„Man kann prima abnehmen und dabei mehr bezahlen“Jannes Vahl über seinen Monat (fast) ohne Plastik

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Das sind die 20 Teile Plastik, die Jannes Vahl in einem Monat „verursacht“ hat. Illustration drumherum: Susann Massute

Ein Monat ohne Alkohol? Eine lange, aber machbare Zeit. Ein Monat ohne Fleisch? Kriegt auch der Nichtvegetarier mit etwas Muße hin. Aber ein Monat ohne Plastik? In der Das-Filter-Redaktion wurde schon des Öfteren darüber gesprochen, doch mal auszuprobieren, ob es realisierbar ist. Es blieb bislang beim Gespräch darüber.

Jannes Vahl und Joko Weykopf

Jannes Vahl (links) und sein Kompagnon Joko Weykopf. Zusammen betreiben sie auch den Spendenclub „Unterm Strich“ in Hamburg.

Jannes Vahl aus Hamburg hat es einfach gemacht, von jetzt auf gleich, nachdem er den Film „A Plastic Ocean“ von Craig Leeson und Tanya Stretter im Kino gesehen hatte. Der Abspann war gerade durch, da postete er: Morgen fange ich an. Viel Zeit für Vorbereitung ließ er sich damit nicht, denn es war schon 23 Uhr. Kein Spielraum für Plastik-Hamsterkäufe. Der Deal mit sich selbst: Nur das Plastik verwenden, das schon da ist, plus so wenig neues wie möglich. Am Ende des Monats hat er gerade mal 20 neue Stücke „verursacht“, das kann einem sonst gut und gerne mal binnen eines halben Tages passieren. Da muss man ja nur in der Zeit einkaufen gehen oder spontan auf dem Tempelhofer Feld grillen. Das Filter hat den „Plastinenzler“ gefragt, wie er den Monat durchstanden hat.

Jannes, wie hart war das, einen Monat fast ohne Neuplastik zu leben? Hat sich deine Lebensqualität verschlechtert?
Im Gegenteil, sie hat sich verbessert. Deutlich.

Wie das?
Es hat meinen Horizont erweitert und mir vor Augen geführt, wie oft man eigentlich sonst am Tag ein Stück Plastik in der Hand hält.

Klingt nicht nach verbesserter Lebensqualität.
Doch, wenn man es als sportlichen Anreiz nimmt: Geil, ich habe wieder ein Teil eingespart! In einem Monat eine dreistellige Summe an Plastikteilen vermeiden zu können, das stresst nicht, sondern gibt ein gutes Gefühl. Es war interessant für mich zu sehen, wie wenig hart es eigentlich ist, aber wie oft am Tag man damit zu tun hat. Außerdem hatte ich ja noch – als Schlupfloch quasi – die Dinge, die ich schon vorher hatte.

Zum Beispiel?
Eine Prinzenrolle. Von der habe ich lange gezehrt (lacht).

Am Ende landet das Plastik im Meer: „A Plastic Ocean“

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Plastikmüll an der Küste vor Manila. 2050, davon gehen Schätzungen aus, soll es mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren geben.

Gut, aber irgendwann hast du doch sicher im Supermarkt gestanden und irgendwas gebraucht, das es nur aus oder in Plastik gibt. Was hast du dann gemacht?
Der erste Einkauf hat dreimal so lange gedauert wie sonst. Ich habe einen Lieblings-Orangensaft, den gibt es nur im Tetrapak. Ging also nicht. Aber es gibt ja Alternativen im Glas. Ein einfaches Beispiel. Bei Waschmittel ist es schon schwieriger gewesen, da ist Plastik drin in den Duftkügelchen. Ich habe auf Waschnüsse zurückgegriffen. Der ganze Lavendelduft ist doch sowieso Quatsch. Brot kann man in der Papiertüte kaufen und man bringt eigene Stofftüten mit. Ich bin immer mit einem ganzen Bündel rumgelaufen in diesem Monat. Bei vielen Dingen fängt man an, sich zu fragen: Brauche ich das wirklich?

Ich brauche ab und zu wirklich eine Ganze-Mandel-Schokolade. Die gibt’s nur in Plastik.
Die interessiert mich zum Glück nicht (lacht). Man kann durch Plastikvermeidung wirklich prima abnehmen und mehr bezahlen. Und mehr schleppen! Ich muss sagen, dass mir meine Social-Media-Crowd ziemlich geholfen hat. Ich habe sogar von jemandem einen Brotbeutel zugeschickt bekommen. Und es gibt wirklich richtig gute Blogs wie zum Beispiel „Zero Waste“.

Wenn man sich was zu essen bestellt, dann ist der Mülleimer ja danach immer gleich voll von Verpackung. Oder wenn man auf einen Streetfood-Markt geht. Da ist ein Großteil der Verpackung auch aus Plastik.
Ich habe mir aus Unsicherheit erstmal nur Pizza bestellt und dann festgestellt: Wenn man die Lieferdienste darauf hinweist, sind sie flexibler als erwartet. Auch beim Streetfood war ich positiv überrascht: Viele Händler auf dem Spielbudenplatz verpacken ihre Produkte in recycelbares Papier, zum Beispiel Burger. Ich schätze mal 15 von 20 Ständen. Tolle Sache! Man muss halt suchen. Ich habe auch Kaffeebars gefunden, die To-go-Becher aus reinem Papier anbieten. Bei den Stadtwerken habe ich mich erkundigt: Diese Verpackungen können wirklich gewaschen und entfasert werden und werden dann wieder zu Papier. Wenn ich mir einen Drink in einer Bar bestellt habe, dann habe ich gleich drauf hingewiesen, dass ich keinen Strohhalm will. Der fliegt doch bei den meisten Leuten gleich eh raus aus dem Glas, wozu braucht man den? Wenn du mit dem Barkeeper darüber ins Gespräch kommst, dann macht es schnell Klick: Ist wirklich unnötig und kostet auch noch Geld.

In dem zwanzigteiligen Plastikmüll deines Aktionsmonats sind Plastikbecher.
Der eine war ein Ausrutscher, da war ich betrunken und habe nicht drauf geachtet, mir ein Glas geben zu lassen. In dem anderen habe ich mein Getränk auf einem Event bekommen. Den Leuten an der Bar ist trotz meines Hinweises leider keine andere Lösung eingefallen, als mir mein Bier in so einem Becher zu geben. Wenigstens habe ich dann alle vier Biere des Abends aus diesem getrunken.

Es gibt doch diese robusten Mehrweg-Plastikbecher.
Ja, aber oft gibt es die eben nicht. Ist wohl zu viel Spülaufwand. Ich habe mir aber auch einige Küchen in Restaurants anschauen können. Da gibt es schon einige, die ihren Plastikmüll stark reduzieren, indem sie Kooperationen mit Höfen haben und direkt beliefert werden. Andere holen jedes Stück Mozzarella aus einer eigenen Plastikhülle. Darauf hat man natürlich weniger Einfluss. Ich habe viel gekocht.

Was hat es mit dem Ayran auf sich?
Das war auf dem Heimweg. Ich konnte nicht mehr. In der Alufolie daneben war ein Falafel drin. Das war mir in dem Augenblick egal. Aber der Dönermann gibt mir mein Essen jetzt schon automatisch ohne Verpackung mit.

Du bist jetzt in die Verlängerung gegangen.
Ja, ich will auf 19 Teile kommen. Oder auf weniger natürlich.

Gibt es etwas aus Plastik, das du nie wirst vermeiden können?
Ich fürchte die Kontaktlinsen. Die gibt es in meiner Sehstärke nicht anders. Obwohl – ich muss meinen Apotheker noch mal fragen!

Wer sich noch tiefer ins Thema einwickeln lassen will: Einen weiteren Bericht eines Monats ohne Plaste, Tag für Tag, gibt es hier.

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