Fragmente einer GroßstadtImmer nur Angst

Fragmente einer Großstadt Angst

Wenn ich derzeit in den Nachrichtenfeed auf dem Handy gucke, einen Blick in Zeitungen on- oder offline werfe, Radio höre oder versehentlich mal Nachrichten auf Öffentlich-rechtlichen Sendern erhasche (versehentlich deshalb, weil ich das eigentlich aus Prinzip nicht mehr tue – um meine Energie nicht vollkommen im Keim zu ersticken), dann bekomme ich es doch gelegentlich mit einem unguten Gefühl zu tun: der Angst.

Wenn auch Neuigkeiten wie der Wahlsieg von van der Bellen in Österreich kurze Schübe eines warmen Hoffnungsgefühls auslösen, dominieren doch wie immer die schlechten: Brexit, Trump, die Achse der Illiberalen, Schießereien, Terror, Übergriffe auf Frauen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Gewalt von Flüchtlingen, Big Data Bomb … Kein Wunder: Eine schlechte Nachricht verkauft sich ja viel besser als eine gute. Was sagt das über uns als Menschen aus? Dass wir pessimistisch veranlagt sind? Masochistisch? Sensationsgeil? Macht es vielleicht sogar ein bisschen Spaß, vermeintlich Wutbürgerin oder Wutbürger zu sein? Relativieren wir unser eigenes Scheitern mit den Hiobsbotschaften aus aller Welt? So gäbe es wenigstens immer einen Sündenbock, der es verbockt hat.

Hinterher können wir unser eingeübtes Sprüchlein aufsagen: „Hab ich doch gleich gesagt“, oder „Die da oben sind schuld“ (und damit meine ich Politiker, nicht Götter). Der Wutbürger ist eingeholt: Vor allem sagt es nämlich aus, dass wir ängstlich sind. Angstbürger. Und deshalb kontrollierbar.

Angst ist ein tief in uns verankertes Urgefühl. Sie soll uns auf drohende Gefahren vorbereiten und unseren Körper mit den nötigen Kräften wappnen, die er für einen Kampf braucht. Ziemlich kluger Mechanismus. Kurzfristig sind wir dann mit ungeahnten Energien zu ungeahnten Taten oder Fluchten fähig. Langfristig schwächt uns das.

Es mag Menschen geben, die aufgrund eines bestimmten Glaubens oder ihrer mental trainierten, gereinigten Persönlichkeit so gut wie keine Ängste haben. Beneidenswert. Und erstrebenswert, oder? Da der Mensch sich aber meist selbst der Nächste ist, hat ein Großteil seiner Spezies auch so oft viele Ängste: Angst vor dem Tod, vor Krankheit, vor Nähe, vor Verlust, vor engen Räumen, vor großen Höhen, vor dem Fliegen, vor beruflichem Misserfolg, vor Pleite, vor Clowns – die aktuell meist gegoogelte Angst – und so weiter und so fort. Wovor wir wirklich am allermeisten Angst haben sollten, ist unsere Angst selbst. Sie macht uns durchschaubar, angreifbar, klein und unfähig.

Angstmache ist zielgerichtet und ziemlich wirksam. Als Angstbürger sind wir scheinbar willige Opfer von Machtstrukturen und Maschinerien. Cambridge Analytica (die Big-Data-Firma, die die über uns herumschwirrenden Informationen bündelt und sie zu gläsernen digitalen Abbildern unserer selbst macht), Pharma-Konzerne und hungrige Kampfhunde. Natürlich müssen Medien immer gut dosiert sein, sonst fliegen sie auf!

Ich meine nicht, dass wir alle blauäugig herumspazieren sollen wie Hans Guck-in-die-Luft und uns furchtlos in jedes Verderben stürzen sollen. Aber wenn wir nur auch nur einen Funken Angst vor dem Tod unserer Spezies haben, sollten wir unseren Körper austricksen und die freigesetzte Angst in etwas Produktives umwandeln. Ich weiß ja auch nicht genau wie. Aber lasst uns mal treffen und darüber sprechen. In echt. Mit Codewort und geheimen Treffpunkt. Ich habe mittlerweile Angst vor dem Internet.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

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