Wochenend-WalkmanDiesmal mit Gia Margaret, Helena Hauff und Steve Hauschildt

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit Gia Margaret, Helena Hauff und Steve Hauschildt.

Gia Margaret There's Always Glimmer Cover

Gia Margaret – There’s Always Glimmer

Ji-Hun: Ich habe dieser Tage in meinem Wohnzimmer eine Klimaanlage improvisiert. Klatschnasse, kalte Handtücher auf den Wäscheständer (unten sollten Wanne oder Eimer das Tropfwasser auffangen) und einen Ventilator davor stellen. Verdunstungskälte. Hilft tatsächlich, braucht aber ein bisschen Geduld. Bei so heißen Temperaturen mit klarem Kopf irgendwas zu machen, fällt ja bekanntlich schwer. „Was hört man bei diesen Temperaturen für Musik?“, wurde ich kürzlich gefragt. Aber: Was ist schon Sommermusik? Bossa Nova, Salsa, Tango, weil aus Lateinamerika? Calexico, Ibiza House oder gleich Venga Boys und Macarena? Wer sagt einem, was bei hohen Temperaturen gehört werden muss? Ich finde, das Debütalbum von Gia Margaret „There’s Always Glimmer“ hat mich dahingehend wohlig überrascht. Es gibt hier keine tropischen Polyrhythmen zu hören. Es handelt sich auch nicht um Party-Musik. Es ist klassischer Singer-Songwriter-Folk, Indie-Pop, aber so apart und sanft vorgetragen, dass ich mir zu meiner Kim-Con DIY-MK1 kaum etwas Adäquateres vorstellen könnte. Den Song „Birthday“ hätte ich mir zu meiner Teenagerzeit gewünscht. Dazu hätte ich gerne Engtanz gelernt und nicht zu Bryan Adams. Im harschen Winter könnte mein ernst-verbittert preußisches Alter Ego sagen, das sei doch alles zu viel zu seicht, kalkuliert und einfach. Im Sous-Vide-Hirn-Siesta-Modus kann ich indes nur postulieren: Lass mich doch in Ruhe, passt doch ganz prima. Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie Sommermusik. So. Und nun zurück zum Wäscheständer.

Helena Hauff Qualm Cover 20180803 wwalkman

Helena Hauff – Qualm

Benedikt: Nach einem Tape und dem Debütalbum „Discreet Desires“ ist der zweite Langspieler von Helena Hauff da, erschienen bei Ninja Tune. Nicht, dass es zwischendurch still gewesen wäre, die Acid-Lines der EP „Have You Been There, Have You Seen It“ aus dem letzten Jahr sind mir nach wie vor in guter Erinnerung. Für Hauff'sche Verhältnisse wirkten die Tracks der EP fast schon komponiert und selbst in ihren Stolperern mit Feingefühl arrangiert. „Qualm“ fühlt sich dagegen wieder mehr nach einem roughen Analogorchester an, in dem jede Menge Acid mit Volldampf, Bleeps und Claps über kratzbürstige und gleichzeitig füllige Drums geschoben wird. Ober- und Unterbau dürfen sich gegeneinander verschieben, finden den Gleichschritt aber wieder, türmen sich und stürzen unerwartet ein. Die 303 wird einmal mehr vollends ausgefahren und EBM- und Industrial-Sound aus den Sets der Hamburgerin ist ständiger Begleiter der eigenen Tracks, ohne sich eindeutiger Referenzen zu bedienen. Den Sound von Helena Hauff kennt und liebt man düster, doch insbesondere in der zweiten Hälfte der LP hebt sich ein ums andere Mal eine Synthie-Melodie über die Acid-Line, grell und hell wie die Mittagssonne, die durchs gerade geöffnete Kellerfenster scheint und an die lähmende Hitze da draußen erinnert. Schnell wieder zu – der schattige Keller ist in diesen Tagen schließlich Luxus.

Steve Hauschildt - Dissolvi

Steve Hauschildt – Dissolvi

Thaddeus: Glaubt man dem Infozettel zu Hauschildts erster LP für Ghostly, dräut hier im Hintergrund ein schwerer konzeptueller Rahmen. Zum Glück hört man den nicht. Das frühere Emeralds-Mitglied erkundet vielmehr stilsicher die früher so beliebte, mittlerweile jedoch fast in Vergessenheit geratene Schnittstelle der Dancefloor-getriebenen Electronica. Mit Tracks, die allesamt in opulenter Zurückhaltung strahlen, den Peak aber immer nur antäuschen und es nie wirklich dazu kommen lassen – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Das sind dann auch die Momente, in denen das Album im Dickicht des Beliebigen versinkt. Die Stücke, die in die erste Kategorie fallen, sind jedoch vor allem ob ihres Sound Designs interessant. Denn sie atmen genau die Stimmung eines kurzen Moments in der Musikgeschichte, in der solche Entwürfe wichtiger waren als das, was auf dem Dancefloor geschah. Dann durchläuft jeder Sound seine eigene Delay-Schleife, dann plinkern die Arpeggios und gaukeln eine Komplexität vor, die es faktisch gar nicht gibt. Die Einfachheit wird kaschiert von einer clever arrangierten Vielschichtigkeit der Illusion. Und es ist genau dieser Schleier, der die Wirklichkeit so nostalgisch scheinen lässt. Und natürlich die epischen Outros, mit einer Sichtweite über die gesamten erträumten Highlands.

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Leseliste 05. August 2018 – andere Medien, andere ThemenStatus Quo Journalismus, Krisendienst, Playlists in Restaurants und Berliner Weiße ohne Schuss