Woody Allen im DoppelpackFilmgespräch: „Crisis in Six Scenes“ und „Café Society“

Crisis-Woody Allen - lead

Foto: © Amazon Studios

Mit seinen 80 Jahren legt Woody Allen immer noch eine Produktivität an den Tag, mit der sich kaum ein anderer Autorenfilmer messen kann. Zur Zeit gibt es gleich zwei neue Arbeiten des Vorzeige-New-Yorkers zu sehen: die Amazon-Serie Crisis in Six Scenes und seinen neuen Kinofilm Café Society. Die Kritik ist sich im Großen und Ganzen einig: Es handelt sich um zwei eher mittelmäßige Werke. Tatsächlich reichen beide wohl nicht an die herausragenden Allen-Filme wie Annie Hall, Broadway Danny Rose oder Blue Jasmine heran. Tim Schenkl und Alexis Waltz fühlten sich dennoch ziemlich gut unterhalten.

Alexis: Crisis in Six Scenes wird zwar als Serie vermarktet, wirkt mit seinen sechs 24-minütigen Folgen aber eher wie ein langer Spielfilm. Wir befinden uns in den späten 1960ern: Lennie (Miley Cyrus) ist eine junge, linksradikale Aktivistin, die nach einem von ihr und ihren Kumpanen von der „Constitutional Liberation Army“ verübten Anschlag im bürgerlichen Haushalt des alten Ehepaares Kay (Elaine May) und S.J. Munsinger (Woody Allen) Unterschlupf sucht. Während Kay sich von Lennies politischer Rhetorik verführen lässt, kann S.J. nicht die geringste Empathie für die idealistische, junge Frau entwickeln. Er hat Angst als Mittäter verfolgt zu werden. Ganz besonders erbost ihn jedoch der gesunde Appetit der jungen Revolutionärin, die ihm seinen geräucherten Stör und die Reste von seinem chinesischen Take-Out wegfuttert.

Tim: Richard Brody vom New Yorker nennt das Ganze eine „Satire of Revolutionary Action“ und schreibt, dass Allen S.J. Munsinger als eine Art Held inszeniert, der versucht, dem lächerlichen und aufgesetzten revolutionären Treiben mit gesundem Menschenverstand Einhalt zu gebieten. Ich habe das ein wenig anders gesehen und finde die Rolle des S.J. Munsingers gehört zu den selbstkritischsten und selbstironischsten Figuren, die Allen je gespielt hat.

Alexis: Warum selbstkritisch?

Tim: Allen stellt „sich“ als einen ganz schön selbstgefälligen Egoisten dar. S.J. Munsinger ist ein gescheiterter Schriftsteller, der durch das Verfassen von Werbetexten zu etwas Geld gekommen ist, eigentlich aber viel lieber ein gefeierter Autor wie J.D. Salinger wäre. Die Serie gibt uns jedoch kaum einen Ansatzpunkt, dass er auch nur über das geringste literarische Talent verfügt. Dazu kommt natürlich, dass er sehr selbstgerecht argumentiert, unfassbar ängstlich ist und keinerlei Mitgefühl für Lennie zeigt, obwohl deren Familie seiner Frau in der Vergangenheit solidarisch zur Seite stand. Er ist sich eindeutig selbst der Nächste.

Alexis: Allens S.J. Munsinger deckt sich aber nicht unbedingt mit Woody Allens Stimme als Erzähler. Der Autor und Regisseur macht sich über die von ihm erfundene und gespielte Figur lustig. Dabei erinnert er an Lena Dunham und ihren Umgang mit ihrer Figur Hannah Horvath aus Girls. In einer Sache sind sich beide – also Erzähler und Figur – aber durchaus einig: in ihrer Einschätzung der Lächerlichkeit und der Haltlosigkeit des revolutionären Projekts der 1960er. Die Serie ist aus der Perspektive einer bürgerlichen Welt erzählt, die über die totale Deutungsmacht verfügt. Da ist Allen durchaus ein Zyniker. Dieser politische Zynismus wird durch den Zynismus gegenüber der selbst erschaffenen, selbst gespielten Figur aufgewogen: Allen macht sich über seinen S.J. genauso lustig wie über den revolutionären Geist der Zeit.

Crisis in Six Scenes1

Woody Allen (80 Jahre) und Elaine May (84 Jahre). Foto: © Amazon Studios

Tim: Findest du nicht, dass in der Serie eine gewissen Melancholie deutlich wird? Ich habe ein relativ starkes Bedauern empfunden, nie selbst am politischen Kampf teilgenommen und nur an der Seitenlinie gestanden zu haben. Für mich ist seine Frau Kay ganz klar die Heldin der Serie. Sie steht den Worten von Mao, Lenin und Marx zwar relativ unkritisch gegenüber, zeigt aber Solidarität mit ihren Mitmenschen.

Alexis: Ich habe ein solches Bedauern nicht gesehen. Richard Brody und Matt Zoller Seitz bemängelten die fehlende historische Glaubwürdigkeit. Seitz ist darüber verwundert, dass es Allen nicht mehr gelingt, die Rhetorik von damals halbwegs authentisch zu reproduzieren, obwohl er die Zeit ja selbst miterlebt habe. „There’s nothing here to indicate historical or even intellectual curiosity about what that period in American history meant to young and old people living through it“, schreibt er. Ich denke aber, dass Allen das völlig egal ist. Die Serie hat da einen revisionistischen Gestus. Sie räumt den politischen Kontexten und Debatten von damals schlichtweg keine Bedeutung mehr ein. Allen steht der radikalen, politischen Bewegung der 1960er mit derselben Gleichgültigkeit und Verachtung gegenüber wie ein chinesischer Unternehmer der Gegenwart dem Maoismus – dem ist seine Louis-Vuitton-Tasche, was S.J. sein geräucherter Stör ist.

Tim: Ich will dir da gar nicht komplett widersprechen, aber ganz so sicher wie du bin ich mir trotzdem nicht. Die Serie und auch Café Society behandeln verpasste Chancen und sind für mich in vielerlei Hinsicht wehmütige, geradezu bedauernde Blicke in die Vergangenheit. Es geht viel um die Frage: „Was hätte sein können?“ Am Ende von Crisis in Six Scenes ist Kay ein etwas bewussterer politischer Mensch geworden und S.J. plant, sich endlich seinen großen Traum zu erfüllen: Er will noch einmal einen bedeutenden Roman schreiben. Viel Zeit bleibt ihm ja wahrscheinlich nicht mehr.

Alexis: Dieses Vorhaben hat aber nichts mit der politischen Haltung zu tun, mit der Lennie und seine Frau ihn konfrontieren. In seiner Selbstgenügsamkeit ist er ein typisch komischer Charakter. Am Ende, als er Lennie zur Flucht verholfen hat, darf er endlich wieder in sein gewohntes Leben zurückkehren. Ich fand vor allem seinen Text witzig und die Art, wie er seine Pointen halb ins Off spricht: „She is buiding bombs. I did basket weaving in summer camp.“, ist eine seiner besten Lines. Ausstattung und Kamera sind außerdem wunderschön. Letztere setzt Crisis durch ihre Ruhe und Klarheit von der Hektik anderer aktueller Serien ab. Schwach aber auch irgendwie egal ist, dass Crisis eigentlich keine Serie ist, sondern ein in sechs Clips zerschnittener, langer Spielfilm. Die einzelnen Folgen funktionieren nicht für sich.

Miley Cyrus

Miley Cyrus als die linke Revolutionärin Lennie. Foto: © Amazon Studios

Ganz schön überkandidelt

Tim: Es ist relativ offensichtlich, dass Woody Allen sich nicht auf die Möglichkeiten des Fernsehens, des seriellen Erzählens, einlassen will und dessen Potential auch nicht nutzt. Ich habe Crisis jetzt nun schon zum dritten Mal gesehen und muss sagen, dass ich die Serie von Mal zu Mal besser und überraschenderweise auch witziger fand. Gerade in Sachen Komik erinnern einige Szenen an ganz frühe Woody-Allen-Filme. Sie ist häufig wild, sehr physisch und ein bißchen überkandidelt. Als beispielsweise der aus alten Omas bestehende Buchclub von Kay beschließt, am nächsten Tag eine Sitzblockade zu veranstalten und BHs zu verbrennen. Das ist wirklich so absurd und doof, dass ich es schon wieder toll fand. Allgemein hat es mir sehr gefallen, dass Allen mit so vielen Schauspielern zusammenarbeitet, die die Siebzig weit überschritten haben.

Alexis: Überkandidelt trifft es. Ich musste auch an die Screwball Comedies der 1940er denken.
Dass auf eine komplexe Dramaturgie, parallel geführte Handlungsstränge und Stilmittel wie Rückblenden verzichtet wird, gibt der Serie eine erzählerische Dichte, die heute selten zu finden ist. Am Schluß verlässt sich Allen hauptsächlich auf die Arbeit der Schauspieler und die Qualität des Textes. Und dieses einfache, klare Konzept geht auf.

Tim: Allens neuer Kinofilm hat einen anderen Ton. Café Society kann man nur bedingt als eine Komödie bezeichnen.

Alexis: Café Society war für mich eine weniger schlüssige Seherfahrung als Crisis. Es handelt sich um einen filmisch erzählten Bildungsroman. Bobby (Jesse Eisenberg) wird von seiner Mutter aus Brooklyn zu seinem Onkel Phil (Steve Carell) in das Hollywood der frühen 1930er-Jahre geschickt. Phil hat als Agent mit den größten Filmstars der Zeit zu tun. Das Hollywood von damals erstrahlt in den prächtigen Aufnahmen des italienischen Star-Kameramanns Vittorio Storaro (Il Conformista, Apocalypse Now), erzählt wird es aber hauptsächlich durch Name-Dropping. Ginger Rogers sucht einen neuen Agenten. Paul Muni wurde vom Theater zum Film geholt. Dabei handelt es sich um Gemeinplätze, vergleichbar mit dem oberflächlichen Politik-Talk in Crisis. Natürlich liegt Allen das alte Kino durchaus am Herzen, aber anders als bei Radio Days oder The Purple Rose of Cairo hat es hier nur eine zweitrangige Bedeutung. Allen verschmilzt Dreiecks-Liebesgeschichte, Familienporträt und Coming-of-Age-Film auf ziemlich verkorkste Weise.

Tim: Café Society überzeugt durch eine unglaubliche visuelle Pracht und erscheint im Gegensatz zu anderen Woody-Allen-Projekten der letzten Zeit, eher aufwendig in seiner Herstellungsweise gewesen zu sein. Es gibt großartige Studiobauten und tolle Partyszenen mit vielen Komparsen. Period Pictures erfordern natürlich allgemein immer einen deutlich größeren Aufwand als Filme, die in der Gegenwart spielen. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Café Society ist ein einziger melancholischer Blick in die Vergangenheit, ein Eintauchen in eine andere Zeit und gleichzeitig eine wehmütige Rückschau auf eine verpasste Chance.

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Für Kristen Stewart und Jesse Eisenberg ist Café Society bereits ihr dritter gemeinsamer Film. Foto: Sabrina Lantos, © 2016 Gravier Productions, Inc.

Verpasste Möglichkeiten

Alexis: Das stimmt, der Film befriedigt unsere Schaulust, wie es das Kino heutzutage nur noch selten vermag. Da ist es schade, dass Allen textlich und dramaturgisch nicht so ganz auf der Höhe ist. Der Onkel beauftragt seine patente, bescheidene und dem Hollywood Glam gegenüber abgeklärte Assistentin Vonnie (Kristin Stewart), dem Neffen von der Ostküste die Stadt zu zeigen. Natürlich verliebt Bobby sich in sie. Vonnie ist aber in einer Beziehung mit einem verheirateten Mann. Irgendwann lässt sie sich dann aber doch auf Bobby ein. Später erfährt dieser, dass Vonnies damaliger Geliebter sein Onkel Phil war. Es kommt zu einer Art Showdown, und Vonnie entscheidet sich für Phil, der sich für sie von seiner Frau hat scheiden lassen.

Tim: Ich fand die Verbindung aus Dreiecksgeschichte und Familienporträt eigentlich durchaus schlüssig und gelungen. Bobby ist anfangs fasziniert von dem glamourösen Leben seines Onkels in Hollywood, schafft es aber nicht, aus dessen Schatten herauszutreten. Irgendwann wird ihm bewusst, dass er eigentlich nach New York gehört. Zurück an der Ostküste leitet der den angesagten Nachtclub seines Bruders Ben (Corey Stoll), heiratet die bildschönen Veronica (Blake Lively) und bekommt mit ihr ein Kind.

Alexis: Bobbys Bruder ist eine witzige, charismatische Figur. Er ist ein Gangster, aber trotzdem beliebt in seiner Familie. Dass er Menschen einbetoniert, kommt im Film ein wenig aus dem Nichts. Die Gewalt ist als reiner Gag platziert, fällt aber doch aus dem Film. Ich fand es auch irritierend, dass Allen gerade dann einen Zeitsprung einbaut, als die Dreiecksgeschichte Fahrt bekommt. Am Ende ist die Pointe, dass aus Bobby einer der slicken Karrieristen geworden ist, die Vonnie und er früher belächelten. Aber Bobby begreift das selbst nicht. Vonnie muss ihm das erst bei ihrer Wiederbegegnung in seinem Club erklären: Nachdem sie ihm eine für heutige Verhältnisse unakzeptable Anekdote über Errol Flynns Vorliebe für sehr junge Frauen erzählt hat, weist Bobby sie darauf hin, dass sie selbst eine der Society-Figuren geworden ist, die sie früher verachtete. Das kann sie dann nur zurückgeben. Man kommt da an, wo man niemals hin wollte, scheint der Film zu sagen. So ist das Leben. Zurück bleibt ein leicht melancholisches, wehmütiges Gefühl. Was wäre, wenn Vinnie sich nicht für Phil, sondern für Bobby entschieden hätte?

Steve Carell

Steve Carell als Phil Stern. Foto: Sabrina Lantos, © 2016 Gravier Productions, Inc.

Tim: Ich finde es schon sehr auffällig, dass Woody Allen, der in diesem Jahr seinen 81. Geburtstag feiert, so kurz hintereinander zwei so stark zurückblickende Werke abliefert, die beide vom geplatzten Träumen und vergebenen Chancen erzählen. Da scheint mir viel Alterswehmut mitzuschwingen.

Alexis: Es ist geht um verpasste Möglichkeiten. Aber das, was dann stattdessen passierte, ist auch ganz in Ordnung. S.J. Munsinger ist kein erfolgreicher Romanautor, hat aber einen vollen Kühlschrank und eine glückliche Ehe. Bei Bobby ist es etwas ambivalenter: Seine Frau, die ironischerweise auch Veronica heißt, ist bloß eine Eroberung, zu der er keine wirkliche Beziehung hat. Genauso scheint es bei seiner Arbeit im Club hauptsächlich um Macht, Erfolg und Anerkennung zu gehen. Die Botschaft von Café Society scheint zu sein, dass sich das Leben vom Idealismus der jungen Jahre zum Pragmatismus des reifen Alters verschiebt. Anfangs macht man, was man will, und später dann das, was funktioniert.

Crisis in Six Scenes könnt ihr euch bei Amazon Prime angucken. Café Society startet am 10.11.2016 in den deutschen Kinos.

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