Leseliste 23. Februar 2020 – andere Medien, andere ThemenTonträger, Wikipedia, Kanake und Therapie per App

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Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.

Vertriebsproblem

In den USA hat die Musikindustrie seit rund einem Jahr große Sorgen. Keine Piraterie, keine zu geringen Erlöse aus dem Streaming: Es geht um den Vertrieb der Tonträger, also von CDs und Vinyl. Dieser Vertrieb funktioniert einfach nicht mehr. Sony und Universal haben die Logistik schon seit langem ausgelagert – an ein Unternehmen namens Direct Shot Distributing. Im April 2019 entschied sich dann auch Warner für diesen Dienstleister, der mit diesem zusätzlichen Aufkommen offenbar nicht klar kommt. denn Direct Shot Distributing bringt nicht nur Schallplatten in die Läden, sondern verschickt praktisch alles im Auftrag von Kunden – von Hustensaft bis Scheibenwischwasser. Und genau diese Produkte kamen dann in den Plattenläden an. Klingt lapidar, vielleicht irgendwie lachhaft, ist aber für die ganze Branche ein Problem. Denn die Majors haben auch den Vertrieb vieler Indie-Labels in den USA übernommen. Während die Beggars-Gruppe (4AD, XL, etc.) bereits Konsequenzen gezogen haben und bei einem Indie-Vertrieb unterkamen, bleibt die Situation für viele Labels und Shops angespannt. Lieferungen verzögern sich, kommen gar nicht an oder in falschen Mengen. Kunden sind enttäuscht, Labels setzen weniger ab und die Künstler gucken erneut in die Röhre. Und das in einem Land, in dem physische Tonträger im Schnitt immer noch 10 % des Umsatzes generieren.

“Lost stock, unfilled orders, massive delays in fulfillment — it’s amazing how a company most have never heard of can bring the U.S. music industry to its knees.”

‘The Whole System Collapsed’: Inside the Music Industry’s Ongoing Distribution Crisis

Screenshot Wikipedia

Screenshot: wikipedia.de

Wikipedia

Die Frage ist berechtigt. Was wäre die Welt heute ohne Wikipedia? Die Open-Source-Online-Enzyklopädie, die heute Brockhaus, Bertelsmann und alle anderen Lexika quasi überflüssig gemacht hat, wurde 2000 von Jimmy Wales und Larry Sanger initiiert und repräsentiert heute mehr oder weniger das gesammelte Wissen der Welt. Seit Jahren gibt es auch viele kritische Stimmen. Unternehmen, die ihre Firmengeschichte schön schreiben lassen. Toxische Männlichkeit in den Foren und Autorendiskussionen. Und natürlich ist nicht alles wissenschaftliches Gold, was dort publiziert wird. Dennoch, der Journalist Richard Cooke glaubt, dass Wikipedia der letzte beste Ort im Internet ist. Aus guten Gründen.

The site's innovations have always been cultural rather than computational. It was created using existing technology. This remains the single most underestimated and misunderstood aspect of the project: its emotional architecture. Wikipedia is built on the personal interests and idiosyncrasies of its contributors; in fact, without getting gooey, you could even say it is built on love.

Wikipedia Is the Last Best Place on the Internet

Ich bin Kanake

Und wieder ein rassistischer Angriff. Wieder Menschen, die tot sind. Während sich die Medien in Metadiskursen darum drehen, wie dieses Mal damit umzugehen sei, was nun endlich anders werden müsse, hier ein sehr persönlicher Kommentar. Behzad Karim-Khani, Gastronom aus Kreuzberg und Autor, nimmt Hanau zum Anlass, sich fortan selbst als „Kanake“ zu bezeichnen. Als Akt der sprachlichen Performanz und Selbstermächtigung, bevor es jemand anderes für ihn tut.

Ich denke, ich werde nicht auf den Tipping Point warten. Ich werde nicht warten, bis sie mir einen gelben Halbmond ans Hemd heften, meinem Sohn den Zweitnamen Mohammed in den Pass eintragen. Ich werde nicht warten bis wir klein geworden sind.

Nach Hanau: Jetzt bin ich Kanake

Therapie per App

„Beantworte ein paar Fragen um einen Therapeuten bzw. eine Therapeutin deiner Wahl zu finden.“ Klingt ganz einfach, steht so auf der Website von Better Help. Der Service bringt per App Hilfesuchende und professionelle Hilfsangebote für psychische Leiden zusammen, im letzten Jahr wurde die App fast eine halbe Million mal geladen. Das Magazin Jezebel hat sich genauer angeschaut, was der Provider eigentlich macht – insbesondere mit den sensiblen und höchst wertvollen Gesundheitsdaten der Nutzer, die durch die App geschleust werden:

During a session with a therapist, we found that metadata from every message, though not its contents, was also sent to the social media company, meaning that Facebook knew what time of day we were going to therapy, our approximate location, and how long we were chatting on the app. When we asked about this directly, Better Help declined to elaborate on why a social media company needed to know quite so much about when and how we were asking for help.

The Spooky, Loosely Regulated World of Online Therapy

Wochenend-WalkmanDiesmal mit Lanterns on the Lake, Eris Drew und All Times Now Nothing

Mix der Woche: Nina BC & Fifth WorldEin Hoch auf die Kunst des Zuhörens