Ewige Wiederkehr, aktualisierte VergangenheitHollywood im Stillstand

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Gemini Man / © Paramount Pictures Germany

Die schiere Größe von Produktionen wie „Terminator: Dark Fate“ und „Gemini Man“ hat Hollywood dazu verleitet, jegliches stoffliches Risiko zu minimieren und auf stabile Größen der Vergangenheit zu setzen. Diese Politik wird zusehends technologisch fundiert, verrät für Lucas Curstädt aber auch etwas über unsere Gegenwart.

Der Soziologe Hans Ulrich Gumbrecht ist ein bescheidender Wissenschaftler. Wenn er von seiner langjährigen Denk- und Schreibarbeit spricht, dann betont er, lediglich eine gute Idee gehabt zu haben. Diese eine gute Idee – zweifellos besser als gar keine – stellt die Frage nach der Dimension der Präsenz in unserer Kultur. Aus dieser Beschäftigung ist wiederum eine Diagnose der Gegenwart entsprungen. Eine, die vor dem philosophischen Hintergrund entstanden ist, dass Zeit nicht nur Form des menschlichen Bewusstseins, sondern auch immer eine Konfiguration sei, die eine Gesellschaft hervorbringt, um Ordnung zu kreieren. Unsere gegenwärtige Zeit-Ordnung, so Gumbrecht, sei recht unbemerkt in eine Sackgasse geraten.
Denn noch immer wähnen wir uns im Zustand des historischen Denkens des 20. Jahrhunderts, was meint, dass wir den Moment der Gegenwart als einen kaum wahrnehmbaren Moment des Übergangs verstehen. Einen Übergang, der sich vom Gestrigen freimachen kann, um das Morgige aktiv zu gestalten. Die Frage ist nur: Können wir uns noch vom Gestrigen freimachen oder ist dies nur noch Imagination einer Zeit-Konfiguration, die sich längst aufgelöst hat? Gumbrecht geht diesem Problem nach und stellt die These auf, dass es der Gegenwart des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr gelingt, die Vergangenheit abzuschütteln, weil sie von dieser, digitalisiert und mediatisiert, immer wieder überschwemmt wird. Das Prinzip Postmoderne ist also auch ein Prinzip unserer Vorstellung von Zeit und ein Prinzip unserer nicht vergessen könnenden Technik.

Die breite Gegenwart

Das Problem unserer neuen, noch unbenannten Zeit-Vorstellung ist die Zukunft. Wo in der christlichen Zeitvorstellung des Mittelalters noch der jüngste Tag als Flucht- und Erlösungspunkt für die Rückkehr ins Paradies diente, ist unsere Vorstellung von Zukunft nun eine, die durch die permanente Krisenerscheinung im Jetzt nicht mehr positiv sein kann. Dies hat Auswirkungen auf die Gegenwart. Denn während die Vergangenheit wie ein Tumor immer aggressiver auf unser Handeln drückt und die Zukunft einem verstopften Nadelöhr gleicht, muss das Hier und Jetzt als Ausweg in die Horizontale ausweichen. Unsere breite Gegenwart entsteht, und dies hat Auswirkungen auf die Vorstellung des Subjekts. Was passiert nämlich, wenn die Zeit kein Agens der Veränderung mehr ist, sondern einem Stillstand erliegt, aus der man nicht mehr heraustreten kann, um die Zukunft zu gestalten? Das Genre der Science-Fiction will sich als Kind des historischen Denkens diesen Fragen zweifellos nicht stellen, und ein Film wie Ad Astra von James Gray zeigt dies auch unfreiwillig. Dass Gray sein Subjekt als Hauptfigur nicht suspendieren will und kann, ist Dilemma dieser filmischen Unmöglichkeit. Der berühmte kleine Schritt des Astronauten, der einen großen Schritt für die Welt bedeutet, ist so nur noch ein recht mickriger Schritt zu sich selbst, weil da sonst nichts ist.
Die Filmwissenschaftlerin Vivian Sobchack hat diese Zukunftsüberdrüssigkeit des Genres mit dem Begriff des Abjekten umschrieben. Dystopische Stoffe sind lediglich die prognostizierbaren Verschärfungen gegenwärtiger Missstände. Utopische Entwürfe wie in der Hunger-Games-Reihe trommeln wiederum für eine Rückkehr zur Familie und zum Wertkonservativen. Ein tatsächlich offener und progressiver Horizont am (politischen) Gestaltungshimmel aber ist so abstoßend geworden, dass er im Kino auf Abstand gehalten werden muss.

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Avengers: Endgame / © 2019 Marvel

Das Blockbuster-Kino Hollywoods mag sicherlich auch Interesse am Status Quo haben, denn dieser bringt Sicherheit für eine Gegenwart, die in Zahlen und Quartalen gedacht wird. Das wäre auch nicht sonderlich neu. Was aber wäre, wenn Hollywood diese Zeit-Veränderung nicht nur widerspiegeln oder instrumentalisieren würde, sondern sie auch bedingen würde? Zweifellos sind die Cineplex-Leinwände vollgestopft von immer wiederkehrenden Superhelden oder von einst animierten Disney-Tieren, die nun hyperreal durch die Savanne stampfen. Das darf man alles ökonomisch verteidigen, ästhetisch verdammen oder nostalgisch aufwerten – interessant aber ist doch auch, welchen Umgang diese Filme mit Zeit-Konfigurationen prägen.

Nehmen wir zum Beispiel den inzwischen erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten: Marvels Avengers: Endgame. Zwar zogen die Helden nach dem ersten Teil den Kürzeren, statt aber der abjekten Zukunft ins Gesicht zu blicken, bedienten sie sich im zweiten Teil einfach der abrufbaren Vergangenheit, um durch Zeitreise-Techniken ihre Gegenwart gemäß der alten Ordnung zu re-aktualisieren. Diese Auffälligkeiten im Umgang mit seriellen Narrativen können als seismographische Spitzen betrachtet werden, die Rückkopplungsprozesse zwischen Film und Gesellschaft zu erkennen geben. Tatsächlich aber sind die eingesetzten Techniken weitaus interessanter, sind diese doch eben nicht mehr nur Mittel zum Zweck (der Darstellung), sondern selbst Epizentrum der Erkenntnis.
Im Zuge der Digitalisierung des Films und der allgegenwärtigen Verwendung immer besser werdender digitaler Visual Effects wurde vor allem über das Ende des Realismus, den Beginn eines alles dominierenden Attraktionskinos oder über das fantastische Potenzial der Imagination mit Blick auf transhumane Körper diskutiert. Nicht oder selten aber wurde über den Anbeginn eines veränderten Zeitverständnisses gesprochen. Blicken wir aber einmal auf das gegenwärtige Kino, dann kämpfen da nicht nur die 80er-Jahre- Ikone Arnold Schwarzenegger als T-800 in Terminator: Dark Fate oder in den 90ern Will Smith in Gemini Man, weil sie tradierte Stars sind, die mehr oder weniger zuverlässig Kassenerfolge garantieren. Neben ihnen oder statt ihnen kämpfen auch bereits ihre digitalen (und verjüngten) Doppelgänger, die etwas anderes über das Verhältnis von Kino und Chronotop verraten, als nur spektakuläre Gimmicks für die Fans zu sein.

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Terminator: Dark Fate / © 20th Century Fox

Aktualisierte Vergangenheit

Die permanente (und in dem Fall personifizierte) Aktualisierung der (Kino-)Vergangenheit durch digitale Technik ist nicht nur als abjektes Verhalten der Produzenten gegenüber der Zukunft zu verstehen, die notwendigerweise immer wieder auf das Alte zurückgreifen muss, es ist auch eine abbildungstechnische Intensivierung unserer breiten Gegenwart, der die ewige Wiederkehr des Gestrigen als ihr eigener Fetisch aufgezwungen wird. Während die Geschichten weiterhin von autonomen Subjekten erzählen, die ihre Zukunft gestalten können, sind ihre Darsteller bereits Objekte ihrer eigenen bildlichen Wiederverwertbarkeit. Natürlich stimmt es, wie Adorno es bereits wusste, dass die Filmproduzenten auf jedes Manuskript misstrauisch blicken, „dem nicht schon ein beststeller beruhigend zu Grunde liegt“. Warum also nicht auch in Bezug auf Schauspieler, die zu schnell altern, aber als Marke viel zu attraktiv sind? Doch hier findet mehr statt, als dass nur eine möglich gewordene Technik auf eine narrative Forderung stößt, wie im Falle des in den 90er-Jahren verstorbenen Peter Cushings, der für seine berühmte Rolle als Grand Moff Tarkin in Rogue One: A Star Wars Story tatsächlich noch einmal zum Leben erweckt wurde.
Dahinter verbirgt sich eine technisch mitbedingte soziokulturelle Veränderung, welche längst den symbolischen Tausch mit dem Tod aufgekündigt hat und damit das ewige Leben ausruft. Diese zeugt von einer Unfähigkeit und Unmöglichkeit zu vergessen und von einer in die Zeit-Konfiguration der Gesellschaft eingebrannten Nostalgie, die bedingt durch die Technik realistischer sein kann als ihre tatsächlichen Vorbilder und damit die Sehnsucht nach etwas, was so nie existiert hat, wahrer werden lässt. Man traut jedenfalls kaum seinen Augen, wenn in Terminator: Dark Fate der junge Edward Furlong noch einmal als John Connor auf der Leinwand erscheint. Im Grunde verknüpft dieser Film zwei alte Diskussionsfäden um das digitale Kino: Es ist imaginärer und realistischer als je zuvor.

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Gemini Man / © Paramount Pictures Germany

Ist diese Technik perfektioniert, braucht es im Grunde keine Dimension der Präsenz mehr, außer die der aktualisierten Vergangenheit unter Beglaubigung ihrer Technik. Das Kino hat darüber bereits seine ersten postmodernen Witze gemacht: Im teils animierten Science-Fiction Film The Congress von Ari Folman verkauft die Schauspielerin Robin Wright all ihre Bildrechte an ein Filmunternehmen, welches ihr digitales Alter-Ego immer wieder aus der Vergangenheit in die Gegenwart aktualisiert. Hier gibt es kein Vergessen und keinen neuen Horizont mehr. Stattdessen eine neue, sensuelle Materialität. Am Ende der Geschichte nämlich können die Fans der Schauspielerin diese auch als Milkshake konsumieren.

Lucas Curstädt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Medienwissenschaft an der Uni Bonn. Auf seinem YouTube-Kanal die zweite produktion teilt er wöchentlich seine Gedanken zu aktuellen Filmen und filmhistorischen Diskursen.

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