Filter Tapes 047„Signale #22“ von Daniel Spindler / Sinnbus

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Sinnbus gehört seit knapp 20 Jahren fest zum Berliner Label-Universum. Zwischen Indie, Post-Rock und Elektronik entwickelte sich ein ganz eigener Label-Sound, der für weit mehr steht als die Musik der Posterboys von Bodi Bill. Daniel Spindler war von Anfang an dabei. Auf seinem Filter Tape lässt er das Jahr 2022 Revue passieren. Neue Smasher, alte Held:innen: Die musikalische Vielfalt der Plattenfirma killt jeden Streaming-Algorithmus. Das ist kreativ erfüllend, aus der Business-Perspektive jedoch eventuell schwierig. Aber was bedeutet die überhaupt? Auch nach 20 Jahren hält Sinnbus das Solidarprinzip hoch: Zusammenarbeit ja, Sell-out nein.

Lieber Daniel, vielen Dank dein Filter Tape. Bevor wir über den Mix sprechen, soll es um dich selbst und das Label gehen. Sinnbus ist eines dieser Berliner Imprints, das es gefühlt schon immer gibt. Stimmt natürlich nicht. Wie, wann und warum ging alles los?
Der Startschuss fiel etwa im Jahr 2000. Eine ganz klassische Kumpelgeschichte. Wir spielten alle in Bands und haben unsere Konzerte selbst organisiert. Natürlich wollten wir die Musik auch veröffentlichen und haben dem Ganzen dann einen Namen gegeben. Wir hatten von nichts Ahnung, haben viel ausprobiert, viele Fehler gemacht ...

... was damals ja dazugehörte. Und vor allem auch ging.
Genau. Wir haben damals immer in Richtung City Slang und Kitty-Yo geschaut und uns gewundert, warum die unsere Musik nicht so cool fanden. Heute kann ich das verstehen. Wir waren anfangs super motiviert und fast schon überambitioniert ...

... anders als heute!
Ha, nein, natürlich nicht (lacht). Wir wollten viel mehr als nur ein Label sein und haben innerhalb der Gruppe richtig Aufgaben verteilt. Es sollte neben den Platten einen Club geben, einen Vertrieb. Hat so natürlich nicht funktioniert, das Label ist jedoch geblieben. Die Zeiten waren damals eben so. Wir waren alle aus der Schule raus und mitten in der Findungsphase. Von diesem ursprünglichen Kollektiv sind im Laufe der Zeit viele abgesprungen, haben andere Dinge gemacht oder die Stadt verlassen. Das Lokale war für uns damals ganz wichtig. Wir wollten hier vor Ort in Berlin etwas auf die Beine stellen.

Das Label ist Schritt für Schritt gewachsen. Die ersten Bands, die auf Sinnbus veröffentlichten und nicht aus unserem mehr oder weniger direkten Umfeld kamen, haben wir auf Tour kennengelernt. So ergaben sich stetig neue Kontakte. Aktuell sind wir Label, seit etwa zehn Jahren auch Verlag und haben eine kleine Promo-Agentur mit Schwerpunkt auf Radio. Beim Booking helfen wir, wenn es nötig ist. Ob die Band nun ganz neu am Start ist und noch keine Agentur hat oder wenn wie – während der Pandemie – kleinere Acts in Agenturen einfach keine Aufmerksamkeit mehr bekommen.

Daniel Spindler Sinnbus 01 final

Daniel Spindler

Signale #22

  • We Will Kaleid – Lure (Radio Edit)
  • Einar Stray Orchestra, Mayuko – Chiaroscuro (Mayuko Version)
  • Odd Beholder – Hurt
  • Bodi Bill – Good Advice
  • The Day – June
  • LBF, La Boum Fatale – ////
  • UNS – DOZER/GEFALLEN
  • We Are The City – DARK HORIZON
  • Lessons – Tempest
  • Loupe – 21
  • Melby – Reject
  • We Will Kaleid – Lingual (Bellchild Remix)
  • Everything And Everybody – NIZZER
  • Rue Royale – Signs Are All Gone (Radio Edit)
  • We Are The City – You Can't Blame Me, But You Can Blame Yourself
  • Jan Roth – Herbst

Erinnere dich zurück an die Anfangsphase: Wie würdest du die gemeinsame musikalische Schnittmenge von Sinnbus damals beschreiben? Wo habt ihr euch in der Berliner Szene verortet?
Electronica war wichtig, Post-Rock auch. Wobei wir eher zu der 5/4-verkopft-Fraktion gehörten und nicht die Alben gefeiert haben, die nach dem Laut/Leise-Schema funktionierten. Entscheidender als die musikalische Schnittmenge waren aber die persönlichen Beziehungen. Wir kannten uns alle schon lange. Aus der Schule, aus Jugendclubs, von Gigs. Das spiegelt sich in unseren frühen Veröffentlichungen. Die waren in der Summe viel bunter und diverser als das, was wir heute veröffentlichen. Wir wollten uns gegenseitig unterstützen.

Jugendclubs. Wo muss ich die Stecknadeln auf dem Stadtplan setzen?
Die „Linse“ in Lichtenberg, die „Klinke“ in Marzahn, das „All“ in Köpenick. Das sind die Ecken Berlins, in denen wir auch groß geworden sind. In Karlshorst haben auch viele gewohnt.

Popkulturelle Zwischenfrage: Hat Techno irgendeine Rolle gespielt?
Ich fand das cool, viele andere glaube ich auch. Aber für das Label ... nein. Überhaupt nicht.

Ich frage, weil: Die frühen Nullerjahre – und auch schon die 90er – waren einigermaßen weird, wenn es um die persönliche Zugehörigkeit zu Szenen ging. Entweder wurde das Neue konsequent aufgesogen oder aber kategorisch abgelehnt. Dazwischen gab es wenig, zumindest in meiner Erinnerung.
Ich weiß, was du meinst. Ich würde mich selbst irgendwo dazwischen verorten. Ich fühlte mich wohl in meiner Szene. Ich war zufrieden. Vielleicht gilt das auch für die anderen damals.

Wir wollen Transparenz und Dinge gemeinsam entscheiden. Die Nähe ist entscheidend.

Das gemeinschaftliche „Wir“ scheint wichtig in der Sinnbus-Geschichte. Der kollektive Gedanke ist entscheidend. Für mich ist dieses „Wir“ ein Alleinstellungsmerkmal. Ihr verwendet in der Kommunikation immer wieder auch den Begriff „Plattform“. Der ist reichlich überstrapaziert – aus bekannten Gründen, Social Media etc. Wie lässt sich diese durch und durch unterstützenswerte Herangehensweise in das Musikgeschäft von heute übertragen? Hinüber retten?
Die Idee der „Community“ – um noch so einen überstrapazierten Begriff ins Spiel zu bringen – ist und bleibt wichtig. Uns hat das damals begeistert. Dinge gemeinsam zu entscheiden. Mit allen Konsequenzen. Das gilt bis heute, zum Beispiel wenn wir mit neuen Bands über eine Zusammenarbeit sprechen. Die soll keinen Dienstleistungscharakter haben. Wir wollen Transparenz und Dinge gemeinsam entscheiden. Die Nähe ist entscheidend. Für einige Bands und Projekte war das auch irritierend. Die wollten gar nicht so involviert sein, sondern haben nur erwartet, dass alles funktioniert. Das mussten wir auch lernen. In allen Abstufungen aber ist uns dieser Ansatz bis heute wichtig. Dass Künstler:innen auch untereinander in Kontakt sind, zum Beispiel. Ich verstehe total, wenn Band XY eine Show in Berlin spielt, dass sie diesen Gig auch für sich haben wollen. Aber im kreativen Prozess kann es einfach helfen, wenn alle voneinander und ihren Stärken wissen. So entstehen Zusammenarbeiten und ein Netzwerk.

Du hast das Stichwort „Dienstleister“ selbst erwähnt. Bei allem familiären Ansatz, der Idee der „Gang“, wenn wir so wollen: Welche Rolle spielen Labels wirklich noch?
Fakt ist: Es wird mehr Musik denn je veröffentlicht. Das meiste davon ist bestimmt sogar richtig gut! Ein Label übernimmt die Kuration. Es ist Orientierungspunkt. Wie wird Musik gemacht? Warum wird Musik gemacht? Labels sind ein möglicher Filter in der Überwältigung. Das andere ist die Dienstleistung, die ich schon erwähnt habe. Die ist vielen immer noch sehr wichtig. Auf unserem Level könnten Musiker:innen wirklich problemlos auf ein Label verzichten. Viele wollen das aber nicht. Logistik, Vertrieb und Manufacturing können schon lästig werden. Viel wichtiger ist aber, auf Label-Seite diese andere Meinung zu haben, künstlerisch und/oder strategisch.

Daniel Spindler von Sinnbus auf der Terrasse des Büros am Berliner Nettelbeckplatz

Wiegt das auf Seiten der Künstler:innen mehr als die Verlockung, 50.000 Streams auf Soundcloud innerhalb weniger Stunden zu bekommen – ohne externe Hilfe?
Im Idealfall erreichen wir natürlich beides.

Die Eigenwahrnehmung von Künstler:innen hat sich im Digitalen doch aber stark verändert.
Letztendlich geht es um ein gemeinsames Mindset. Die gute Zusammenarbeit zählt letztlich mehr als der sofortige wirtschaftliche Erfolg. Das bedeutet nicht, dass wir ihnen die virtuelle Pistole auf die Brust setzen und sagen: Du musst dich entscheiden. Wie bieten hier einen Raum, in dem wir gemeinsam Dinge ausprobieren. Mal funktionieren Ideen, mal nicht. Und wenn nicht, versuchen wir es noch einmal, nur anders. Wir denken Plan B und Plan C immer mit. Und so entsteht etwas Langfristiges.

Trotz aller Pop-Affinität ist die Musik, die uns interessiert, doch eher in der Nische. Da braucht es Zeit, um Dinge zu entwickeln und umzusetzen.

Langfristigkeit ist ein gutes Stichwort. Was bedeutet dieser Begriff wirklich im aktuellen Musikgeschäft? Auch weil sich die Label-Arbeit so drastisch verändert hat. Was macht ihr mit dem Demo einer Künstler:in, das ihr musikalisch feiert, die aber Gigs von vornherein ausschließt?
Beim Ausschluss von Konzerten würden ich sagen: Nein, das geht nicht. Einerseits sind Konzerte wichtig, um Geld zu verdienen. Aber auch um Präsenz zu zeigen. Ganz persönlich finde ich aber auch, dass Gigs nach wie vor die Momente sind, wo die Magie passiert. Tonträger sind das eine, aber bei Konzerten kommt alles zusammen. Zu Thema Langfristigkeit: Die ist uns in der Zusammenarbeit mit den Künstler:innen schon wichtig. In der Regel einigen wir uns auf zwei gemeinsame Alben. Wir arbeiten aber auch mit Artists, bei denen diese zwei Alben nie zustande gekommen sind, es aber so viele Singles gibt, dass das auch okay ist. Wir sind da nicht dogmatisch. Aber trotz aller Pop-Affinität ist die Musik, die uns interessiert, doch eher in der Nische. Da braucht es Zeit, um Dinge zu entwickeln und umzusetzen.

„Die Musik, die uns interessiert“ ... ein perfektes Stichwort. Wir nähern uns dem Mix. Ich will zunächst aber noch über einen Begriff sprechen, der mittlerweile vielleicht antiquiert ist, der mich musikalisch aber sehr geprägt hat: der Label-Sound. Ich habe mich früher konsequent durch die Kataloge bestimmter Labels gehört – und so immer wieder neue Dinge entdeckt, die alle irgendwie zusammenpassten, oder eben auch nicht. Gibt es den Sinnbus-Label-Sound?
Wenn ich ganz grob pauschalisieren würde ... Sinnbus steht für erwachsene Popmusik mit kleinem Twist. Ich finde es toll, wenn Songs anders enden, als sie anfangen. Wenn es Dynamiken in den Tracks gibt. Klar, das sind abgenudelte Begriffe, aber sie passen nach wie vor.

Das Format-hafte ist doch aber seit dem Siegeszug des Streamings wieder wichtiger denn je.
Ja. Ich würde aber argumentieren, dass das Ausspielmedium schon immer die Musik geprägt hat. Das Formel-hafte begeistert mich einfach nicht. Auch wenn es ganz wunderbare Beispiele gibt, die dieses Statement widerlegen. Ich spüre aber, dass auch unsere Bands lieber anders arbeiten. Doch zurück zum Label-Sound von Sinnbus. Wenn ich auf unsere Geschichte zurückblicke, sehe ich unterschiedlichste Phasen. Solche, die extrem musikalisch geprägt waren, in denen uns die tatsächliche Musik der Künstler:innen geprägt, begeistert und auch bestätigt hat. Und dann gab es Phasen, in denen das Persönliche wichtiger war. Die Zusammenarbeit. Da war es gar nicht so entscheidend, ob ich die jeweilige Veröffentlichung zu hundert Prozent verstehe. Die Arbeit mit den Musiker:innen hat einfach so viel Spaß gemacht. Vielleicht haben wir in diesen Phasen den Label-Sound, den du angesprochen hast, ein bisschen verloren. Das Identifikations-Moment. Wir thematisieren das aber kontinuierlich. Diese Diversität der vergangenen Jahre ist natürlich auch aus unserer Gründung entstanden. Wo komme ich her? Wo will ich hin? Das sind Diskussionen, die wir permanent mit den Künstler:innen führen – aber auch intern. Vielleicht gelingt es uns ja, dies wieder auf einen kleineren und besser nachvollziehbaren Nenner zu bringen. Das würde allen Beteiligten helfen.

Genres haben sich also nicht erledigt?
Jein. Ich merke das ja selbst, wenn ich Playlists im Streaming höre. Menschen mögen Kategorisierungen. Gleichzeitig sind genau die Dinge, die sich nicht klar einordnen lassen, für uns potenziell besonders interessant. Ich finde das einerseits toll, wenn sich Producer:innen einfach aus allem bedienen. Im Ergebnis sagt mir das oft nichts – ich stehe schon auf nachvollziehbaren Sound. Aber diese Selbstverständlichkeit fasziniert mich.

Dein Mix heißt „Signale 22“. Ich verstehe ihn als persönlichen Jahresrückblick aus dem Sinnbus-Universum. Wie war denn 2022 so?
Natürlich war wichtig, dass Bodi Bill wieder ein Album veröffentlicht haben. Die Band war in unserer Anfangszeit ganz entscheidend. Und hat viele andere Projekte ermöglicht, auch finanziell. Das ist ein entscheidendes Detail, dieses Solidarprinzip ist uns nach wie vor wichtig. Auch der größten Band auf dem Label muss klar sein, dass wir hier gemeinsam an etwas arbeiten. Was als Überschuss reinkommt, geht im Idealfall zurück in die Basisarbeit – in die Subkultur. Das hat mit der letzten Tour von Bodi Bill gar nicht funktioniert. Die Gigs waren vergleichsweise schlecht besucht, was zu viel Grübelei und Diskussionen intern geführt hat. Wir haben dann aber schnell verstanden, dass es allen so geht oder ging und nicht nur Bodi Bill. Naja, Bodi Bill ist im Mix. Genau wie Mayuko, unser neuestes Signing. Die machen für mich perfekten Art-Pop. Beim Einar Stray Orchestra sind wir selbst gespannt, wie es weitergeht. Von Loupe kommt dieses Jahr ein neues Album. Von The Day auch. Abseits von Bodi Bill war 2022 für uns ein Jahr der Vorbereitung. Ein Single hier, eine Singe da – das wird sich dieses Jahr alles hoffentlich zusammenfügen. Es waren auch zwölf Monate, in denen wir viel über die Zukunft gesprochen haben. Gar nicht so sehr ob den Gegebenheiten im Streaming. Es ging viel mehr um die generelle Ausrichtung. Wie können wir Bands auch weiterhin unterstützen? Das ist die große Aufgabe für 2023.

Daniel Spindler von Sinnbus vor dem Bodi Bill Plakat

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