Pop-Kultur 2021Interview mit Yeşim Duman und Pamela Owusu-Brenyah

Pop-Kultur 2021 start

Das seit 2015 in Berlin stattfindende Festival Pop-Kultur geht dieses Wochenende (25. bis 28. August) in die nächste Runde. Wie zuletzt in der Kulturbrauerei, jedoch mit neuem Programmteam und verändertem Fokus. Das vierköpfige Kurationsteam besteht aus Yeşim Duman, Pamela Owusu-Brenyah, Leyla Yenirce und Christian Morin. Wir sprachen mit Yeşim und Pamela über neue Herausforderungen, Sichtbarmachen, Ping Pong und regionale Perspektiven.

Erzählt kurz etwas zu eurem Hintergrund und wie ihr dieses Jahr ins Programmteam des Festivals gekommen seid.

Yeşim Duman: Ich bin ursprünglich DJ aus Hamburg. Habe viel im Pudel gespielt und dort queere Partyreihen wie „Bubble“ und „Erdogay“ veranstaltet. 2017 hatte ich meinen ersten Talk bei der Pop-Kultur. In den darauffolgenden Jahren habe ich das Projekt „Pop Hayat“ umgesetzt, eine Art Mini-Festival im Festival. Es ging um postmigrantische Perspektiven. Daraus ist die Çaystube entstanden, die dieses Jahr stattfinden wird.

Pamela Owusu-Brenyah: Seit 2019 bin ich bei Pop-Kultur involviert. Erst nur als Panelgast und letztes Jahr habe ich selbst einen Talk veranstaltet. Ich habe Politikwissenschaften studiert und habe 2014 mit dem Auflegen begonnen. Zu der Zeit war ich viel in Ghana aktiv, dann aber auch in Berlin und habe als DJ viel Afrobeats gespielt. 2016 habe ich ein Festival für afrikanische Kulinarik gegründet und bin so Richtung Kultur und Musik gekommen. Im letzten Jahr wurde ich gefragt, ob ich ins Programmteam einsteigen möchte. Ich schaue viel auf den afrikanischen Kontinent, was da an populärer Musikkultur stattfindet. Das ist mein Steckenpferd. Durch Covid haben sich die Themen ein bisschen verlagert. Man schaut mehr auf den lokalen Markt. Was macht die afrodiasporische Szene hier in Deutschland? Ich möchte Brücken bauen zwischen dem Kontinent und der Diaspora. Das bestimmt auch meine Arbeit für das Festival: Es geht ums Sichtbarmachen und darum, Räume zu schaffen.

Wie positioniert Ihr euch mit dem neuen Programmteam auch im Vergleich zu den vorigen Festivals?

Yeşim Duman: Wir sind dieses Jahr zu viert. Neben uns sind noch Leyla Yenirce und Christian Morin mit dabei. Leyla ist Künstlerin und Gründerin des intersektionalen Musikkollektivs OneMother. Da macht sie experimentelle Musik und hat in Hamburg viel im Kampnagel gemacht. Christian ist von Anfang an dabei und viele kennen ihn durch seine kuratorische Arbeit an der Volksbühne. Jeder von uns hat ein Steckenpferd. Bei mir sind es die queere Subkultur und postmigrantischen Diskurse, Performance und Theater. Dieses Jahr haben wir zwei Installationen. Ich habe noch ein Steckenpferd: Tischtennis. Das habe ich seit meiner Kindheit gespielt und wieder entdeckt.

Same here. Ich war als Kind auch mal im Verein und durch letztes Jahr bin ich da wieder völlig eingetaucht.

Yeşim Duman: Wir können gerne auf dem Festival spielen. Weil ich aus meiner Leidenschaft eine Installation gemacht habe. Sie nennt sich Ping Pong Chat. Wir haben eine Ping-Pong-Platte als Installation mit einer Discokugel und Sound-Designs von Mars Dietz. Tischtennis hat viel mit Kommunikation zu tun – wie in der Musik. Da geht es auch um Battle oder B2B beim Auflegen. Ich finde es interessant, dass man beim Ping Pong viel vom anderen Menschen erfährt, ohne verbal zu kommunizieren. Die Körperhaltung, die Art und Weise wie jemand spielt. Ehrgeizig oder nicht. All die Informationen sind super spannend. Sport ist ja wichtig. Ich habe in der Regionalliga gespielt, aber irgendwann, mit 17, 18, aufgehört. Dann bin ich lieber ausgegangen. Umso älter man wird, desto wichtiger wird die mentale Stärke bei dem Sport.

Yesim Duman

Kuratorin Yeşim Duman | Foto: Sadeet Duman

Was waren die Herausforderungen bei der Kuration?

Pamela Owusu-Brenyah: Durch die Covid-Situation fand die Vorbereitung ausschließlich digital statt. Trotzdem komplementieren wir uns sehr gut. Wir teilen alle die gleichen Grundwerte. Zwar hat jeder seine Bereiche und Expertisen, aber wir haben viele Bereiche der Welt abdecken können: den Westen, Türkei, Osteuropa, Iran und Afrika. Durch den Austausch haben wir viel voneinander gelernt. Prinzipiell wollten wir Artists auf das Festival bringen, die noch nicht so viel Gehör bekommen haben und noch nicht so oft gesehen wurden.

Yeşim Duman: Nur über Video zu kommunizieren war eine Herausforderung. Ich rede sonst viel mit den Händen. Das mache ich bei Zoom zum Beispiel gar nicht. Nach acht Monaten hat man Routinen entwickelt, aber das war ein spannender Prozess.

Pamela Owusu-Brenyah: Wir hatten alle viel künstlerischen Spielraum. Dies und der gegenseitige Respekt war toll. Durch Zoom mangelt es irgendwann an Konzentration. Wir haben ja nicht nur Programm gemacht. Lange Zeit stand ja gar nicht fest, ob das Festival überhaupt stattfinden wird. Wir haben immer auf die Zahlen geguckt, Dinge, mit denen man sich zuvor nie beschäftigt hat. Das war für mich auch eine große Herausforderung. Ich wurde ins Team geholt, um mehr afrikanische Kultur in das Festival zu bringen und natürlich wollte ich viele Leute aus Afrika hierher holen. Als klar wurde, dass mit Reisen dieses Jahr auch nicht viel drin ist, musste ich mich umstrukturieren. Vor Ort gucken und anders denken. Viele geplante Bookings konnten nicht umgesetzt werden.

Ließ sich das wie ein Kompromiss an?

Yeşim Duman: Bei mir gar nicht. Wir hatten so viele Freiräume und dabei sind so viele unterschiedliche Formate entstanden. Von Commissioned Works, Digital Works, Pop-Kultur Nachwuchs, Workshops. Es gab keine Limits und wir konnten alles machen. Der Vorteil an Berlin ist, dass hier super viel entsteht und passiert. Ich fand es sogar eher gut, sich zu fokussieren. Nicht zu sehr nach Amerika oder so zu schauen, sondern eher auf Deutschland und die angrenzenden Länder.

Pamela Owusu Brenyah

Kuratorin Pamela Owusu-Brenyah | Foto: Frank Joung

Als ich das Programm studiert habe, kannte ich wirklich viele Sachen nicht. Wir sind ja alle, sag ich mal, mit einer sehr westlichen, amerikanischen Definition von Popkultur aufgewachsen. Inwiefern ist es euch auch wichtig, den Begriff der Popkultur neu zu territorialisieren?

Yeşim Duman: Popkultur ist für mich ein fluides Konstrukt. Es verändert sich ständig. Dieses Jahr gibt es eine Poledance-Performance mit Apex Anima und FRZNTE. Das wird eine wirklich coole Show. Poledance ist hier ziemlich verrufen gewesen. Mittlerweile ist die heutige Poledance-Community fast hochkulturell unterwegs. So etwas verändert sich. Es hat einen anderen Stellenwert als noch vor 15 Jahren.

Pamela Owusu-Brenyah: Da wir in Deutschland aufgewachsen sind, wurden wir durch das hiesige Bild geprägt, was Popkultur ist und was nicht. Nachdem ich in Ghana gelebt habe, hat sich die Sicht geändert. Musik ist global und verändert sich. Meine Freundin kommt aus Atlanta und in den Südstaaten ist Poledance gar nicht verrufen. Dort ist es selbstverständlich, in Strip Clubs zu gehen. Das ist deren Popkultur seit vielen Jahren. Es geht immer um die Perspektiven. Was ist Mainstream oder Popkultur? So etwas gilt es zu hinterfragen. Es gibt so viel mehr auf dieser Welt und der Mainstream-Begriff ist überall ein anderer. Die westliche Popkultur hat immer nach Afrika oder Asien geschaut, Elemente geklaut. Als Missy Elliott in den 90er-Jahren ihre verrückten Tänze aufgeführt hat, war das für viele amerikanisch. Wenn man schaut, woher diese Bewegungen wirklich kommen, dann findet man viele Einflüsse aus Afrika.

Du arbeitest derzeit an einem Filmprojekt, das sich mit Protagonistinnen der Popkultur in Ghana auseinander setzt. Was kannst du uns dazu sagen?

Pamela Owusu-Brenyah: Mir ist Sichtbarkeit wichtig, was Frauen in der Musik machen. Mein musikalischer Schwerpunkt liegt im Afro-Pop. Auf meinen privaten Playlists gibt es immer sehr viele Musikerinnen. In Ghana gibt es so viele tolle Künstlerinnen, nur hört man hier nie von denen. In meiner Filmarbeit gehe ich dem Thema auf den Grund. Ich habe mich mit Frauen unterhalten, Stimmen gesammelt, um ein Bild zu schaffen. Ich habe über die Probleme gesprochen, die sich auf dem afrikanischen Kontinent auftun. Daraus ist eine Dokumentation entstanden, die gerade erst fertig geworden ist. Das war ein interessantes Unterfangen. Ich lerne viel aus den Prozessen. Das Thema liegt mir sehr am Herzen. Aber als Frau wurde ich während des Projekts auch viel mit den patriarchalen Systemen konfrontiert. Um mit Künstlerinnen zu sprechen, muss man mit ganz vielen Männern sprechen, um überhaupt da hin zu kommen. Die Männer haben hier alles, was Musik anbetrifft, noch sehr in der Hand.

Jetzt machte die Nachricht die Runde, dass auch die Kulturbrauerei für Gewerbezwecke verkauft werden soll. Selbst in einer internationalen, kunstoffenen Stadt wie Berlin, werden die Räume für Musik und Kultur immer enger. Nicht erst seit 2020 stellt sich immer häufiger die Existenzfrage von Musik. Systemrelevanz war so ein Begriff. Kunst und Kultur war nicht darunter subsumiert.

Yeşim Duman: Den Begriff Systemrelevanz habe ich auch hinterfragt. Bei uns gibt es dieses Jahr das ongoing project mit Sisterqueens aus dem Wedding. Das sind junge Mädchen, die ihre eigenen Lyrics schreiben und mit etablierten Rapper:innen wie Ebow oder Alice Dee auf die Bühne gehen. Das ist Empowerment als Praxis und das ist eine gute und wichtige Arbeit. Es gibt heute kaum noch Jugendzentren. Die meisten hängen in Shisha-Bars ab. Solche Projekte finde ich persönlich viel wichtiger als internationale Headliner. Es geht weniger um Kunst als viel mehr um Sensibilität. Nachwuchsförderung sehen wir als wesentlich an. Solche Themen wollen wir benennen und anstoßen.

Pamela Owusu-Brenyah: Ich habe auch gesehen, wie wenig viele Musikerinnen und Musiker im letzten Jahr verdient haben. Es gibt für die meisten bis heute keine Perspektiven. Viele Kulturen und Szenen in Berlin kommen an diesen vier Tagen zusammen. Seit Covid vergessen wir, darüber zu sprechen, welches Gefühl uns Kunst und Kultur geben kann. Selbst in der Kuration sind diese Themen fast theoretisch geworden. Einfach wieder laut mit Menschen Musik zu hören, an Diskussionen teilzunehmen. Der Genuss von Kultur war vor der Pandemie selbstverständlich. Ich sorge mich aber auch um meine Freunde, wie geht es für die weiter? Zwar gab es Geld und viele Förderungen, aber wie frei ist man da noch? Ist Kultur nicht zum Luxusgut geworden?

Ihr hattet das Thema Jugendzentrum angesprochen. Ich würde mir in der Tat eine Neubesinnung wünschen, worum es bei Musik eigentlich geht. Dass es nicht nur um internationale DJs geht, die eine große Followership haben. Dass es weniger um Stars, Tourismus und Wirtschaft, als viel mehr um die therapeutischen Potenziale von Musik geht. Auf dem Land sieht es ja noch viel dramatischer aus. Berlin ist ja schon speziell, aber auch hier gibt es kaum noch Proberäume oder Orte wo Jugendliche sich entwickeln und austoben können. Oder wie seht ihr das?

Pamela Owusu-Brenyah: Ich habe schon den Eindruck, dass mittlerweile viele weiter zusammen gerückt sind, die zuvor nicht so viel Austausch hatten. Viele teilen das selbe Ziel: Kunst zu machen und davon leben zu können. Das ist die Existenzbasis vieler Menschen.

Yeşim Duman: Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit Stephan Rath von den Goldenen Zitronen. Er meinte, das Wichtigste sei das Vernetzen. Dass man irgendwo hingeht, eine Posse hat – Kontakte knüpfen, Menschen kennenlernen. Das ist völlig zusammen gebrochen. Wir machen jetzt vier Tage lang volles Programm und diese Elemente wollen wir wieder aktivieren. Ich habe nicht Partys organisiert, weil ich einen Ort zum Saufen schaffen wollte. Es ging mir um Sinn. Ich will queere Veranstaltungen in Hamburg machen, weil die Stadt so heteronormativ ist. Das Pop-Kultur-Festival ist ein Ort, an dem man unterschiedlichste Sachen erlebt. Wenn man keine Lust auf Musik hat, dann geht man auf ein Panel oder macht Sport. Menschen fühlen sich nicht alleine. So viele fühlen sich einsam in dieser Zeit. Systemrelevanz hin oder her. Eine Person an der Kasse im Discounter ist trotzdem genauso wichtig wie eine Person die Musik oder Kunst macht. Das sind Diskurse, die eher von der Politik ausgehen und weniger von denen, die die Kunst leben und machen.

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