Review: iPhone XRDas Beste kommt zum Schluss

Review iPhone XR - lede

Mit dem XR ist das iPhone-Lineup 2018 komplett. Technisch praktisch in allen Belangen auf Augenhöhe mit den vor wenigen Wochen veröffentlichen Modellen XS und XS Max, ist es gleichzeitig das preisgünstigste Smartphone aus Cupertino mit aktueller Technik. Auch dank frischer Farben – gelb, blau, orange und rot – mag man sich fragen: Wer soll denn die teureren Telefone nun noch kaufen?

Was? Noch ein iPhone-Text? Ja, dauert aber auch nicht lang – versprochen. Die Story des XR ist schnell erzählt – und dürfte eine der größten Erfolgsgeschichten in Cupertinos Smartphone-Abteilung werden.

Apple ist ja bekannt dafür, zu bestimmten Partys gerne zu spät zu kommen. So verweigerte man sich beispielsweise jahrelang der OLED-Display-Technik und dem Edge-to-Edge-Design, bis im vergangenen Jahr alles anders, dafür aber auch noch teurer wurde. Wer sich das iPhone X leisten konnte, lebte dafür fortan im Himmel. Ende September 2018 wurde dieser Heaven dann adäquat aufgebohrt und noch strahlender ausgeleuchtet – und nochmals teurer.

Das nun nachgeschobene iPhone XR verspricht Abhilfe: der gleiche Prozessor wie in den beiden Flagschiffen, die gleiche FaceID-Technologie zum Entsperren des Smartphones und ein großzügiges, 6,1" großes Display – für 300 Euro weniger. Die Abstriche sind überschaubar, nicht nur auf dem Datenblatt. Ein bisschen weniger RAM, eine einzelne statt einer Dualkamera auf der Rückseite und ein Display, bei dem man wieder auf IPS-Technik setzt, also auf OLED verzichtet, und zusätzlich noch 3D Touch in Rente schickt; ein Feature, das es seit 2015 in den iPhones gibt, und den meisten vergleichsweise egal sein dürfte. Was soll hier also schiefgehen? Die Antwort: nichts. Tatsächlich rein gar nichts.

Es gehört wohl zum betriebswirtschaftlichen Einmaleins, dass börsennotierte Unternehmen so viel Geld verdienen wollen, wie nur irgend möglich. Auch wer keine Aktien ausgibt, hat am Ende des Geschäftsjahres gerne ein dickes Plus auf der Haben-Seite. In der Smartphone-Branche hat Apple dieses Prinzip zur Perfektion getrieben. Die Geräte sind teuer. Und: Die Preise bleiben über den gesamten Verkaufszeitraum stabil, die Margen sind also gesichert. Ein Phänomen, das in der Branche einzigartig ist. Wenn Samsung ein neues Smartphone in den Handel bringt, ist die UVP eigentlich bedeutungslos. Wer also ein normal-temperierter Fanboy oder ein normal-temperiertes Fangirl ist, kann schon wenige Wochen später massive Schnäppchen einfahren. Viel Geld legt man dann immer noch auf den Tresen – und das ist ok: so ein Telefon zu entwickeln, ist kein Kinderkram. Tatsache ist aber auch, dass die Preise für Flaggschiff-Telefone schon seit Jahren immer weiter steigen. Das Android-Lager hechelt Apple hinterher – das 1.000-Euro-Telefon ist mittlerweile Realität und auch Hersteller, die ursprünglich angetreten waren, dieses Spiel nicht mitzumachen, ziehen die Preise immer weiter an. Damit sie wenigstens in den ersten Monaten – vor dem Preisverfall – genug Umsatz mit den Geräten machen, um das gesamte Projekt noch mit einer schwarzen Null zu den Akten legen zu können.

Bei Apple hingegen liegt man auf dem Sonnendeck der Marken-Loyalität. Da treibt man einerseits mit dem XS Max die preisliche Schmerzgrenze für ein Telefon mit bis zu 1.649 Euro ins Unermessliche und liefert dann – wenige Wochen später – für deutlich weniger vergleichbare Technik, inklusive der Features, von denen man einige im XR gut und gerne auch einfach hätte weglassen können: schon skurril.

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Das Lineup ist komplett: iPhone XS, iPhone XR und iPhone XS Max

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Drauf geschaut

Wo liegen nun die Unterschiede? Fangen wir beim Display an. Dass das iPhone XR aussieht wie ein X, ein XS oder ein XS Max muss ich euch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erzählen. Gleiches Design, gleiche Wirkung. Einzig der Rahmen ist hier nicht aus Edelstahl, sondern – wie früher – wieder aus Aluminium. Das Display also misst 6,1" und ist ein LCD. Was ist eigentlich der Unterschied zu einem OLED? Kurz gesagt: Beim LCD kommt eine Hintergrundbeleuchtung zum Einsatz, die den ganzen Bildschirm hell macht. So werden auch die Pixel, die eigentlich nur schwarz anzeigen, beleuchtet. In einem OLED-Panel hingegen leuchtet jeder Pixel selbst. Die also, die schwarz anzeigen, werden einfach abgeschaltet. So kommt es zu den „deep blacks“, die die OLED-Technologie unter anderem auszeichnen – und Energie lässt sich dabei auch noch sparen.

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Die LCDs von Apple waren immer hervorragend, so auch hier.

Es sind also zwei unterschiedliche Techniken – welche davon besser oder schlechter ist, liegt vor allem im Auge des Betrachters. Fest steht hingegen, dass man sowohl schlechte LCDs als auch schlechte OLEDs herstellen kann. Die Bildschirme von Apple waren immer hervorragend, so auch hier: Einzig einen kleinen Rahmen zwischen Display-Rändern und Gehäuse muss man in Kauf nehmen. Der ist größer als beim XS, aber hier sitzt die Hintergrundbeleuchtung. LCDs sind zudem nicht flexibel – um die Rundungen in den Ecken des Displays so überzeugend umzusetzen, musste reichlich Software geschrieben werden. Das Ergebnis ist vom XS nicht zu unterscheiden.

Und das, obwohl das Display nicht mal volle 1080p-Auflösung hat – ein durchaus berechtigter Aufreger, der sich aber im Alltag als harmlos herausstellt. Der Screen selbst ist von so hoher Qualität, dass die geringere PPI-Zahl nicht stört. Und offenbar ohnehin kein Problem ist, wie ein Auskenner vorrechnet:

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Drauf gehalten

Der zweite große Unterschied ist Apples Verzicht auf die Dualkamera. Das XR verfügt auf der Rückseite lediglich über den 12-Megapixel-Sensor, der auch im XS und XS Max verbaut ist. Die zweite Kamera, die Tele, fehlt. Vom optischen Zweifach-Zoom abgesehen, stellt sich das als kein besonders großer Verlust dar – zumal der Porträt-Modus, bei dem die Telekamera ja eigentlich die Tiefeninformationen sammelt, erhalten bleibt und von Software berechnet wird: Die Ergebnisse haben nicht nur einen anderen Look, sondern fangen auch einen anderen Bildausschnitt ein. Wer bislang ein neueres iPhone mit Dualkamera im Einsatz hatte, muss sich also ein wenig umgewöhnen – als besser oder schlechter lassen sich die Bilder nicht kategorisieren. Wichtig zu wissen ist hingegen, dass sich der Porträt-Modus im XR nur auf Gesichter anwenden lässt, andere Objekte werden von der Software schlicht nicht erkannt. Tatsächlich stellt sich die Begrenzung auf einen Sensor unter bestimmten Bedingungen sogar als Vorteil heraus: wenn die Lichtverhältnisse nicht optimal sind. Die Telekamera in den 2018er-iPhones ist exakt die gleiche wie die aus dem iPhone X von 2017. Und die machte im Dunklen keinen besonders guten Job. Der Weitwinkel-Sensor jedoch wurde heuer neu gestaltet und verbessert. Dieser Sensor fängt mehr Licht ein, was sich auch bei Porträts positiv bemerkbar macht. Mit anderen Worten: Das preisgünstigste iPhone des Jahres 2018 nimmt die verlässlichsten Porträts auf.

Und das ist auch schon das Fazit. Wer kein Display-Nerd ist, der OLED als Grundvoraussetzung dafür sieht, sein Telefon überhaupt zu entsperren, kommt mit dem XR bestens hin. Mehr noch: ist für kommenden Jahre gewappnet. Das dürfte ohnehin das ausschlaggebende Stichwort sein: Wer ein drei, vier Jahre altes Gerät im Einsatz hat und nun upgraden will, wird sich wie auf einem anderen, besseren Planeten fühlen. Es gibt aber auch noch andere Gründe, sich bei einem anstehenden Neukauf genau zu überlegen, ob man weiterhin oder zum ersten Mal auf ein iPhone setzt.

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Ein Blick ins System

Ich habe weiter oben nicht ohne Grund bereits die Preisdiskussion aufgemacht und den schnellen Preisverfall bei Android-Telefonen erwähnt. Das iPhone XR kostet je nach Speicherausstattung zwischen 849 und 1.019 Euro. Das heißt konkret: Apple macht auch 2018 keinerlei Anstalten, ein wirklich preisgünstiges Telefon in den Handel zu bringen, auch wenn es das Smartphone bei den Mobilfunkern in Verbindung mit einem Vertrag für deutlich weniger gibt, als die anderen Neulinge – also das XS und das XS MAX. Ja, das XR kostet 300 Euro weniger – von einem 300-Euro-iPhone können wir uns perspektivisch aber verabschieden; dieses Marktsegment überlässt man den Android-OEMs. Wie genau die die Konzeption, den Bau und den Vertrieb kalkulieren und aufgrund welcher Mischkalkulation rechtfertigen können, sei dahingestellt. Nach elf Jahren iPhone-Geschichte wird hingegen immer klarer, wo der vermeintliche Mehrwert eines solchen Telefons wirklich liegt: nicht in der Hardware, sondern vielmehr in der Software, den nachgeschalteten Plattformen und damit verbundenen Grundsatzentscheidungen. Dabei geht es nicht um die Frage, was iOS im täglichen Einsatz besser macht als Android (oder umgekehrt). Es geht um das Ökosystem als solches, um den Datenschutz und die Privatsphäre – zwei Dinge, um die es 2018 im Internet nicht sonderlich gut bestellt ist.

Erst kaufe ich ein teures Telefon und muss dann auch noch so ziemlich alles von mir tracken lassen, was es zu tracken gibt. Macht das nicht schon Facebook?

Knackpunkt Privacy

Die kompromisslose Daten-Sammelwut großer Konzerne hat ein Ausmaß erreicht, das schlicht nicht mehr hinzunehmen ist und sich auch mit Plakatkampagnen nicht entschärfen lässt. Denn: Das Geschäftsmodell bleibt das gleiche. Es ist den Kunden überlassen, das Prozedere erst zu verstehen und dann nach bestem Wissen und Gewissen zu beherrschen. Bleiben wir bei Google, es geht hier ja schließlich um Telefone. Kauft man ein Samsung, Huawei, Nokia, BlackBerry, LG oder HTC schenkt man seine Seele auch an Google her, den Hüter des Betriebssystems Android. Und wir wissen, wie die ihr Geld verdienen. Das ist schon relativ mega-ekelig. Erst kaufe ich ein teures Telefon und muss dann auch noch so ziemlich alles von mir tracken lassen, was es zu tracken gibt. Macht das nicht schon Facebook? Natürlich sind die Services von Google ausgesprochen verführerisch, zumeist fantastisch implementiert und umgesetzt. Aber geht das nicht auch anders? Es ist doch nicht mein Problem, dass man in Mountain View offensichtlich noch nie über andere Monetarisierungs-Möglichkeiten nachgedacht hat.

Warum bei Apple deutlich weniger Daten gesammelt werden – und aus denen kategorisch kein Profit geschlagen wird –, liegt in den systemimmanenten Unterschieden der Firmen-Kulturen begründet. Hardware und Software vs. Services und Software. Denn das Hardware-Geschäft von Google ist zwar hübsch anzusehen, wohl aber eher noch ein Hobby als alles andere. Verstärkt in die Öffentlichkeit geht man bei Apple mit diesem Thema, diesem Alleinstellungsmerkmal, erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. Man hat die Website zum Thema überarbeitet und Journalisten wie mich zum Gespräch eingeladen, um die zahlreichen Initiativen zu erläutern und einzuordnen: keine starren Präsentationen, sondern vielmehr ein lockeres Frage/Antwort-Szenario, in dem auch Details offen und ehrlich erklärt wurden.

Begriffe wie die differentielle Privatsphäre zum Beispiel, einem Prinzip, mit dem die Software smarter wird, bessere Vorschläge auf allen Ebenen macht, ohne dabei einzelne User identifizieren zu müssen und zu können. Oder wie in der Karten-App bei der Navigationen von A nach B in regelmäßigen Abständen die Identifier getauscht werden, so dass Apple zwar sicherstellt, dass man am Ziel ankommt, die Route aber im Nachhinein nicht nachvollziehen und auch kein Bewegungsprofil der Kunden erstellen kann. Und wer mit Siri spricht, erlaubt zwar die Speicherung bestimmter Daten auf den Servern von Apple, die Verknüpfung ist aber nicht an die eigene Apple ID gekoppelt, lässt also ebenfalls keine Rückschlüsse über die Kunden zu. Dann sind da noch die Standards, die nicht jeder unbedingt auf dem Zettel hat: iMessage ist Ende-zu-Ende verschlüsselt. FaceTime ebenfalls – auch der Videochat mit bis zu 32 Teilnehmern, der in den kommenden Tagen freigeschaltet wird. Dazu kommen die umfangreichen Maßnahmen im Safari-Browser, die das Tracking radikal eingrenzen.

Mit anderen Worten: Wer ein iPhone kauft, auspackt, einrichtet und nur die Apple-eigenen Services nutzt – womit man ja schon ziemlich weit kommt –, hinterlässt einen deutlich geringeren bis gar keinen Fußabdruck. Das was andere Unternehmen Server-seitig regeln, wird beim iPhone so gut es geht auf dem Gerät selbst erledigt, ohne dass Apple jemals davon Wind bekommen kann. Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass genau dieses Prinzip immer besser funktioniert. Leisten kann man sich das alles, weil sich die Hardware so gut verkauft. Damit räume ich nicht die Preisdiskussion vom Tisch – die gilt es nach wie vor zu führen. Apples Ansatz in Sachen Privatsphäre wird dadurch jedoch nicht geschmälert.

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Leseliste 28. Oktober – andere Medien, andere Themen18 Jahre, gesundes Essen, Soundcloud und Dschungel

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