Eric Chenaux, Damian Dalla Torre, Hendrik BolzWochenend-Walkman – 25. Februar 2022

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Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Eric Chenaux, Damian Dalla Torre und Hendrik Bolz.

Eric Chenaux Say Laura Cover

Eric Chenaux – Say Laura

Ji-Hun: Seit über 30 Jahren macht Eric Chenaux schon Musik. Der aus Toronto stammende Songwriter, Gitarrist und Sänger veröffentlicht auf dem kanadischen Kultlabel Constellation und „Say Laura“ ist sein neustes Album, das mal wieder zeigt, dass Konventionen und Standards auch im Bereich Songwriting überhaupt nicht sein müssen. Chenaux arbeitet viel mit Elementen des Jazz, Dekonstruktionen, schafft dabei aber stets eindringlich schöne Musik. Wenige bearbeiten das Wah-Wah-Pedal so ungewöhnlich und schön. Auch die fünf Songs auf diesem Album sind für heutige Zeiten episch lang (zwischen 7:30 und 13:30 Minuten). Lässt man die assoziativen Referenzen nun weg, oder droppt man die dennoch? Das schöne Timbre seiner Stimme erinnert natürlich an Arthur Russell. Man könnte auch an Tim Buckley denken oder Geoff Farina. Aber wie so oft ist das eigentlich nebensächlich. Eric Chenaux schafft mit Gesang und Gitarre Narrative, die Erinnerungen hinterlassen. Das ist fantastisches Autorenkino und anders als bei vielen anderen Musiken, bei denen man denkt – das kann ich doch auch – lässt mich das hier in Demut und glücklicher Ehrfurcht zurück.

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Damian Dalla Torre – Happy Floating

Thaddi: Eine schöne Überraschung aus Leipzig, die bestens zu meinem Plan passt, dieses Wochenende intensivstes Cocooning zu betreiben. Der Musiker macht mit seiner Musik eigentlich genau das gleiche. Ganz behutsam legt er Faden auf Faden in seinem weiten, offenen und vor allem akustischen Klangkosmos aufeinander, um daraus wundervoll-anmutende und doch mitunter fordernde Kompositionen zu bauen. Es gibt Momente während der guten halben Stunde, in der die acht Stücke an uns vorbeiziehen, die mich an die Soundtrack-Arbeiten von The Notwist erinnern. Gerade dann, wenn die sparsamen Beats nicht vom smoothen Schlagzeug kommen, sondern im klassischen 8-Bit-Modus plockern. Doch es sind vor allem die Blechbläser und Querflöten, die den Sound von Damian Dalla Torre so besonders machen. Ich würde das gerne in der Philharmonie hören und den aufführenden Menschen Blumen schenken.

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Hendrik Bolz – Nullerjahre

Jan-Peter: Hendrik Bolz rappt als Testo in der HipHop-Formation Zugezogen Maskulin. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Es handelt von seiner Jugend. Vom Aufwachsen im von außen betrachtet so schmucken kleinen Stralsund an der Ostsee, das sich hier aber als deutsches Newcastle und die Schröder'sche Politik als Fortsetzung des Thatcherismus mit kaum anderen Mitteln entpuppt: Werften und Fischerei marode, Arbeitslosigkeit, Agenda 2010 treibt die Menschen in Ein-Euro-Jobs und Perspektivlosigkeit. Plattenbau-Cornern, Abhängen mit Faschos, Stress mit Faschos, Suche nach Streit, die Anspannung von Muskeln und Nerven ist förmlich zu spüren. Smirnoff Ice saufen, Köpfe rauchen, Fechten mit dem Pimmel, den Touristen auf Rügen den Strandtag versauen, auf Großraves nicht mehr klarkommen, sich zwischendurch verlieben, aber irgendwann überhaupt nichts mehr fühlen, außer wenn sich Gewalt ankündigt. Dazu Rückblicke in die Kindergarten-Kindheit, in der eklige Leber aufgegessen werden musste, bevor es zum Mittagsschlaf geht – aufessen, ein Relikt der DDR-Erziehung, das in den Neunzigern fortgeführt wurde. Eltern und Familie tauchen praktisch gar nicht auf, ein völlig auf sich selbst zurückgeworfenes Coming-of-Age. Es wird ja viel berichtet und dokumentiert, wie hart es für die Menschen „im Osten“ in den 1990er-Jahren war. Dass das Jahrzehnt danach für viele, praktisch eine ganze weitere Generation, mindestens genauso beschissen verlief, wird seltener beschrieben. Bolz füllt diese Lücke und schiebt immer wieder, nüchtern vorgetragen, Zahlen, Daten und Fakten ein. Was Kohl versprach, machten Schröder, Eichel und der heutige Bundespräsident, Architekt der Agenda, endgültig zunichte. „Nullerjahre: Jugend in blühenden Landschaften“ ist ein Abgesang auf neoliberale Politik, ebenso wie es eine schonungslose Selbstoffenbarung ist. Ein ganz großartiger Roman.

Barbara PreisingerUnser Mix der Woche

Frequenzfilter 26. Februar 2022 – andere Medien, andere ThemenQuarantäne in Japan, Morgan Khan, Zum Dorfkrug