Ein Film mit StützrädernFilmkritik: „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck

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Alle Fotos: © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck verfilmt die Lebensgeschichte von Gerhard Richter. Herauskommen kann da nur Großes. Ganz, ganz Großes. Eine Kritik von Alexander Buchholz.

Wer das Pech hatte, der Pressevorführung von Werk ohne Autor am 13. August im Cinestar am Potsdamer Platz beizuwohnen, musste sich nicht nur den erwartbar fürchterlichen Film anschauen, sondern vorher auch noch ungefragt eine Viertelstunde lang Florian Henckel von Donnersmarcks Slam Poetry über sich ergehen lassen. Da hat er, Florian Henckel von Donnersmarck, uns dann u.a. erzählt, dass Werk ohne Autor seine Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig feiern würde, wo er, Florian Henckel von Donnersmarck, Alexander Kluge als Geisel nehmen treffen würde, 32 Jahre nachdem dieser mit Abschied von gestern den Silbernen Löwen gewonnen habe! Und wie ihm, Florian Henckel von Donnersmarck, die Idee für seinen Film zugeflogen sei: Er, Florian Henckel von Donnersmarck, sei nämlich von Jürgen Schreiber für die FAZ interviewt worden, der wiederum eine Gerhard-Richter-Biografie geschrieben habe und da habe er, Florian Henckel von Donnersmarck, den Jürgen gefragt, warum er das denn getan habe, wo es doch bereits so viele Gerhard-Richter-Biografien geben würde. Die Antwort habe er, Florian Henckel von Donnersmarck, dann gar nicht mehr abgewartet und sich einfach kurzerhand entschlossen, den Plot zu klauen, die Namen der Protagonisten auszutauschen und sich daran zu machen, das flachste Drehbuch aller Zeiten zu Papier zu bringen. Und so habe er, Florian Henckel von Donnersmarck, bla, bla, bla, Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber.

Wie oft kann man eigentlich den Namen „Florian Henckel von Donnersmarck“ niederschreiben, bis man sich einen Schraubenzieher durchs Auge ins Gehirn treiben will bzw. bis Pages diesen Namen endlich ins Wörterbuch aufnimmt und nicht mehr dauernd rot unterkringelt? Circa ein Dutzend Mal, glaube ich. Zähle ich jetzt wohl mal besser mit und leg mir einige Kosenamen zurecht für Florian Henckel von Donnersmarck.

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Zwei ineinander verkeilte Einkaufswagen

In Werk ohne Autor heißt Gerhard Richter Kurt Barnert (Tom Schilling). Wir begleiten dessen Lebensgeschichte von der Kindheit in Nazideutschland über seine Jugend in der DDR bis hin zu seiner Künstlerkarriere in West-Deutschland, an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Professor Antonius van Verten (Oliver Masucci, Josef Beuys kanalisierend). Wie sehr Kurts Schicksal von Professor Carl Seeband (Sebastian Koch), dem Vater seiner Liebsten Ellie (Paula Beer), bestimmt wird, ahnt er nicht: Als hohes Tier im Dritten Reich war dieser mitverantwortlich für das Euthanasieprogramm der Nazis, dem Kurts Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) zum Opfer fiel. Auch in der Gegenwart zieht Seeberg seine Strippen, torpediert die Beziehung der beiden Liebenden und macht auch nicht halt davor, seiner Tochter höchstpersönlich das Kinderkriegen auszutreiben. In der Kunsthochschule ringt Kurt derweilen um seine eigene Künstleridentität und entwickelt eine Beziehung zu dem enigmatischen Bildhauer van Verten.

In Oh Boy, dem Film, der Schilling zur Prominenz verholfen hat, gibt es diese Szene, in der dessen Figur seinen Schauspielerfreund am Filmset besucht. Irgendwas Melodramatisches, mit viel deutscher Geschichte wird da produziert. Ganz beiläufig führt Jan Ole Gerster die ganze eitle Selbstinszenierung jenes deutschen Filmschaffens vor, welches für sich eine globale höhere Aufgabe sehen muss, weil es sonst eben nichts hat: Weder inszenatorische Virtuosität noch Originalität oder sonst irgendwas. Vielleicht ist Werk ohne Autor eben dieser Film im Film.

Der ganze Quark wäre uns vielleicht erspart geblieben, hätte The Tourist die Regiekarriere des „Wunderkind[s] des deutschen Films“ so gründlich und nachhaltig zerlegt, wie sie es eigentlich verdient hätte. Nein, tatsächlich und unglaublicherweise war der Film mitnichten ein Flop, sondern hat weltweit dann doch gut Kasse gemacht. Wir erinnern uns: The Tourist war FHvDs zweiter Spielfilm nach dem Oscar-prämierten Das Leben der Anderen, sein Hollywood-Debüt und eine legendenumrankte Peinlichkeit. Wer gehört hat, der Film verdiene seinen miesen Ruf nicht, dem sei gesagt: „Doch. Tut er.“ The Atlantic lügt, ebenso die nichtsnutzige Blickpunkt: Film. In The Tourist schob der deutsche Oscarpreisträger Angelina Jolie und Johnny Depp wie zwei ineinander verkeilte Einkaufswagen verschiedener Supermärkte durch einen haarsträubend hirnverbrannten und grotesk zähen Krimi-Plot und ließ beide so unendlich alt und müde aussehen, dass man begann, sich ernsthaft Sorgen um sie zu machen.

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Aber Das Leben der Anderen war doch ein richtig toller Film, oder? Hat dem deutschen Kino doch wieder den Weltrang beschert, der ihm gebührt, nicht wahr? Weil, das ist ja so wichtig: Weltrang. War nicht ganz einfach, aus dem ganzen „Wir sind wieder wer!“-Gequäke einen anständigen Verriss rauszufiltern. Da konnte ich jetzt auf die Schnelle nur Claus Lösers taz-Kritik finden, die aus dem Stasi-Kammerspiel gepflegt die Luft rausgelassen hat.

Für Begriffsstutzige

Wie wichtig ist Werk ohne Autor? So wichtig, dass der Film am Tag der Deutschen Einheit starten muss! Und weil nicht einmal altschlesischer Adel den 3. Oktober 2018 einfach auf Donnerstag verschieben kann, startete Werk ohne Autor bereits am Mittwoch. Aber ich würde ja wetten, dass sie es versucht haben, er und seine bestens vernetzte Großfamilie. Wenn das Geld nicht für Kalendermanipulation reicht, so doch dann immerhin für ein Marketingsperrfeuer sondergleichen. So darf Graf Zeppelin sich Hoffnung machen, schon wieder den Oscar für Deutschland zu holen – das hat ihm das letzte Mal doch so viel Freude bereitet! So hat es eine „unabhängige 9-köpfige Jury“ der „Serviceagentur German Films“ beschlossen. Dass Werk ohne Autor für Deutschland ins Rennen geht, sei, so Produzent Jan Mojto, „nur logisch“, erzähle der Film doch „30 Jahre deutsche Zeitgeschichte für ein junges Publikum und für die Welt“. Und damit man dem schulpflichtigen Publikum nicht nur in dessen Freizeit mit dem Epos auf den Keks gehen kann, gibt’s natürlich auch Material für den Einsatz im Schulunterricht, empfohlen für die 10. Klasse. So bekommt der Imperativ der tagline von Werk ohne Autor, „Sieh niemals weg“, gleich noch mal einen ganz besonders autoritären Tonfall: „Glaubt ja nicht, dass ihr Schlingel entkommen und den pädagogisch wertvollen Kinobesuch schwänzen könnt!“

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Der Film würde Zweitklässler unterfordern, so kunstlos ausformuliert und offensichtlich wird der Bildungsroman wegerzählt. Entweder sind Grundschuldkinder seine angepeilte Zielgruppe oder aber, Florian Maria Georg Christian Graf Henckel von Donnersmarck hält sein Publikum für mächtig schwer von Begriff. In dem Film wird kaum etwas nicht unmissverständlich proklamiert. Da sagt Paula Beer, nachdem ihr Nazivater sie unfruchtbar gemacht hat: „Ich kann keine Kinder kriegen.“ Dreißig Minuten später sagt sie: „Ich kann doch Kinder kriegen.“ In diesem Stil geht das die ganze Zeit. Es ist zum Heulen. Alles begleitet von Max Richters Musik, die einem immer, aber auch wirklich immer, ganz haarklein vorschreiben will, was man zu fühlen hat. Ein Film mit Stützrädern unten dran, formal hüftsteif und die ganze Laufzeit über ausgeleuchtet wie eine Zahnarztpraxis, merkwürdigerweise auch in den Szenen, die im Dunkeln spielen – keine Ahnung, wie die das hinbekommen haben. Nicht eine Sekunde lang sieht Werk ohne Autor nicht wie ein abfotografiertes Filmset aus, sind die Protagonisten mehr als eindimensionale Abziehbilder. Nichts atmet hier. Ein überkontrollierter Riesenaufwand, alles für die Katz. Und all das nur, um die übliche Mär zu erzählen von den traumatisierten männlichen Identitäten, die sich mit Frauenleichen reparieren müssen.

Altäbte und Proleten

Ich werde jetzt nicht so tun, als hätte Werk ohne Autor auch nur eine Sekunde lang eine reelle Chance bei mir gehabt. Der Regisseur ist mir einfach zu adelig. Und zu groß. Und der lässt dauernd große Namen fallen, um sich selber noch größer zu machen. Ich bin nach der PV an ihm vorbei gegangen, und der ist tatsächlich drei (große) Köpfe größer als ich. Wie groß will der denn noch werden? Also gut, die vielen Neidthemen, die mich im Zusammenhang mit dem Grafen beschäftigen, hat die obige Prosa eventuell noch ein wenig unsachlicher werden lassen als sonst bei mir üblich. Filmkritik muss wieder mehr trollen, finde ich. Ich meine, – Herrgott nochmal! – der dankt im Abspann Andy Warhol! Und dem Altabt Gregor Henckel-Donnersmarck! Warum? Weil er es kann! So einer ist der Florian. Gut, gäbe es in meiner Familie einen Altabt und nicht nur Proleten, würde ich vielleicht auch einen Film drehen, damit ich dem im Abspann danken könnte.

„Das Nichtverfilmte kritisiert das Verfilmte“ ist einer dieser fetzigen Alexander Klugismen, die einem in diesen kargen Zeiten Trost spenden können. Paraphrasieren wir uns das einfach zu: „Das Kaumveröffentlichte kritisiert das Kinosaalverstopfende“ und fragen uns, warum Klaus Lemke mit Ende 70 frischere Filme dreht als jemand mit Mitte 40. Dessen neuer Film wurde gerade am Kino vorbei erst im ZDF-Spätprogramm und dann in der Mediathek beerdigt und ist dort noch eine Weile online anguckbar. Kino fällt ja wohl flach heute, schauen wir uns den doch an, einäugig und mit perforierten Stirnlappen.

Werk ohne Autor
D/I 2018
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck
Darsteller: Sebastian Koch, Tom Schilling, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Oliver Masucci
Kamera: Caleb Deschanel
Schnitt: Patricia Rommel
Musik: Max Richter
Laufzeit: 188 Min.
seit dem 03.10.2018 im Kino

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