Fragmente einer GroßstadtDominante Deutsche auf Mallorca

Fragmente einer Großstadt Dominante Deutsche auf Mallorca

Anderen Deutschen im Urlaub zu begegnen ist ja so eine Sache. Eine, die sich gefühlsmäßig meist irgendwo zwischen Fremdscham und Ignoranz ansiedelt. Aber wieso diese Ablehnung?

Ist der Grund dafür, dass man im Urlaub Abstand vom eigenen Alltag und deshalb so wenig Nähe wie nur möglich zu allem sucht? Geht es vielleicht den anderen genauso mit mir? Oder fühlen sich gewisse Menschen fernab ihres kontrollierten deutschen Lebens so frei und unbeobachtet, dass sie dazu neigen, die Beherrschung über ihre Sprechweise, deren Lautstärkeregulierung und überhaupt ihr ganzes Wesen zu verlieren? Ist es für die Klischee-Deutschen, von denen hier die Rede ist, im Urlaub schlichtweg egal, was die anderen denken? Oder macht einfach das gewählte Urlaubsland den Unterschied?

Nun ja, meine letzte Woche war angenehm warm, sonnig und entspannt. Zum ersten Mal trat ich mit einer Freundin eine Reise nach Mallorca an. Dass hier Deutsche Urlaub machen – kein Geheimnis. Diese Insel ist jedenfalls unfassbar schön und im November eine grandiose Idee. Obgleich wir natürlich nicht die Einzigen mit dieser Idee waren und Anfang November die Allerheiligen-Ferienwoche der Bayern ist. So beobachtete ich in Palmas Stadtzentrum zwei unterfrankenansässige Ehepaare, die mir aus Kindheitssonntagen, die ich mit Papa auf diversen Fußballplätzen verbracht hatte, bekannt waren. Drollig. Am Strand zwei junge Bayerinnen, die vom hohen Sandvorkommen überrascht schienen. Jedenfalls debattierten sie lange und ausführlich über die beste Art und Weise, das Baby der einen im Sand krabbeln zu lassen: „Und wennds’n doch glei ganz nackert auszieherst? Oder moanst, dann kriegter ’n Sand nei alle Ritzen?“ – „Bah, bah Tobi, ned den Sand essen! Bah, hör doch auf!“.

Am anderen Tag andernorts im Café wieder Franken. Der Chauvinist am Nachbartisch verherrlichte seine Gläser Roséwein mit dem Verhalten seiner Verwandtschaft: „Horch, mei Mudder hat jahrelang jeden Abend zwei Gläserl Melissengeist drunken und is a über 90 worn.“ Ja, da schau her.

All das diente noch unserer beider Belustigung. Es ist nunmal das gute Recht aller Menschen zu reden, worüber und wie sie wollen. So soll es sein.

Allerdings stellte ich bei mir eine Toleranzgrenze fest. Die endete da, wo Mitmenschen vergessen, dass sie nicht allein sind und die Ehrfurcht vor Mutter Erde, dieSchönheit und Stille der Natur mit Gemecker und Geschrei übertönten. Die schönste und einsamste Bucht, die ich ich meinem Leben bisher gesehen hatte und damit auch die schönste und einsamste Bucht, in der ich bisher geschwommen war, rief in mir ein friedliches Gefühl von Überwältigung, Glückseligkeit und Dankbarkeit hervor. Eine dominante Frau mit ihrem stillen Mann und ihren zwei dominanten Söhnen machten mich seit ihrer Ankunft in der schönsten Bucht traurig. Überall sah die dominante Familie Probleme und die Gelegenheit, sich über alles und jeden aufzuregen. Die Menschen, die ihren Scheiß liegen lassen. Die glitschige Qualle, die die dominante Frau berührt. Der Sohn, der rennt. Der Bruder, der falsch rennt. Glücklicherweise sind mir nicht mehr alle Probleme der Familie in Erinnerung. Was meine Stimmung trübte, war einerseits, dass sie mir meine Ruhe stahlen. Vielmehr aber fand ich es eine Schande, dass sie scheinbar keinen Satz positiv formulieren konnten, sondern wo es nur ging, ein Problem identifizierten. Liebes, dominantes, lautes Meckerbürgertum, macht euch das glücklich?

Einmal inständiger notierte ich meine Gedanken in mein Buch und einmal sicherer war ich mir in meiner Sache, die sich Lebenseinstellung nennt. Zufriedenheit ist etwas, das aus mir selbst kommt. Positivismus hat Einfluss auf mein Friedensgefühl und auf das Glücklichsein anderer. Sich aufregen, solange keine konstruktive Handlung folgt, macht unglücklich. Danke, ihr dominanten Deutschen auf Mallorca, dass ihr mich daran erinnert habt. Wir sehen uns bestimmt wieder.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

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