XDB, Die Ärzte, The Humble BeeWochenend-Walkman – 30. Oktober 2020

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Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: XDB, Die Ärzte, The Humble Bee.

XDB Inspiron Cover

XDB – Inspiron

Ji-Hun: Der aus Göttingen stammende Kosta Athanassiadis alias XDB legt seit den frühen 90er-Jahren auf und ist einer der beständigsten Deephouse-Producer des Landes. Ob auf seinem eigenen Label Metrolux oder anderen renommierten Imprints wie Sistrum und Echochord. Nun bringt XDB nach fast 30 Jahren Karriere sein erstes Album auf Dial heraus, die dieses Jahr ja auch 20-jähriges Bestehen feiern. Gewissermaßen History-Techno und wie viele andere Releases im Clubsektor ist das Timing gewissermaßen unbefriedigend. Ich habe mich kürzlich versucht zu erinnern, wann ich das letzte eine wirklich laute Bassdrum aus einer Club-PA gehört und gespürt habe. Ich weiß es nicht mehr. Und auch „Inspiron“ wird die nächsten Monate auf keinem Dancefloor erklingen, selbst wenn die Tracks das Potential hätten. Dennoch bleibt es ein schönes, gutes und sehnsuchtsvolles House-Album. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

die aerzte hell cover

Die Ärzte – HELL

Benedikt: Offenlegung: In meiner Jugend war ich der größte Fan der „Besten Band der Welt“. Mein Zimmer zierte eine selbstgebastelte „Die Ärzte gegen Rechts“-Collage, ich trug Nietenarmband, Kette mit ä-Anhänger, konnte alle (!) Songs des Songbooks auf der Gitarre und habe bis heute selten mehr Geld für ein Buch ausgegeben, als für den bebilderten Klotz von Bandbiographie „Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf“. Und dann sind natürlich unzählige erlebte Konzerte – unvergessen vor allem das Silvesterkonzert „Ärzte statt Böller“ am 31.12.2008 im Rheinenergie-Stadion in Köln mit 45.000 Leuten. Nun ist die neue Platte da und es erscheint mir müßig eine Detailkritik zu üben, ohne das Album im Live-Kontext zu denken. Außerdem haben das andere schon zu genüge getan. Sehr gründlich und treffend hat Daniel Gerhardt das Album für Zeit Online seziert, sehr grob drüber hergezogen wurde beim Freitag, wo schon die Eingangsfrage „Ist das noch Punk oder schon peinlich?“ völlig fehl läuft. Denn schon seit mindestens 25, vielleicht eher 30 Jahren, bezeichnet niemand die Ärzte noch ernsthaft als Punk. Und mindestens genauso lange werden sie als „kalauernde Klassensclowns“ für peinlich befunden. Ein paar großartige Songs hat „Hell“ zweifelsohne zu bieten, ein paar Fehlgriffe sind auch dabei. So ist das Album im Grunde nichts Neues, so war das doch seit jeher? Das weiß die Band auch selbst. In einem Interview zum Album sagte Bela B sinngemäß: Wir veröffentlichen ja eigentlich nur noch neue Alben um eine Entschuldigung zu haben, auf Tour gehen zu können. Womit wir wieder beim Live-Kontext wären. Der bricht dank Corona nun weg. Der Ausfall großer wie kleiner Live-Touren bringt eine ganze Branche an den Rand des Abgrunds. Jetzt hat die Band das Release und ihre Reichweite und Bekanntheit statt für eine ausverkaufte Live-Tour dazu genutzt, an prominentester Stelle im deutschen TV, im Tagesthemen-Interview mit Ingo Zamperoni, auf die katastrophale Lage der Veranstaltungs- und Konzertbranche aufmerksam zu machen. Denn hier fehlt es massiv an Aufmerksamkeit. Kultur werde als gegeben hingenommen, als immer irgendwie da, so Farin Urlaub – ein Trugschluss. Also haben die drei für die „Alarmstufe Rot“ -Initiative geworben, sie haben dargelegt, dass es einen Haufen Leute gibt, die seit 7 Monaten keinerlei(!) Einnahmen haben. Daran hat auch der Lockdown-freie Sommer nichts geändert. Ist das noch Punk? Mit Sicherheit nicht. Ist das ein unfassbar wichtiger, politischer Beitrag im Namen von ein paar hunderttausend in der Veranstaltungswirtschaft beschäftigte und selbstständig tätige Menschen, die um ihre Existenz bangen? Verdammt noch mal Ja! Kalauer-Album hin oder her, diese Jungs sind einfach korrekt. Fertig. Und ein gelegentlicher, musikalischer Gute-Laune-Eskapismus kann in den nächsten Wochen sicher auch nicht schaden.

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The Humble Bee – Daymark / Nightmark

Thaddi: Es ist Freitag, 7.30 Uhr. Es regnet. Ich bin seit dreieinhalb Stunden wach. Nicht ganz freiwillig: Meine Seele schmiss meinen Körper einfach aus dem Bett. Musik ist gerade ungefähr das letzte, was ich brauche. Also ab ins Netz – schauen, was Walkman-fähig ist. Craig Tattersall hat gleich zwei neue Alben veröffentlicht. Viele kennen Craig vielleicht von seinem Projekt The Remote Viewer, danach wurde es kleinteiliger und ambienter. Elektronischer. Beide Alben bestehen aus jeweils zwei langen Tracks, die wiederum aus unterschiedlichen Versatzstücken zu einem großen Ganzen verwoben sind. Still, ein bisschen geheimnisvoll, leicht zerrend, aber nie reißend. Merkwürdig kollagiert wabert die Musik durch die Küche und wird nur durch den Müllwagen gestört, der draußen hält. Freitag. Altpapier. Und irgendwie klingt auch die Musik so, als käme sie direkt aus einer Tonne. Das ist nicht schlimm, im Gegenteil. Genauso wenig, wie man in so eine Tonne hineingreifen möchte, bleiben auch Tattersalls neue Kompositionen ziemlich auf Distanz. Sie sind eine Art parallele Realität, der man trotz allem stellen und sie ergründen möchte. Wunderbar tagträumerischer Wegwerf-Ambient.

Review: Apple Watch Series 6Kind Of Blue

Leseliste 31. Oktober 2020 –andere Medien, andere ThemenTaiwan, The Intercept, Philosophie der Welle und Gastro-Lockdown