„Viele Pro-Skater verlieren ihre ursprüngliche Motivation und merken das nicht mal“Die Skateboard-Legende Rodney Mullen im großen Interview

Rodney Mullen Start

Rodney Mullen ist einer der größten und einflussreichsten Skateboarder aller Zeiten. 1966 wurde er in Gainesville, Florida geboren und gewann mit 14 bereits seinen ersten Weltmeistertitel in der Disziplin Freestyle. Zwölf Jahre lang dominierte er das Genre und erfand zugleich einen Großteil der wichtigsten Skateboard-Tricks. Rodney Mullen war der erste Mensch, der einen Ollie auf der Straße machte, er erfand Kickflip, Heelflip, 360-Flip, Impossible – alles Standards des heutigen Street Skateboarding. Diese Liste ist lang. Ji-Hun Kim traf den „Godfather of modern street skating“ auf der meConvention in Frankfurt und sprach mit ihm über die Kultur des Skateboards, über schwierige Zeiten in seiner Karriere, das große Dilemma Kunst vs. Kommerz, die Tücken des Erfolgs und über Kreativität auf einem einfachen Stück Holz mit vier Rollen.

Stell dir vor, ein Alien oder ein Zeitreisender aus dem Mittelalter fragt dich, was Skateboarding ist. Was antwortest du?
Ich würde sagen: Ich bin Teil einer Kultur, die sich um ein rudimentäres Stück Holz mit Rollen dreht. Und ich habe mein Leben dieser einen Sache gewidmet, und es hört niemals auf. Es gab mir alles, was ich habe.

Wie definierst du diese Kultur?
Als roh. Was wir ja prinzipiell machen ist, aus dem Nichts etwas zu kreieren. Es gibt die Straße und dieses einfache Brett. Ich denke, dass wir das als Skater-Community so lieben, weil es eben direkt, echt und roh ist. Und es lehrt dich Demut und Bescheidenheit. Da ist erstmal nichts protzig und glamourös. Es gibt eine Verbundenheit, die aus dieser Idee entstanden ist. Außerdem formt die Aktivität unsere Körper und hält uns fit. Es gibt eine Vielfalt in der Kultur, die sich von vielen anderen Communities unterscheidet.

Ist dein Skateboard eine Erweiterung deines Körpers?
Definitiv. Und zwar eine, die erlaubt, uns auf Wegen auszudrücken, die ohne Skateboard nicht möglich wären. Wie wir skaten, ist immer ein Abbild unserer Persönlichkeit, wer wir sind und wie wir als Menschen sind. In diesem Sinne ist das eine Kunstform.

Wann hast du den Punkt erreicht, dass dein Skateboard und du quasi eins wurdet?
Bei mir ging das schnell. Es gibt aber diesen Zeitpunkt, ab dem man eins mit seinem Skateboard wird und nicht mehr darüber nachdenkt, als wäre es ein Fremdkörper. Dann werden die Bewegungen schlüssig und das Ganze ergibt einen Sinn. Darum geht es. Wenn man einen schwierigen Trick lernt, gibt es viele subtile visuelle Anhaltspunkte – es ist wichtig zu lernen, wo und wie man seinen Blick während eines Ablaufs fixiert. Da geht es vielleicht gar nicht so sehr um Balance. Ob du einen Trick stehst oder nicht, wird oft durch die Aktivität deiner Augen bestimmt. Wenn du einen Trick über die Gap machst, schau niemals auf die Gap, schau nur auf die Landung. Wie man mit seinem Skateboard eins wird, hat viel mit deinem inneren Verstand zu tun.

Rodney Mullen meCon

Mit einem TED Talk vor einigen Jahren fing alles an. Heute ist Rodney Mullen gefragter Redner auf Konferenzen, wie hier auf der meConvention in Frankfurt.

Immer wieder propagierst du, dass es beim Skaten nicht ums Gewinnen geht. Heute haben wir aber eine große internationale Contest-Kultur. Ich denke an SLS und X Games. Es geht um viel Geld. Wie gehen diese Konzepte deiner Meinung nach zusammen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wie alles in der Welt, ist nichts statisch und entwickelt sich weiter. Als ich 1977 mit dem Skaten anfing, ging es schon früh los, dass sich auch bei mir alles nur noch um Contests drehte. Es gab noch keine Videoparts – jene, die die Kultur später so definieren sollten. Eine seltsame Zeit – mir haben die Contests den Spaß an der Sache geraubt. Es wurde mehr und mehr zum professionalisierten Sport. Heute haben wir scheinbar alles Machbare ausgereizt. Vieles fokussiert sich auf die großen Turniere. In den letzten sieben, acht Jahren kamen so viele großartige Pro-Skater an die Öffentlichkeit, aber die wenigsten können ihr Leben damit finanzieren. Es sei denn, du bist im Fernsehen und machst bei den großen Contests mit. Ich will das nicht stumpf kritisieren. Es ist eine Entwicklung, die aus vielen Aspekten entstanden ist. Darunter auch gute Sachen wie die Demokratisierung. Heute wird überall auf der Welt geskatet, und alle sind richtig gut. Aber man muss festhalten: Wenn heute jemand Skaten im Fernsehen sieht, werden die meisten davon ausgehen, es ginge nur um Contests. Als wäre das der Kern der ganzen Kultur.

Das betrifft ja vor allem Kinder, die das nicht anders kennenlernen. Wenn man sich die Superstar-Generation von Nyjah Huston und Luan Oliveira auf Instagram anguckt, wie sie ihr Rapstar-Leben führen.
Ich klage diese Jungs niemals an. Sie verdienen jeden Penny. Aber es stimmt. Es ist ein Rapstar-Leben. Ich erinnere mich an Bam Margera, den ich tief respektiere. Aber als er auf MTV mit Jackass anfing, kamen alle an und dachten, alle Skateboarder würden den ganzen Tag genau so einen Quatsch machen. So etwas verändert die Verhältnisse innerhalb der Community. Auch für diejenigen, die sich neu für die Kultur interessieren. Fangen sie vielleicht an, weil sie Bam Margera oder das Popstar-Leben cool finden, oder worum geht es ihnen? Wenn man sich das alles wie eine Lösung vorstellt, dann verändern sich die Konzentrationen der einzelnen Flüssigkeiten. Es wird immer einen Prozentsatz, einen Kern von Menschen geben, die Skaten so verfolgen, wie wir es tun und getan haben. Aber diese Verhältnisse verschieben sich eben enorm.

2020 wird in Tokio Skaten erstmalig olympisch. Auf der einen Hand ist das der Ritterschlag, dass Skaten in die Liga der akzeptierten Sportarten aufgenommen wird. Auf der anderen Seite geht es dann noch weniger um Skaten als Kunstform?
Das hast du schön gesagt. Das ist der Punkt. Gerade die Skateboarding-Kultur aus Japan – da gibt es einen völlig anderen Style, die haben eine so vielfältige Kultur. Wie sie in ihren Videos Freestyle mit Street-Elementen kombinieren, ist super interessant.

Rodney Mullen 1988 Don Walheim

Rodney Mullen auf einem Freestyle-Contest 1988 in San Antonio, Texas. Foto: „Rodney Mullen 1988“ by Don Walheim is licensed under CC BY 2.0.

Bisweilen mutet das gar komisch an.
Da bin ich bei dir. Vielleicht werden die Olympischen Spiele helfen, Skaten in Ländern bekannt zu machen, in denen es bis heute unvorstellbar gewesen wäre. Oder es kommt ein weirder Twist hinzu, und es entsteht etwas Spannendes. Aber Sport an sich hat immer was mit Spannungen zu tun. Und dieser Druck und die Spannungen nehmen viel von der Kunst und der Kreativität. Auch jene, die den Künstler in sich tragen, fahren Contests aus einer anderen Perspektive. Mir ist dasselbe passiert. Um seinen Rang zu halten, muss man gewinnen. Um zu gewinnen, muss man den ganzen Tag trainieren und Tricks üben, die gut bei den Punktrichtern ankommen. Das ist eine andere Welt. Und auch wenn du im Herzen Künstler bist: Der Druck wird deine Art zu Skaten dennoch beeinflussen. Um Hochleistungssport zu betreiben, muss man auch mental zum Hochleistungssportler werden. Da fängt die Sache doch erst an. Ich habe das selber erlebt.

Wie bist du mit dem Struggle umgegangen?
Das war wie ein führerloser Zug. Wie wenn man Downhill fährt, immer schneller wird und den Zeitpunkt verpasst abzuspringen – das ist mir passiert. Ich war ein stiller Junge vom Bauernhof und mit der Zeit wurde das Skaten zu meinem formalen Ausdruck. Als ich feststellte, dass ich ganz gut bin und Contests plötzlich eine Rolle spielten, ging es nur noch darum, meinen Punktestand oben zu halten. Das waren zwölf Jahre meines Lebens, in denen ich irgendwelche Titel verteidigt habe. Man kann aber nicht so ohne weiteres diesen Zirkus verlassen, weil es in der Erwartungshaltung aller verankert ist. Das war hart. Wie bei Tony Hawk – wenn man einmal einen Rekord aufgestellt hat, dann wird immer erwartet, dass du diesen auch verteidigst. Wenn nicht, stimmt irgendwas nicht mit dir. In meinem Fall war das Ende von Freestyle das Beste, was mir passieren konnte. Ab dem Punkt habe ich beschlossen, nie wieder Contests zu fahren.

Eine große Entscheidung.
Was mir geholfen hat war, von allem einen Schritt Abstand zu nehmen. Ich bin weiterhin viel mit Freunden geskatet. Wir hatten einen eigenen kleinen Park, in einer alten Lagerhalle, wo wir jeden Abend zusammen waren. Das war fantastisch, das Beste. Für mich wurde besonders wichtig, wieder alleine für mich skaten zu können. Die meisten meiner Tricks habe ich währenddessen entwickelt. Am kreativsten bin ich, wenn ich alleine bin. Man macht sich weniger Sorgen, dass jemand sehen könnte, was du gerade verbockst. Das wieder zu entdecken, das war die wichtigste Lektion nach meiner Contest-Zeit. Wenn man mit Freunden skatet, hilft es dir konsistenter zu fahren. Was mich aber wirklich erfüllt hat, war diese kreative Zeit – die war lange einfach zu kurz gekommen. Wenn man alleine fährt, hinterfragt man auch, wieso man das alles überhaupt macht. Ich habe viel Zeit auf Tourneen verbracht. Jeder kommt und freut sich, dich zu treffen und beteuert, was für ein Held du für die seist. Aber das sagen sie jedem dritten Skater.

Bei dir wäre ich mir ausnahmsweise nicht sicher.
Dann jeder fünfte (lacht). Aber das stellt ganz schön viel in deinem Kopf an. Selbst wenn du glaubst, alles sei in Balance, stimmt das im seltensten Fall. Zu viel von diesem Rummel tut nicht gut.

Die dreiteilige Videoreihe "Rodney Mullen vs. Daewon Song" (1997–2004) zählt heute zu den innovativsten Skatevideos überhaupt. Hier der Part von Rodney Mullen aus "Almost Round Three" (2004).

Hast du je darüber nachgedacht, das Skaten komplett an den Nagel zu hängen?
Gute Frage. In der Übergangsphase von Freestyle zu Street hatte ich einen schlimmen Style. Furchtbar war das. Alles war steif, ich bin gefahren wie ein Strichmännchen. Vielleicht erinnerst du dich an Keenan Milton (1974–2001, Anm. d. R.), er war ein großartiger Skater und einer besten Dudes überhaupt. Zu der Zeit, als wir für Plan B ein Video drehten – das war glaube ich „Virtual Reality“ – kam Keenan eines Tages zu mir. Ganz ruhig und sachte erklärte er: „Rod, einige der Jungs machen sich über Passagen in deinem Videopart lustig. Aber ich finde, du warst umwerfend.“ Dieser Satz hat mich seither immer begleitet. Ich befand mich in einer Zeit des Übergangs und es hat ziemlich gesuckt. Die Leute wussten auch alle, wer ich bin, und ich musste einfach diesen Neustart hinkriegen. Zu der Zeit habe ich mich wirklich nicht akzeptiert gefühlt und dachte, das würde für immer so bleiben. Und das bei der Sache, die dich am meisten definiert. Verrückt. Das tat weh. Ich habe mich einsam gefühlt. Ich habe mich in vielen Dingen verloren. Am Ende blieb mir nur zu sagen: Fuck it, du machst jetzt das, was du machst. So demütigend es auch sein mag. Irgendwie bin ich dabei geblieben und heute Fellow am MIT. Und dass die Welt sich mir und meiner Sache gegenüber so geöffnet hat – darüber bin ich dankbar. Skateboarding hat mir so viel gegeben, ich habe das Gefühl, das nie zurückzahlen zu können. Als Kind durfte ich nicht skaten, weil mir gesagt wurde, ich würde zum Penner verkommen.

Dein Vater hat das gesagt, er hat sich lange dagegen gestellt.
Genau. Sein Originalzitat: „Aus dir wird ein Penner!“ Diese ständige Reibung hat mich aber auch angetrieben. Skaten ist ja etwas Besonderes. Und darüber sprechen zu dürfen, bedeutet mir viel. Demnächst halte ich am MIT einen Vortrag über Skateboarding. Es gibt ernsthaft Wissenschaftler, die daran interessiert sind, was ich zu erzählen habe. Deren Interesse beweist aber auch die Schönheit unserer Materie. Ist das nicht eine absurde Wendung der Geschichte?

Als einer, der zu Hause mit so starken Widerständen in der Familie zu tun hatte, aber auch viele Erfahrungen im Profizirkus gesammelt, was sagst du einem Kind, das auf jeden Fall Pro-Skater werden will?
Jeder Mensch ist anders, da tue ich mich mit pauschalen Aussagen schwer. Aber mein bester Ratschlag ist: Folge deinem Herzen und nicht deinen Augen. Guck nicht auf das Rapstar-Leben, achte nicht zu sehr darauf, was andere machen. Das gilt auch für Pros. Tritt einen Schritt zurück und lass die Dinge von dir kommen. Wenn man die ganze Zeit nur auf andere achtet, hinkt man ganz automatisch immer hinterher. Alles ist eine Frage der Zeit. Hör auf dein Herz und verlasse die vorgegeben Pfade und Strecken. Es ist völlig egal, ob du schlecht, mittelmäßig oder gut in etwas bist. Hauptsache es ist deins.

„Skaten ist eine ständige Herausforderung. Man rennt die ganze Zeit vor Bullen davon. Irgendwann kriegen sie dich dann doch. Man versucht dir Angst davor zu machen, was du am meisten liebst.“

Von dir kenn ich den Satz: Ein guter Skater muss zuallererst gut fallen können. Skaten ist gefährlich. Es gibt viele Karrieren, die nach einem Unfall abrupt aufhören. Skater, die nach einer Verletzung von ihren Sponsoren gefallen gelassen werden. Muss man mehr über diese Seite reden?
Das ist ein breites und wichtiges Thema. Was wir in dieser hypermediatisierten Welt sehen, ist das Gegenteil dessen, was es tatsächlich ist. Es ist schwindelerregend, wie unverhältnismäßig das alles geworden ist. Skaten ist ja eine ständige Herausforderung. Es kann enervieren. Man rennt die ganze Zeit vor Bullen davon. Irgendwann kriegen sie dich dann doch. Man bekommt Strafen aufgebrummt, landet vor Gericht. Man versucht dir Angst davor zu machen, was du am meisten liebst. Wie viel Zeit meines Lebens alleine für so etwas draufgegangen ist. Ich kenne Menschen, die das Land deshalb verlassen haben. Das ist doch traurig. Für viele in der Gesellschaft sind Skater Abtrünnige, die nur rumgammeln. So etwas nervt und beeinflusst uns auch. Zum Thema Verletzungen: Ich werde keine Namen nennen, aber mir fallen unglaublich talentierte Menschen ein, die zum Beispiel beim Skaten von einem Handrail wirklich gestorben sind. Es gibt offenbar Dinge, von denen man zuvor niemals ausgegangen wäre, und dann passieren sie doch. Es gab tödliche Unfälle, die ereigneten sich während des Warm-ups für einen Part – nicht mal die Kameras waren an. Über solche Risiken sollte man sich im Klaren sein. Ich musste lange für mein Skaten kämpfen.

Und wirklich bekannt werden die wenigsten?
Ein anderes Problem ist der Erfolg. Du gewinnst den ersten Contest, dann den zweiten, du gehst auf Tour, gibst Autogramme. Oft passiert das so schnell. Du hast den ersten Sponsor und du denkst „Wow!“, dann fährst du international und du hast einen vermeintlichen Wow-Moment nach dem anderen. Viele Firmen verschleißen junge Skater nahezu. Und am Ende hat der kommerzielle Erfolg seine teuflischen Seiten. Ewig sehnst du dich nach Erfolg. Wenn man ihn dann aber hat, stellen viele fest, dass der eigentliche Antrieb, wofür man das alles so lange macht hat, völlig pervertiert wird. Das ist oft ein subtiler Moment, hat aber große Auswirkungen. Es gibt nur wenige, die in so einer Umgebung mit unschuldigen Augen skaten können. Weil es nicht mehr nur um Spaß geht. Das ursprüngliche Feuer, das dich angetrieben hat, wird ausgelöscht. Dann bekommt man noch zu hören, so müsse man damit umgehen, weil es das Level abverlangt.

Das klingt traurig.
Ich habe einst passionierte und talentierte Skater gesehen, die ihre Identität und ihren Charakter durch den Rummel verloren haben. Es scheint, als hätten sie alles Essentielle verloren, um erfolgreich zu sein. Wie ein Deal mit dem Teufel. Viele stumpfen dabei ab und stellen nach sieben Jahren Profikarriere fest, dass eine täglich größer werdende Horde junger Nachwuchstalente sie verdrängen will und auch wird. Viele werden mit der Zeit verbittert. Ich habe in dieser Welt viel Verbitterung und Zynismus erlebt. Ich finde das gefährlich. Aber dieser Lifestyle wird eben so beworben, es geht heutzutage viel um Social Media. Aber vergiss niemals, was für einen Schatz du hast. Wertschätze das zu tun, was du hast. Vielleicht musst du nicht der Beste sein oder Profi werden. Eventuell kannst du den gleichen, wenn nicht sogar größeren Spaß am Skaten haben. Viele Pros verlieren ihre ursprüngliche Motivation und merken das nicht einmal.

Ich möchte über Kreativität sprechen. Du hast unzählige Tricks kreiert, ohne die Skaten heute unvorstellbar wäre – Flat Ollie, Kickflip, Heelflip, Dark Slide. Du giltst als Erfinder des modernen Streetskaten und warst vielleicht so etwas wie der Maler, der die noch weiße Leinwand als einer der ersten bemalen konnte. Heute scheint Skaten formatierter. Vielleicht ist es aber auch schwieriger geworden, kreativ zu sein. Wie siehst du die Lage?
Genau so ist es. In der Tat habe ich angefangen, als Skateboarding eine unbemalte Leinwand gewesen ist. Ich hatte noch die Freiheit, einfache Dinge zu erfinden, die in der Folge fundamental für viele weitere Entwicklungen gewesen sind. Ich bekomme dafür zwar viele Credits, aber für mich ist das keine große Sache.

Der Kurzfilm „Liminal“ wurde 2016 in 360 Grad von Steven Sebring gedreht und zeigt die Schnittstellen zwischen Artistik, Kunst und Skaten.

Damit machst du dich aber klein und negierst den Einfluss, den deine Kreativität für Generationen von Skatern hatte.
Danke. Aber es gibt heute viele talentierte Menschen, die alles geben, was sie haben. Und ja, es ist in der heutigen Umgebung ungleich schwerer geworden, etwas völlig Neues zu erschaffen. Die Natur der Kreativität sollte sich mit der Vorstellungskraft zusammentun. Wir wollen Dinge auf die andere Art ausprobieren. Es geht nicht darum, einen Trick nur der Erfindung willen zu erschaffen. Die Leinwand, von der du sprachst, ist nahezu ausgefüllt. Kleine weiße Flächen sind aber noch vorhanden.

Heißt das, man ist an Grenzen gestoßen?
Das glaube ich nicht. Heute geht es aber eher um neue Kontexte. Es gibt immer wieder Terrains, die nicht geskatet wurden, und das ist für mich auch der Reiz neue Sachen zu verfolgen. Es geht ja immer um die Kombination, die Rekombination, die Transition. Auch hier kann die Vorstellungskraft noch viel erreichen. Es gibt immer etwas, das so noch nie gemacht wurde. Ich hatte einfach sehr viel Glück, in der richtigen Zeit mit dem Skaten angefangen zu haben. Es gab damals gerade mal ein allgemeines Fundament und das Thema Tricks spielte zu der Zeit noch so gut wie keine Rolle.

Als ich in den späten 80ern mein allererstes Skateboard hatte, erinnere ich mich noch an viele unterschiedliche Shapes. Das Skateboard an sich entwickelte sich in der Zeit ständig weiter. Aber seit etwa 25 Jahren ist das Street Skateboard, so wie wir es heute kennen, mehr oder weniger unverändert geblieben. Fast als wäre es innovationsresistent. Das Thema Longboards mal bewusst außen vorgelassen: Wo sind die digitalisierten Kohlefaserboards? Oder ist das Skateboard, so wie es heute ist, bereits perfekt?
Man hat es ja immer wieder versucht. Ich erinnere mich an diese seltsame Achsen, die mit kleinen Rollen ausgestattet wurden, damit man angeblich alles grinden konnte, ohne vorher zu wachsen. Wie lächerlich ist das? Wir kommen aber eigentlich zu deiner ersten Frage zurück. Es geht ja um die Kultur. Technologie ist spannend, würde Skaten aber weniger Menschen zugänglich machen, weil Innovationen wie Kohlefaser-Boards sich mit Sicherheit auch im Preis niederschlagen. Ein Skateboard ist für mich Purismus. Darin liegt aber auch die Schönheit.

Letzte Frage: Welchen Trick, den du nicht erfunden hast, hättest du gerne erfunden?
Oh, sehr viele (lacht). Aber wenn ich einen nennen müsste: Frontside Crooked Grind. Ich liebe diesen Trick vom ersten Tag an. Jedes einzelne Element darin ist einfach großartig und macht so viel Spaß.

Rodney Mullen Portrait

Earquake – Wolfgang Voigt 1991-1999Die Werkschau mit 303 Tracks des Kölner Großmeisters

Pageturner: Literatur im November 2019Johny Pitts, Timo Daum und Yoko Ogawa