Podcast-Kritik: „Mensch Mutta“ und „Im Untergrund“Kind-Eltern-Zwiegespräche aus Ost und West

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Einmal Mutter und Tochter, einmal Vater und Tochter. Einmal DDR, einmal BRD. Einmal tiefste Uckermark, einmal München im deutschen Herbst. Jan-Peter Wulf stellt zwei Podcasts vor, in denen die persönliche Familiengeschichte zur oral history wird.

„Ich bin ja keen Kämpferherz, das vor Empörung … egal was kommt, die Konsequenzen musste immer bedenken.“ Dieser Satz ihrer Mutter steht sinnbildlich für den ganzen Podcast, den Katharina Thoms mit ihrer Mutter gemacht hat: Es geht um eine ziemlich normale Biografie eines Menschen, der sein halbes Leben wie so viele in der DDR verbracht hat. Mutta Thoms war keine Systemkritikerin, keine Ausreisewillige oder gar eine Flucht Planende, aber auch keine Linientreue. Sie hat sich, wie Millionen andere Menschen auch, mit dem realexistierenden Sozialismus arrangiert. Durchgewurschtelt. Und vor dessen Hintergrund erzählt „Mensch Mutta“ die Lebensgeschichte einer Frau, die in der Uckermark aufwächst, zeitweilig an der Ostsee arbeitet, eher selten nach Berlin reist ... und dann ist die Mauer auf. Klingt langweilig? Das Gegenteil ist der Fall, denn tatsächlich steckt das Besondere dieses Podcasts – gerade für den Grimme Online-Award nominiert – in den zahlreichen kleinen Details. Wie sich „Mutta“ und Mitschüler*innen gegen zu viel Landwirtschaftsarbeit auf dem Kartoffelacker in der Schulzeit wehrten und sie mit dem System dann irgendwie doch in Konflikt geriet. Wie der Vater des Halbbruders sich aus dem Staub machte und der Vater der Erzählerin nicht viel präsenter war, wie „Mutta“ weitestgehend alleine erzieht. Und dann gab es da, leider nur sehr kurz, noch eine große Schwester, über die „Mutta“ und Tochter noch nie wirklich sprachen. Auf einmal wird eine scheinbar gewöhnliche Biografie ganz besonders und der Hörer fast demütig. In sieben Teilen, mit vielen Dialogen, durch Erkläreinschübe und Reflektionen von Katharina Thoms kurzatmig gehalten, lernen wir einen Menschen und seine Geschichte kennen. Und über diesen Podcast lernt auch die Tochter ihre Mutter, so scheint es, erst richtig kennen.

Das mit dem Kennenlernen ist bei „Im Untergrund“ ähnlich. An einer Stelle sagt Produzentin, Sprecherin und Tochter Patrizia Schlosser, sie nehme ihren Vater das erste Mal als Mensch und nicht als Vater wahr – da nämlich, wo dieser seine Geschichte erzählt. War es bei „Mensch Mutta“ die DDR, ist es hier die BRD und darin der „pain point“ der alten Bundesrepublik, die RAF. Verfällt Thoms im Gespräch mit Mama regelmäßig in brandenburgischen Dialekt, gibt’s breitestes Bayerisch, wenn Vater und Tochter diskutieren. Vater Schlosser war Polizist in München, ein Verkehrspolizist, wie es sie zu Tausenden gibt. Das Normabweichendste, was er tut: seine Dienstwaffe aus Bequemlichkeit öfter mit heimnehmen und im Backofen verstecken. Doch 1972 ist er auf einmal mittendrin, als die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen im Desaster endet. Er befindet sich im Tower des Flugplatzes Fürstenfeldbruck, als vor ihm auf dem Flugfeld eine zweieinhalbstündige Schießerei zwischen Geiselnehmern und Einsatzkräften im bekannten Blutbad endet. Als Schüsse die Fenster des Towers zerbersten lassen, wäre Franz-Josef Strauß mit seinem breiten Gesäß fast auf ihn gestürzt, erzählt Schlosser. Vordergründig geht es in diesem Podcast (der technisch gesehen keiner ist, weil kein RSS und hinter der Audible-Paywall) um drei bis heute verschwundene mutmaßliche RAF-Mitglieder der dritten Generation, Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg. Tochter und Vater wollen sie gemeinsam aufspüren, beziehungsweise: die Tochter überredet den Vater schließlich, ihr dabei zu helfen. Hintergründig und eigentlich aber geht es – und darum ist es auch kein Spoiler, wenn man verrät, dass die Terroristen-Suche ergebnislos bleibt – auch hier um das Verhältnis von Kind zu Eltern, um Spurensuche in der eigenen Familie, sowie in diesem Fall um die Aushandlung unterschiedlicher ideologischer Ansichten. Die mitunter in kräftigem Streit ausartet. Und während Tochter und Vater herzhaft diskutieren und planen, saugt Mutter Schlosser laut Staub und klappert mit dem Geschirr. Herrlich.

Am Ende gibt es zweimal kein großes Finale, steigert sich die Spannung zweimal von Episode zu Episode nicht. Das ist überhaupt kein Problem. Denn beiden Formaten geht es gar nicht darum, beide haben es nicht nötig. Dass es zweimal Kind und Elternteil gelingt, einen Dialog zu etablieren, tief miteinander ins Gespräch zu kommen, reicht völlig aus. Wer sich darauf einlässt und überdies den akustischen Minuspunkt beider Produktionen – zu viele musikalische „Wellenbrecher“ hüben wie drüben – ignoriert, darf sich auf zwei Hörerlebnisse der eigenen Art freuen.

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