die sehr konkrete vor einer gewissen Zukunft. Welch radikaler Perspektivwechsel: Wissen ist das Problem – nicht ein glaubend-fürchtendes was-mag-da-kommen, sondern ein „sicheres“ da-kommt-was. Ein Klima-Wandel werde so oder so passieren – ob abgebremst „by design“ oder volle Kanne „by desaster“, das sei nun die Frage. Schreiben Luisa Neubauer und Alexander Repenning, zwei der bekanntesten Köpfe der Klimaschutz-Bewegung „Fridays For Future“ in Deutschland, am Schluss ihres Buchs „Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft“.

Es ist kein pessimistisches Buch. Auch kein tendenziell optimistisches wie die oben genannten, es ist ein possibilistisches, wie Neubauer und Repenning nennen: Man sieht die Möglichkeit, noch einen glimpflichen Weg aus der Klimakrise zu finden, und es hängt von jedem von uns ab, diese Möglichkeit zu verwirklichen.

Also Tipps? Nein. Es ist, zum Glück, kein Buch, das rät, wie man sein eigenes Shampoo herstellt oder wie man möglichst ressourcenschonend reist. Der Weg aus der sich anbahnenden Katastrophe sei in erster Linie keine Frage der „klimagerechten“ Anpassung des individuellen Konsumverhaltens, schreibt das Duo. Es ist keine Verschiebung des Problems auf das Private, sondern endlich Übernahme politischer Verantwortung, von Zukunftsverantwortung im Sinne eines Hans Jonas.

Es ist die Etablierung einer Klimakommunikation, die sich von der neoliberalen Denke, die „unsichtbare Hand“ des Marktes werde es schon richten, verabschiedet. Und auch von der Idee, der Klimawandel sei nur die weit entfernte, als Kollektivsymbol immer wieder bemühte Insel, die dann leider untergeht. Er ist auch die Heimatstadt der beiden, Hamburg, das vielleicht noch in diesem Jahrhundert ein permanentes 1962 erleben wird, wenn es so weiter geht.

Neubauer und Repenning rufen nach zentralen Veränderungen: den nötigen Umbau der Infrastruktur, der Landnutzung, der Logistik werde keine unsichtbare Hand herbeiführen. Nicht weniger als die größte Transformation seit Beginn der industriellen Revolution müsse auf der Agenda stehen. Es gehe um Generationengerechtigkeit, um die Abschaffung der obsoleten und zerstörerischen Wachstumsökonomie von Hayek und Epigonen, um den Austausch eines BIP mit dem HDI, dem „human development index“, bei dem auch Faktoren wie Lebenserwartung und Bildung Berücksichtigung finden. Praktische technische Innovation wie die Umrüstung von Kühlschränken (hat ja schließlich beim eher kleinen Problem FCKW/Ozonloch geklappt) gehört für sie ebenso dazu wie „female empowerment“ für mehr Bildung und weniger steigende Geburtenraten, Gewinnbeteiligung der Kommunen an Windkraft und Kerosinsteuer ebenso wie „novel futures“, die Fähigkeit, Zukunft neu zu denken und zu gestalten. Und über allem der politische Wille, das zu tun. Schnell: In einem Jahrzehnt sind die CO2-Gigatonnen, die ein Land wie Deutschland noch verballern kann, will es das 1,5-Grad-Ziel einhalten, verbraucht. Komplett, und aktuell steigt der Ausstoß sogar, drastisch.

Okay. Aber was ist mit den Polit-Boomern, die bis auf Weiteres an den Töpfen, den Hebeln der Macht sitzen? Anders als die Wissenschafts-Boomer, die in so gut wie nie in den Wissenschaften da gewesener Einstimmigkeit einen menschengemachten Klimawandel identifiziert haben, scheuen sie sich vor der Verantwortung und blicken auf die Legislatur. Die Antwort der Generation Z, so vernimmt man dem Buch von Neubauer und Repenning, ist mehr: Protest. Das ist der individuelle Handlungsraum, nicht der Konsum: Organisiert euch, skaliert euren Widerstand, werdet sichtbar, fallt nicht auf Klicktivismus rein, geht raus und gewinnt Leute für euch, bindet sie sofort ein, werden die Autor*innen nicht müde zu betonen. Ohne Kontext könnte man das als desperat einschätzen. Doch wenngleich die beiden, wie sie betonen, für sich schreiben, nicht für #fridaysforfuture, so ist es doch ein Buch, das eine Community hinter sich hat: Die war am Anfang ein paar Hundert Leute vor dem Reichstag groß und ganz am Anfang eine Schülerin im schwedischen Schnee klein. Jetzt ist es eine weltweite Bewegung, die beim letzten großen Streik Ende September 1,5 Millionen Menschen, vorsichtig geschätzt, auf die Straßen gebracht hat. Die anderen schreiben über die Möglichkeit eines Aufbruchs. Hier geht man schon mal vor.

„Vom Ende der Klimakrise“ ist bei Klett-Cotta erschienen, hat 304 Seiten und kostet 18 Euro. Alternativ gibt es ein Hörbuch.

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