Review: Moto G5 und G5 PlusDie neue Smartphone-Mittelklasse von Lenovo

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Die G-Serie von Motorola aka Lenovo steht seit einigen Jahren für ordentliche Leistung bei vergleichsweise moderaten Preisen. Telefone also, für die man kein halbes Monatsgehalt investieren muss und trotzdem im digitalen Alltag Oberwasser behält. Genau das ist das Versprechen der neuesten Modelle: G5 und G5 Plus. Ein Alleinstellungsmerkmal ist das jedoch schon lange nicht mehr. Smartphones in der 200-Euro-Liga gibt es von jedem Hersteller, in jeder Farbe und Größe, auf jedem Grabbeltisch in jedem Elektromarkt. Was bietet Traditionsmarke und Razr-Erfinder Motorola für dieses Geld?

Neulich fragte mich mein Kollege Ji-Hun, was ich für ein Auto kaufen würde, wenn ich müsste/könnte/wollte. Eine ungewöhnliche Frage, immerhin habe ich nicht mal einen Führerschein. Aber wenn wir von der Redaktion mit dem Fahrstuhl nach unten fahren, stehen wir vor einer Autowerkstatt und Ji-Hun mag Autos. Ich überlegte kurz und sagte: einen Golf. Latent spürbares Interesse an der Augenbraue des Chefredakteurs. Warum hatte ich das gesagt? Weil ich mich an meine Kindheit erinnert hatte und an den Golf meines Vaters. Der fuhr und hatte ein Tape-Deck. Wir konnten damit also Ausflüge machen und dabei Simon & Garfunkel hören. Mehr muss ein Auto doch nicht können. Das sehe ich heute noch immer so.

Die neuen G5s von Motorola – das G5 und das G5 Plus – sind genau solche Golfs. Beide fahren und beide spielen Simon & Garfunkel. Um im Bild zu bleiben: Das G5 – ca. 190 Euro – ist der Zweitürer, das G5 Plus – 280 Euro – der Viertürer mit ein paar mehr PS unter der Haube und der größeren Windschutzscheibe. Wie komme ich nur aus dieser Auto-Analogie wieder raus? Egal, Vollbremsung.

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Über Motorola sollte jemand mal ein Buch schreiben, denke ich mir, als sich Journalistinnen und Journalisten unweit des Berliner Fernsehturms im einem Fitness-Studio treffen (mehr dazu vielleicht später, ich weiß noch nicht, ob dieser Artikel noch einen Seitenhieb über nutzlose Kooperationen braucht) und in herrlich hässlichen Vitrinen die Mobilfunkgeschichte der Firma ausgestellt wird. Klassiker an Klassiker, gepaart mit den üblichen skurrilen Auswüchsen, die immer dann passieren, wenn einem der Erfolg über den Kopf wächst. Doch dieser Erfolg ist lange her.

Dass es Motorola als Marke immer noch gibt, ist Lenovo zu verdanken. Die haben das Unternehmen von Google übernommen, nachdem sich die Android-Erfinder alle Patente geschnappt hatten, die man brauchte. Mit dem übriggebliebenen Rest konnte und wollte man dann relativ wenig (gar nichts) anfangen. Ziemlich dumm und kurzsichtig eigentlich, aber gut für Lenovo, wo man gerade noch rechtzeitig gemerkt hat, dass es bei allen Weltherrschaftsfantasien trotzdem eine gute Idee ist, eine Marke im Portfolio zu haben, die jeder kennt, der viele vertrauen und mit der man auch schon mal telefoniert hat. Das ist ja auch der einzige Grund, warum es plötzlich wieder Nokia-Telefone gibt.

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Moto G5 Plus

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Moto G5

Seit der Übernahme hat sich Motorola sehr überzeugend gerappelt. Gute Hardware zu guten – erschwinglichen – Preisen und auch Innovation: Das modulare Smartphone, das Google in einem Anfall kalifornischer Selbstüberschätzung erst großspurig angekündigt und dann kleinlaut zu den Akten gelegt hat, wurde von Motorola klug, wenn auch vollkommen anders mit dem Moto Z und den dazugehörigen Moto Mods umgesetzt. Innovationen sucht man bei den beiden G5-Telefonen natürlich vergeblich.

Doch darum geht es hier auch gar nicht. Es geht vielmehr darum, womit sich eigentlich alle Hersteller von Android-Geräten weltweit tagtäglich auseinandersetzen müssen: Geräte zu bauen, die sich die Menschen faktisch leisten können und nicht behandeln müssen, als hätten sie Porzellan aus Meißen in der Hosentasche oder ein unersetzliches Erbstück von der Uroma aus Panama. An diesem Projekt sind ergo auch alle Hersteller dran. Tatsächlich ist das sogar das Brot-und-Butter-Geschäft aller Firmen. Außer Apple. Entsprechend undurchsichtig und verwirrend – nein: nervtötend – ist es, sich einen Überblick verschaffen zu wollen für den Moment, wenn man ein neues Telefon braucht und genau 200 Euro dafür ausgeben kann. In diesem Preissegment haben eigentlich alle was im Angebot. Außer Apple. Aber nur weil einem das neue Huawei des Kumpels gut gefällt (600 Euro), heißt das ja noch lange nicht, dass das 200-Euro-Äquivalent auch was taugt. Oder das von LG oder von Samsung oder von wem auch immer.

Die gute Nachricht: G5 und G5 Plus taugen beide. Und damit ist die Geschichte auch schon fast zu Ende erzählt.

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Sollen sich die Leute doch ein neues kaufen. So selten sind die Seltenen Erden nun auch (noch) nicht.

Denn: Tatsächlich gibt es in dieser Preisklasse kategorisch wenig bis gar nichts zu berichten. Dass man ein vernünftiges Telefon zu diesem Preis bauen kann, ist schon lange keine Raketenwissenschaft mehr. Es geht eher darum, wie umfänglich man sich von den Herstellern in dieser Kategorie verarschen oder hinters Licht führen lassen will. Materialwahl, Display-Auflösung, Kamera-Qualität, Akku-Laufzeit, extra Klimbim: In der Regel passt das alles. Bei den Software-Updates wird es da schon heikler. Da sinkt das Interesse der Hersteller stetig. Wenn man solche Billo-Handys schon anbieten muss, dann setzt man nicht auch noch 25 IT’ler daran, die Telefone mit neuen Android-Versionen auszustatten. Sollen sich die Leute doch ein neues kaufen. So selten sind die Seltenen Erden nun auch (noch) nicht.

Hier hat Motorola in den vergangenen Jahren überraschend Haltung gezeigt. Was auch damit zu tun hat, dass Googles Betriebssystem nicht komplett kernsaniert, sondern mehr oder weniger so installiert wird, wie man sich das auf dem Suchmaschinen-Campus eben ausgedacht hat. Daumen drücken, dass das immer so bleibt. Denn wenn man die neuen Eigentümer – Lenovo – an Android ranlässt, wird einem schwindelig wie nach schlechtem Fusel.

Hab’ ich eigentlich schon was zur Hardware gesagt? Nein? Au weia. Dann mal im Schnelldurchlauf.

Moto G5

Moto G5 Presse
  • Display: 5” (1080p)
  • Prozessor: Snapdragon 430
  • RAM: 2GB, 3 GB
  • ROM: 16 GB (erweiterbar)
  • Akku: 2.800 mAh (wechselbar)
  • Kamera hinten: 13 MP (f/2.0, Phasenerkennungs-Autofokus)
  • Kamera vorne: 5 MP (f/2.2)
  • Fingerabdrucksensor

Moto G5 Plus

Moto G5 Plus Presse
  • Display: 5,2” (1080p)
  • Prozessor: Snapdragon 625
  • RAM: 3 GB
  • ROM: 32 GB (erweiterbar)
  • Akku: 3.000 mAh (nicht wechselbar, dafür aber mit QuickCharge)
  • Kamera hinten: 12 MP (f/1.7, Dual-Pixel-Autofokus)
  • Kamera vorne: 5 MP (f/2.2)
  • Fingerabdrucksensor

Wem das alles nichts sagt, dem sage ich: You’ll be fine.

Wer sich Specs dieser Sorte auskennt, sieht sofort: voll okay. Aber beim neusten Autorennspiel könnte bei einem geschmeidigen Überholmanöver die Framerate vielleicht nicht mehr ganz so geschmeidig wirken. I’m looking at you, ihr ideenlosen Tech-YouTuber, redet mal noch drei Minuten über den Druckpunkt des An/Ausschalters. Wem das alles aber nichts sagt, dem sage ich: You’ll be fine. Echt. Macht euch keine Sorgen. Beide Telefone sind handlich, toll verarbeitet, haben helle und knackige Displays, machen akzeptable bis überzeugende Fotos, sind zum Großteil aus Metall und so weiter. Mit anderen Worten: Fährt und spielt Simon & Garfunkel, bzw.: Ja, Facebook scrollt. Kaum vorstellbar, 2017.

À propos 2017: Natürlich sind die Bereiche ober- und unterhalb der Displays zu groß, natürlich ist es merkwürdig, dass der Fingerabdrucksensor den Daumen mit so gar keinem Feedback begrüßt und natürlich fehlt auch USB-C. Auch die Lautsprecher sind bescheiden. Das ist alles schade, kann einem aber auch passieren, wenn man 800 Euro für ein Telefon ausgibt. Für 190 bzw. 270 Euro bekommt man mit den G5s reichlich bang for the bug. Wie Lenovo hier auf einen finanziellen grünen Zweig kommen will, bleibt zwar schleierhaft, ist aber auch nicht unser Problem. Wir hören hier doch gemeinsam Simon & Garfunkel.

Bleibt die unausweichliche Frage, welches G5 denn nun das vermeintlich bessere ist. Die Antwort: Schon das Plus-Modell. Kaum größer als sein kleiner Bruder, dafür aber mit mehr Display und einer deutlich besseren Kamera bestückt. Wer wirklich nur 200 Euro ausgeben kann oder will, dem wird das reguläre G5 aber auch taugen. Nutzt das gesparte Geld lieber dort, wo ihr es dringender braucht und regt euch nicht über ein nicht so brillantes Foto auf. Dafür ist das Leben einfach zu kurz.

Notiz an mich selbst: Checken, ob der VW Golf jemals ein Mittelklasse-Wagen war. Falls nicht, Text löschen und bei Motorola um Verlängerung der Leihfrist bitten.

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