„I’m a reformer“Buchkritik: „A Promised Land“ von Barack Obama

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Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft hat Barack Obama, wie seine Frau Michelle zwei Jahre zuvor, seine Erinnerungen auf den Buchmarkt gebracht. „A Promised Land“ ist der erste von zwei Teilen über seine Amtszeit als US-Präsident. Jan-Peter Wulf hat sich mit dem dicken Schmöker schon mal unter den Baum gesetzt.

Wenn „A Promised Land“ irgendwann verfilmt wird, dann erstens vermutlich von den Obamas selbst, die heuer ja fleißige Medienunternehmer sind. Und zweitens nicht als Film, sondern als Serie mit mehreren Seasons. Für einen simplen Langfilm ist die Vorlage viel zu umfangreich. 770 Seiten dick ist das Buch, das Hörbuch kommt auf 29 Stunden und 10 Minuten. Gleich am Anfang schreibt/sagt Obama, er habe sich eigentlich kürzer fassen wollen. Hat nicht geklappt. Und die zweite Amtszeit ist darin noch gar nicht enthalten, die ist noch in der Aufarbeitung und wird wohl Ende 2021 oder 2022 gelauncht. Dann befinden sich die Vereinigten Staaten, falls Giuliani nicht mit privaten Milizen anrückt, bereits mitten in der Biden-Ägide, die von vielen als Fortführung der Obama-Mission eingeordnet wird. Oder die erste POC-Präsidentin regiert? Wir werden sehen.

Stellen wir uns weiter vor, das Ganze sei eine große Narration, und so beginnt sie – kennt man von vielen Actionfilmen – gleich mit Vollgas. Keine Schonzeit. Kaum zum Präsidenten gewählt, müssen Obama und sein Team mal eben die größte Finanzkrise seit dem „New Deal“ in den Griff kriegen. Die haben ihm die Banken und Bush hinterlassen. Erst also die am Boden liegende Wirtschaft wieder ankurbeln. Dann internationales Vertrauen, das durch den Irak-Krieg teils zerrüttet ist, zurückgewinnen. Eine Lösung für Irak und Afghanistan finden. Und das große Vorhaben, eine bezahlbare Krankenversicherung für alle, gegen die Filibuster-Blockadepolitik der Republikaner (die ihn bis auf wenige Ausnahmen anwidern, schreibt er nicht, man merkt‘s aber) durchsetzen, steht da noch auf der To-do-Liste. Obama beschreibt später auch, wie man sich auf eine etwaige H1N1-Epidemie bzw. Pandemie vorbereitet hatte – ohne dass es die Öffentlichkeit groß mitbekam, weil es letztlich zum Glück nicht nötig war. Die wichtigste Aufgabe bzw. die Basis der Führung eines US-Präsidenten sei es, so sagt er an einer Stelle, zu gewährleisten, dass die Bürger des Landes sich sicher fühlen. Das unter Obama aufgebaute Pandemie-Notfallprogramm wurde von der Folge-Administration eingestampft. Soeben überschreitet die Zahl der Corona-Toten in den USA die traurige Marke der 300.000.

Fast jedes Kapitel schildert eine Mammutaufgabe. Dazwischen gibt es aber, auch das sehr serienaffin, Folgen mit anderen Perspektiven. Wie Michelle, Business-Frau, die Präsidentschaft ihres Mannes prägt. Wie die Familie versucht, den Kindern eine halbwegs normale Kindheit zu erlauben. Und der Alltag: Wie sich das Team im Weißen Haus von früh bis spät den Arsch abarbeitet, beim sausage making, wie man es in Washington nennt. Obama ist bemüht, viele Personen zu nennen (eigentümlicher Weise beschreibt er dabei auch oft ihr Äußeres und ihre Art, sich zu geben), ihre Funktionen und ihre Meriten darzulegen – und wie sie nach einem Mindestens-Zwölf-Stunden-Tag eben keinen Eine-Minute-Heimweg haben wie Obama, der abends um halb sieben mit seiner Familie zu Tisch i(s)st, auch wenn danach noch einmal Büro ansteht. Wie so ein stinknormaler Tag im Zentrum der Macht abläuft, zeigt nicht nur „The West Wing“, auch der Chef legt es dar.

Wie er sich freut, wenn er in den wenigen Pausen mal ein paar Körbe werfen kann (hat er nicht verlernt), oder wie er heimlich auf der Terrasse seine Kippen raucht – nicht die eine am Abend wie Frank Underwood, sondern gerne mal eine halbe Schachtel, bis er schließlich zum Nikotinkaugummi-Dauerkauen übergeht. Diese kleinen Schwächen sollen die Menschlichkeit betonen.

Obama weiß, wann er zwischen all den großen Projekten und Prozessen im In- und Ausland, die er ausführlich, bisweilen etwas langatmig darlegt, die kleinen Dinge des Lebens einfügen muss, damit das Ganze Plastizität und Bodenhaftung behält. Da gibt es immer wieder diese Szenerien, die man sich wirklich bildhaft vorstellen kann. Etwa, als er mit Hillary Clinton bei der Klimakonferenz in Kopenhagen den Raum entert, in dem sich unter anderem die chinesische Delegation „versteckt“ hat, um ihr wenigstens noch eine halbwegs passable Absichtserklärung abzuringen. Oder – letzter Teil des Buches – eine absurde Parallelmontage zwischen heiterer Black-Tie-Abendgesellschaft (in Anwesenheit Trumps, den Obama an jenem Abend wegen seiner Birther-Theorie vor versammeltem Publikum disst) und Kampfhubschraubern, die sich zeitgleich Bin Ladens Versteck in Pakistan nähern. Es ist mindestens so spannend wie bei Bigelow.

Der Mann kann schreiben, das hat er schon mit seinen vorherigen Büchern bewiesen. Die Reise eines Reformers, der es von der Communityarbeit in Chicago bis ins Oval Office geschafft hat, seine Reise, die zeichnet er informativ, detailreich und mitunter unterhaltsam nach. Auch an Selbstkritik und Passagen, die seine Zweifel, auch im Rückblick, darlegen, spart er nicht. Wer wissen will, wie ein „elder statesman“ das genaue Gegenteil betreibt, höre sich den unendlich selbstgefälligen Podcast Gerhard Schröders an.

Und doch bleiben viele blinde Flecke, über die weniger zu lesen ist. Obama, der Hoffnungsträger, hat vieles nicht erreicht und/oder die Hegemonie seiner Vorgänger fortgeführt. Alte und neue Kriege (Libyen). Mehr Deportationen als alle Vorgänger. Klimaziele verfehlt. Politische Freunde und Verbündete abgehört. Guantanamo nicht geschlossen. Snowden nicht begnadigt. Keine wirksamen Verschärfungen der Waffengesetze erreicht. Und letztlich: von Donald Trump abgelöst worden, der fiel ja nicht vom Himmel. Fakt ist auch: Die heutige, enormen Spaltung des Landes ist schon evident, als Obama aus dem Weißen Haus auszieht. Man darf gespannt sein, ob und wie Obama in Buch zwei auf all dies eingehen wird. Und für eine kritische Reflektion der Obama-Amtszeit sowie der nun anbrechenden seines Ex-Vize und Buddys gibt es ansonsten The Intercept und andere Formate.

„A Promised Land“ von Barack Obama ist bei Crown Publishing erschienen und kostet 25 Euro.

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