Heimkino: The Girlfriend ExperienceSelfie-Sex

Wir bleiben zwar nicht mehr ganz so viel zu Hause, aber wir gucken weiter Heimkino: Empfehlungen von Sulgi Lie für die Wohnzimmerleinwand. Heute geht es um käufliche Liebe, Zuneigung, Aufmerksamkeit und um käuflichen Sex im Paket. Für schlappe 2.000 Dollar pro Stunde.

Wie gebannt steht Christine Reade (Riley Keough) vor dem Fernsehbildschirm, der sie selbst beim Masturbieren im Schlafzimmer zeigt. Einem vagen paranoiden Impuls folgend, hat sie zuvor ihre gesamte Wohnung mit 24/7-Webcams ausstatten lassen, aber sie wird beim Durchscannen der Überwachungsstreams nicht von der Aufzeichnung eines Eindringlings überrascht, sondern von einem Bild ihrer selbst beim Solosex. Wenn es einem Moment gibt, der die serielle und sexuelle Ökonomie von The Girlfriend Experience verdichtet, dann ist es diese autoerotische Autoaffektion durch einen visuellen Kurzschlusseffekt, der dann als Endlosschleife, als Loop, als GIF auf Repeat geschaltet wird.

Im Unterschied zu verwandten Szenen aus William Friedkins To Live and Die in L.A. (1985), in denen Willem Dafoe seinen Realsex durch ein Video-Interface verdoppelt, oder auch Paul Schraders Auto Focus (2002), wo wiederum Willem Dafoe und sein Kompagnon Greg Kinnear zu ihren selbstgedrehten und selbstgespielten Home-Video-Pornos masturbieren, gibt es in der Autopornografie von The Girlfriend Experience keinen anderen Partner mehr, vielmehr ist der Auto Focus nur noch auf sich selbst gerichtet: Self sex sells – das ist das serielle Vermarktungsprinzip, dem sich die junge Jura-Studentin Christine Reade mit Haut und Haaren verschrieben hat: Denn als High End Escort für das oberste Segment der Chicagoer Finanzoligarchie bietet sie nicht nur ihren Körper zum Verkauf an, sondern auch ihr Selbst, ihre Subjektivität, wäre das nicht ein viel zu altmodisches Wort für eine Welt, in der sich die Menschen wie ferngesteuert durch die verglasten Nicht-Orte des Kapitals bewegen. Erfahrung im emphatischen Sinne kann es eigentlich in dieser eisgekühlten Corporate World keine mehr geben, gleichwohl gibt es eine hohe Nachfrage nach der perfekten Emulation von Erfahrung, nach der totalen Girlfriend Experience, die Christine Reade als Gesamtpaket zum Service anbietet.

Hier hält sich die Serie eng an ihre Vorlage, Steven Soderberghs gleichnamigen, unterschätzten Film von 2009, in der der ehemalige Pornostar Sasha Grey eben nicht nur eine Sexarbeiterin, sondern auch eine Affektarbeiterin spielt, die den von der Finanzkrise gebeutelten Gefühlshaushalt der Wall-Street-Manager wieder in Balance bringt. Dass die Broker eben nicht nur vögeln wollen, sondern ein großes Kuschel- und Redebedürfnis haben, ist in der Transaktion mit inbegriffen. Während den weniger betuchten Männern nur der schnöde Bordellbesuch bleibt, verspricht die glamouröse Girlfriend Experience den Mehrwert der echten Emotion, ein durch Geld akkumuliertes Love-Surplus.

Schein einer Authentizität

Christine Reades Meisterschaft besteht darin, dieser Affektware den Schein einer Authentizität einzuhauchen, in der die Maskerade der wirklichen Erfahrung wirklicher als alles andere ist. Weil Christine Reade ihr Produkt gegenüber der Konkurrenz illusorisch verfeinert hat, ist es nur zwangsläufig, dass sie im Laufe der 13 Episoden von The Girlfriend Experience vor allem das Ziel verfolgt, optimale Verwertungsbedingungen für ihre Dienstleistung zu schaffen. Was eben auch impliziert, sowohl die Konkurrenz auszuschalten als auch die Infrastruktur zu kontrollieren. Die Konkurrenz, das ist zu Beginn der Serie ihre Freundin aus dem Jura-Studium, Avery (Kate Lyn Sheil), die Christine überhaupt erst in Kontakt mit dem Escort-Geschäft bringt, aber psychisch zu labil ist, um mit ihr mitzuhalten. Die Infrastruktur, das ist Jacqueline (Alexandra Castillo), die Leiterin der Escort-Agentur, die eine zu hohe Provision für ihre Vermittlungsdienste verlangt. Um sich vollends die Autonomie über ihr Unternehmen zu sichern, muss sie jedoch ihren Boss bei der Anwaltskanzlei Kirkland & Allen ausstechen, wo sie ein Praktikum absolviert. Paul Sparks, den man auch aus House of Cards kennt, spielt diesen David Tellis als völlig regungslose Charaktermaske, der aber schließlich doch an seiner Affäre mit Christine zugrunde geht. Ein virales Sex-Tape, von dem unklar bleibt, ob es von einem eifersüchtigen Ex-Kunden oder von ihr selbst verbreitet wurde, dient Christine als Erpressungsmittel gegen Tellis, den sie der sexuellen Nötigung bezichtigt.

Learning from Kim Kardashian: Zweifellos hat sich Christine die Grundregel der Celebrity-Kultur zu eigen gemacht, dass ein Sexskandal in Social-Media-Zeiten dem eigenen Marktwert eher zugute kommt. Nur dass jede Form des Sozialen den Transaktionen dieser Ware-Geld-Monaden abhanden gekommen ist: „It’s called economy“ entgegnet Christine David, als dieser sie nach seinem Rauswurf aus der Firma ein letztes Mal zur Rede stellen will. Kalkül ist alles, Leidenschaft ist nichts.

Pornografische Endlosschleife

In einer der finstersten Szenen der Serie zieht sich der nun arbeitslos gewordene David in sein Zimmer zurück und masturbiert zu der Sextape-Schleife, die ihn selbst zum Fall gebracht hat: „You like being paid for sex, right?“ fragt dort eine nachträglich verzerrte männliche Stimme beim coitus a tergo und Christines Antwort darauf lautet: „Yes, it turns me on.“ Als unentwegt wiederholtes Replay hallt diese Formel als ein leeres Ritornell durch die letzten Folgen einer Serie, die mit großer Stringenz ihre eigene Serialität als pornografische Endlosschleife formalisiert. Auch Paul endet als onanistisches Anhängsel eines hypernarzisstisch mutierten Sexus, der von aller Sozialität und Alterität freigesetzt worden ist.

Daher wäre es zu verkürzt, The Girlfriend Experience als eine (post)feministische Ermächtigungsfabel zu verstehen, in der Christine als böse femme fatale das Finanzpatriarchat mit seinen eigenen Mittel bekämpft. Denn die weibliche Gier nach Sex und Geld wird eben nicht als Exzess inszeniert, sondern in radikaler Monotonie ausgebreitet. Den gleichförmigen Sexszenen fehlt jede Körperlichkeit, ihre Sterilität entlehnt der Pornografie nur ihr serielle Form, nicht aber ihr abjekte Fleischlichkeit. Weit entfernt ist man auch von den Transgressionsfantasien etwa von Belle de Jour, in der die Prostitiution noch als sexuelles Phantasma einer anti-bürgerlichen Libertinage fungieren durfte. In The Girlfriend Experience ist der Sex von Lust oder Leid entkoppelt, er ist weder ekstatisch noch völlig freudlos, sondern seltsam neutralisiert, um nicht zu sagen – desexualisiert. Aber auch das Geld, das Christine anhäuft, hat keine orgasmische Potenz mehr in dieser Hölle des Gleichen, in der alles miteinander austauschbar ist: es sind die immergleichen Designerwohnungen, Büros, Restaurants, Bars und Hotels der Upper Class mit ihren dezent gedeckten Farben. Ob nun in Chicago oder in Toronto bei einer Dienstreise, ist völlig egal. Nichts hinterlässt eine Spur, nichts bleibt, weder Orte noch Begegnungen, noch in der tollen vorletzten Episode die eigentlich sehr netten Eltern von Christine. Alles wird von einer bleiernen Gleichförmigkeit totalisiert, die keine Geschichte mehr kennt, kein Trauma, keine Psychologie, keine Erfahrung.

Dieses Regime der Äquivalenz findet ihren kongenialen Anti-Ausdruck in dem so entrückt schönen wie vollkommen leeren Gesicht von Riley Keough (als Enkeltochter von Elvis Presley ein reines Celebrity-Geschöpf), das uns in seiner Unlesbarkeit frösteln macht. Am Ende steht, wie sollte es anders sein – die Autonomie der Autorerotik, oder sollte man sagen: Selfie Sex.

Die Serie ist u.a. bei Amazon Prime zu sehen. Dieser Text erschien zuerst in Filmbulletin 4/2017.

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