Fragmente einer GroßstadtZu Besuch bei Hunden

Fragmente einer Großstadt Zu Besuch bei Hunden Full

Kürzlich war ich zum ersten Mal in Wien. Keine Sorge, wider Erwarten folgt jetzt kein Wien-Berlin-Vergleich.
Eher vielleicht ein Mensch-Hund-Vergleich.

Ich besuchte das bisher interaktivste Theaterstück meines Lebens: „Wir Hunde / Us dogs“ am Volkstheater. Schauplatz war ein Wohnhaus mitten in der Stadt im plüschig-heimeligen Schrankwand-Einbauküche-Sitzgarnitur-Stil der 80er in einem Hauch von Beige und Rosé. Es war Tag der offenen Tür bei Canis Humanus, einer Organisation, die sich für Hundsche und ihre Integration in die Gesellschaft einsetzt, und seinen Mitgliedern. Betrat man das Haus, war man ab sofort also in einer Welt, in der Herrchen mit ihren Hundschen, Menschen-Hunden, zusammenlebten.

Hundsche merken in der Regel vor ihrem 25. Lebensjahr, manchmal später, dass ihnen der menschliche Körper, die menschliche Bewegung und das menschliche Verhalten nicht natürlich erscheint, sondern vielmehr die eines Hundes. Sie wachsen in einer Gesellschaft auf, deren Regeln und Rollen ihnen von Kind auf antrainiert sind. Und irgendwann merken sie, dass sich das artifiziell anfühlt. Das erklärte mir Frau Marmelstein, Herrchen der gleichnamigen Familie.

Ich kraulte derweil Coco, ihre Nichte und Hündschin, die sich auf allen Vieren an meine Beine schmiegte, ihren Nacken und Kopf. Sie schien es zu genießen und fasste Vertrauen in mich. Ganz automatisch fiel ich in die Rolle meines Hunde-liebenden Seins, kraulte weiter und fasste ebenfalls Vertrauen in Coco. Ich fragte sie Fragen, sie antwortete in menschlicher Sprache. Wir sprachen über ihren Körper. Ich wollte sie verstehen, mitleidig fragte ich: „Welche Haltung ist für dich denn am angenehmsten, am natürlichsten?“ – „Keine Ahnung, welche magst DU denn am liebsten?“, antwortete sie verletzt. Wie taktlos von mir. Ich hatte sie behandelt wie eine Außerirdische. Sie machte mir mit ihrer Gegenfrage bewusst, wie absurd die Frage war und bestrafte mich zurecht für mein degradierendes Verhalten. Sensibilisiert und etwas demütig besuchte ich den hauseigenen Zwinger und ließ mir dort von Sparta, einem muskulösen Hundsch hinter Gittern, Arme und Hände abschlecken. Allerdings war ich wirklich froh, dass er eingesperrt war.

Der Besuch fühlte sich an wie ein Blick in den Spiegel. Gleichzeitig mein eigener Spiegel, wie auch der einer ganzen Gesellschaft, die sich plötzlich vor meinem inneren Auge auftat. Wir pressen uns und unsere Mitmenschen mit bestem Gewissen von Geburt an in unser eigens erschaffenes Idealbild voller ideeller Ideale und nennen das dann auch noch Sozialisierung. Wenn jemand aus dem Ideal ausbricht, ist derjenige also asozial und muss resozialisiert werden. Logisch.

Dabei fallen mir wirklich viele Menschen ein, die ich gerne mal einer Resozialisierung unterziehen würde. Da ist der Sicherheitsmann im Flüchtlingscamp, der die Bewohner rumkommandiert wie seinen Hund … Nein, eher wie den Hund seines größten Feindes. Da sind die Eltern, die ihre Tochter verstoßen, weil sie ihre Freundin heiraten will. Da ist Donald Trump, der wahrscheinlich das Gleiche tun würde und noch so einige andere asoziale Dinge. Da sind die Brexit-Befürworter, die weglaufen, sobald es anstrengend wird. Meine Mama sagt da gern: Der liebe Gott hat einen großen Tiergarten. Diese Menschen würde ich liebend gern mal in den Zwinger zu Sparta schicken, der sie von oben bis unten abschleckt. Trump darf sich anschließend noch von lesbischen Hündschinnen mexikanischen Ursprungs kraulen lassen.

Ist es denn wirklich so schwer, Menschen zu achten und zu tolerieren, die den Mut haben, aus den ach so idealen Gefügen der artifiziell und konservativ erschaffenen Gesellschaftsformen auszubrechen oder aus reinem Pech (oder Glück) nicht hineingeboren worden zu sein? Und das geht an uns alle: Leute, befriedigt öfter mal euren tierischen Trieb nach Liebe und Zuwendung und streichelt euch gegenseitig. Wirkt Wunder.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

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