Es war keine MassenpanikPodcast-Kritik: Trauma Loveparade – 10 Jahre nach der Katastrophe

trauma loveparade

Wir sind zwar im Urlaubsmodus, nichtsdestoweniger möchten wir euch diesen Siebenteiler ans Herz legen. Er rollt auf, wie es bei der Loveparade 2010 zur Katastrophe kommen konnte – und warum diese für die Hinterbliebenen und viele damalige Teilnehmer*innen nicht vorbei ist.

Die Loveparade in Duisburg sollte so etwas werden wie das Flagship-Kulturevent der „Ruhrstadt“ im Jahr 2010: Das benachbarte Essen war in jenem Jahr europäische Kulturhauptstadt, mit vielen Veranstaltungen von unzähligen Konzerten über eine große Rad-, Spazier- und Picknicktour über die A40 bis zu Oper, Theater und vielem mehr. Schon 2007 war die von 1989 bis 2006 Berlin ausgetragene Parade in die Region gewechselt: Essen 2007, Dortmund 2008. Bochum 2009 war abgesagt worden – mangels hinreichendem Platz und Sicherheitskonzept. Ein Jahr später dann eine neue Stadt, ein neues Konzept: Statt einer Parade, die irgendwo anfängt und woanders aufhört, sollten die Trucks auf einem Gelände in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs im Kreis fahren. Abschlusskundgebung da, wo auch die Motoren und Soundsysteme angeworfen wurden. Was dazu führte, dass der Zu- und Ablauf der Gäste die ganze Zeit an Ort und Stelle stattfand. Das Gelände selbst war eigentlich groß genug, wer mal mit dem Zug vorbei gefahren ist, wird es bestätigen können. Die neuralgischen Punkte waren die Zugänge. Was dann geschah, ist bekannt oder dann auch nicht: Zu einer Massenpanik soll es im Bereich des Zugangs durch einen Tunnel mit angrenzender Rampe gekommen sein, und das in einer Menge bereits alkoholisierter oder anderweitig betäubter Raver.

Das alles ist Bullshit: 21 Menschen mussten in Duisburg sterben, weil das Einlasskonzept im Speziellen und das Veranstaltungskonzept im Ganzen überhaupt nicht geeignet dafür waren, die Loveparade so durchzuführen, wie sie nun mal ist: Menschen schließen sich den Trucks an, ziehen mit, andere schauen an der Seite zu, manche gehen nach dem Zug, andere kommen erst zur Abschlussparty. Was sonst recht entzerrt ablief und einigermaßen gut funktionierte (von Sachschäden und einem vollgepissten Tiergarten mal abgesehen), auch auf der zur Stadt hin an vielen Stellen offenen B1 in Dortmund zum Beispiel noch, war in Duisburg wie ein langsamer Wirbelsturm, der immer mehr Masse aufnimmt. Mit Strömungs- und Wellenbewegungen, mit Dynamiken, die auch ganz ohne Panik tödliche Konsequenzen haben.

Davon erzählt die Spotify-Audioshow Trauma Loveparade in sieben hörenswerten Teilen. Folge für Folge zoomt sie rein und raus: Was geschah um 17 Uhr an der Rampe, als es zur Tragödie kam? Was ist eigentlich genau ein Trauma? Wer ist schuld? Und wie hatte es Dr. Motte seinerzeit geschafft, die Parade als Demonstration zu deklarieren – wusstet ihr zum Beispiel, dass das Eierkuchen im Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ als Forderung für bessere Verteilung von Nahrungsmitteln in der Welt steht? Der Gründer der Loveparade – der mit dem Projekt „Rave The Planet“ eine neue Parade aufbauen will – kommt im Podcast ebenso zu Worte und sagt, er hätte die finanziell bedrohte Parade lieber einstampfen sollen als an McFit verkaufen – wie eine vor Ort gewesene Journalistin und der Mitveranstalter einer After-Parade-Party, die auch noch stattfand (irre, aber aus Crowd-Management-Betrachtung heraus die richtige Entscheidung). Besonders beeindruckt Gabi Müller: Die Mutter von Christian, der in Duisburg ums Leben kam, kämpft bis heute für Aufklärung. Was sie zu sagen hat, wie sie spricht, in einfachen, aber klaren Worten, das bewegt.

„Trauma Loveparade“ hätte vielleicht noch viel tiefer einsteigen können in den kulturpolitischen Komplex der Region, noch mehr hinterfragen und kritisieren können, warum am Ende der Prozess quasi ergebnislos eingestellt worden ist. Vielleicht ist es aber auch „gut“ so, wie es ist. Jetzt, wo gerade alles still steht, Festivals vor dem Laptop und Partys höchstens im kleinsten Kreise irgendwo versteckt stattfinden, wirkt das, was vor zehn Jahren zu einem der größten Unglücke auf einem Event in Deutschland führte, umso surrealer.

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