„Dein Cloudgänger weiß mehr, als dir lieb ist.“Douglas Coupland erklärt das Internet

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Neulich in der kanadischen Botschaft in Berlin: Douglas Coupland über Lacoste in Peking, Katzen-GIFs in Tibet und Champignons in Vancouver. Marshall McLuhan hätte es gefallen.

In der kanadischen Botschaft am repräsentativen Berliner Potsdamer Platz herrscht skandinavisches Understatement. Helles Holz, unbequeme Stühle, dicke Mäntel. Neben mir sitzt eine Künstlerin - sagt sie selbst -, die eigentlich gar nicht hier sein dürfte - sagt sie gleich danach -, weil sie doch die alte Ausstellung in Tokio abbauen und die neue in Potsdam aufbauen müsse, aber das sei ja nun nichts geworden. Vor allem das mit Tokio, aber dann gerät der Monolog ins Stocken, weil die beiden Englisch-Lehrerinnen in der Reihe vor uns die Klassenarbeiten der 10. Klasse diskutieren: Willkommen im Marshall McLuhan Salon.

Es ist Transmediale in der Hauptstadt und da geht es in der kanadischen Botschaft rund. Immer. Die größte Sammlung von McLuhan-Memorabilia außerhalb von Kanada gäbe es hier zu bewundern, sagt Madame Ambassador, Marie Gervais-Vidricaire, in ihrem Grußwort gleich zu Beginn. Das passt doch wie Arsch auf Eimer, denkt Kristoffer Gansing, Transmediale-Kurator, gleich danach. Medientheorie! Multimedia! Global village, baby! Beide können das Wort digital nicht richtig aussprechen im Englischen. Kein Problem, denn dann kommt Doug.

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Douglas Coupland, Jahrgang 1961, hat mittlerweile 13 Romane auf dem Buckel. Und trägt daran, an diesem Abend zumindest, genauso schwer wie Dan Haggerty im Vorspann von Der Mann in den Bergen, als er mit dem Bärenbaby die Klippe hochklettert. Er wirkt müde, ein wenig zerstreut, und wenn Coupland ein Computer wäre, dann wäre er während seines Vortrags vier Mal abgestürzt. Immer wieder bricht er Sätze ab, verliert den Faden. Er nennt das visual strokes. Würde ihm ständig passieren. Keine Sorge. Und entschuldigt sich für too much information. Auch hätte er bei Lesungen immer einen trockenen Mund. Vor Publikum und wenn er am Flughafen durch den Zoll muss. Sonst eigentlich nie. Blöd, irgendwie, denn beides macht er oft. Und dann wieder: „Too much information, I know. Let it go, Doug. Sorry, Berlin, Madame Ambassador.” Übel nimmt es ihm niemand ihm randvollen Saal (“Das ist ja wie ein Abitreffen in der Turnhalle hier!“), das Nuscheln schon eher.

Aber selbst das passt zu Coupland, dem Erfinder der Generation X, Titel seines ersten Romans 1991, der eigentlich wie Breat Easton Ellis‘ Frühwerk minus der Gewalt funktionierte. Und noch besser zum Thema seines Vortrages (“Space Junk“), das Coupland professionell links liegen lässt und häppchenweise, Anekdote um Anekdote, Kurzgeschichtenkonzentrat um Kurzgeschichtenkonzentrat, die digitale Verwirrung des Alltags vor den Zuhörerinnen und Zuhörern ausrollt. Und bei dieser Verwirrung ist er dann wieder ganz bei Marshall McLuhan. 2009 schrieb er eine Biografie über ihn: „Der Lektor ist schuld, ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, weil ich rein gar nichts wusste über McLuhan außer den Klischees, die man eben so kennt. Aber er war beharrlich und sagte immer wieder, ich sei doch die McLuhan‘sche Wiedergeburt. Das fand ich interessant.“

We are a smupid generation. Smart and stupid at the same time.

Das Nuscheln also. Das macht Couplands Vortrag irgendwie unnahbar, neblig, rauschhaft over the top und veranschaulicht so - bewusst oder unbewusst - die Überforderung der Menschen, über die er schreibt: über uns alle. Wie ein schlecht eingestelltes Kurzwellenradio, ein unbekannter Sender, der Sprecher hat Schnupfen, es rauscht beharrlich und es fühlt sich gut an. Ganz Coupland, ganz McLuhan.

Coupland hat keine Lösungen parat. Hatte er noch nie. Will er auch gar nicht. Denn er schreibt nicht über Phänomene, schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger. Coupland schreibt über Menschen, die mit der zunehmenden Technisierung und Globalisierung und Internetisierung einfach umgehen. Weil sich das Leben am Ende eben doch um größere Dinge dreht als Google. Bzw. kleinere Dinge, aber das ist oft ja sowieso das Gleiche. Coupland erkennt die Folgen dieser Phänomene und schreibt genau die auf. Das Alltägliche der smupid Generation. „Das sind solche Worte, die dann aus mir rauspurzeln. Wir waren noch nie so smart wie heute. Wir waren aber auch noch nie so dumm.“

Und, ja, das ist plakativ, das ist auch durchschaubar und grell und ein bisschen billig, aber am Ende doch besser, deeper und langlebiger als jeder Schirrmacher.

Globalisierung ist für Coupland, wenn er auf dem Pekinger Flughafen ein Lacoste-Hemd kauft, das einzige Lacoste-Hemd in ganz China, das echt ist. Globalisierung ist für Coupland, wenn ein tibetanischer Bauer Internet bekommt und nicht auf yak.com Tipps für die Aufzucht von Jungtieren sucht, sondern bei Youporn landet und das auch besser findet als yak.com. Gibt es eigentlich Yak-GIFs? Und warum gibt es im Supermarkt um die Ecke heute 30 Sorten Champignons und nich mehr nur die eine wie früher?

Und dann kommt Todd.

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Douglas Coupland, 2005 in seiner Heimat Vancouver.

Coupland wurde 1961 auf einem Militärstützpunkt in Deutschland geboren und wuchs in Vancouver, Kanada, auf. 1991 veröffentlichte er seinen ersten Roman „Generation X“. Mittlerweile hat er 13 Romane, Kurzgeschichten-Sammlungen, Drehbücher und zahlreiche Sachbücher veröffentlicht, u.a. eine Biografie über Marshall McLuhan (2009). Sein Roman „jPod“ wurde als Fernsehserie adaptiert, Coupland führte Regie. Er hat Kunst mit Schwerpunkt Bildhauerei studiert und ist neben dem Schreiben als bildender Künstler aktiv.

Todd ist das Internet. Bzw. eine App, die sich jeder installieren kann. Auf dem Smartphone, auf dem Computer, bald auch anderswo. Todd Pro ist in Arbeit. Todd, so Coupland, ist einer der drei schlimmsten Vornamen, die man im Anglo-Amerikanischen haben kann. Und reimt sich das im Deutschen nicht auf irgendwie auf Tod? Todd also ist die große Metapher des Abends. Weiß erst viel, dann alles, schließlich mehr als man selbst und über einen selbst. Todd ist unser Cloudgänger, der smarte Doppelgänger in der Wolke, die Coupland übrigens als extremst langweilig empfindet („Brad Pitt könnte nicht die Hauptrolle spielen in der Verfilmung.“). Und als Todd Gegenstand der Lesung wird, merkt man langsam, wie Coupland von Anfang seine so zufällig wirkenden Textfragmente und Anekdoten unwiderruflich miteinander verzahnt hat, jeder noch so lapidar hingeworfene Halbsatz („Here's another thought ...“) tatsächlich alles andere als lapidar war, sondern im Gegenteil ein wichtiges Mosaik aus Todds, also unserem Gehirn, unserem diffusen Pool aus Erinnerungen, unserem ganz persönlichen Internet. Todd ist nicht böse. Niemals würde Coupland soweit gehen. Aber Todd ist irgendwie uncool und hat auch kein wirkliches Interesse an uns („He'll dump you anytime soon.“). Aber das ist auch nicht weiter schlimm, denn wenn Todd keine Lust mehr hat, kommt ein anderer Todd und alles geht wieder von vorne los.

Das ist keine Analyse unserer Welt in Zeiten von Big Data. Analytisches Denken sei sowieso nicht seine Stärke, sagt er. Die Erinnerungen machten ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Zum Glück. Denn wie Coupland das große Ganze in seiner ganzen Ernsthaftigkeit immer wieder auf alltägliche Rituale herunterbricht und damit auch den Schleier des Abstrakten wegwischt, macht ihn zu einer starken und wichtigen Stimme im digitalen Kuddelmuddel. Egal ob er nuschelt oder nicht. Denn eigentlich, sagt er, finde er die Zukunft nach wie vor toll. Viel toller als noch vor 20 Jahren, als ihm regelmäßig schlecht wurde bei SciFi-Filmen, weil da alles so fürchterlich dystopisch gewesen sei und grau und migränig. Und, mal ehrlich, die Gegenwart sei doch immer besser als die Vergangenheit.

Am Ende dann, draußen im Foyer wird schon der Rotwein entkorkt, erzählt Coupland eine Geschichte, die sich nach dem Massaker an der Columbine High School so zugetragen haben soll. Als das FBI den Raum fand, in dem alle eingesammelten Handys der Schüler auf Tischen lagen und wie wild klingelten. Das soll geklungen haben wie ein Vogelschwarm im Regenwald und sei irgendwie hoffnungsvoll gewesen. Es wäre doch toll, wenn wir das jetzt gemeinsam auch machen würden. Uns hier im Saal alle gegenseitig anrufen. Und so summt die kanadische Botschaft. Alle lächeln. Und Coupland verschwindet von der Bühne, sein iPhone in der Hand. Das muss doch getwittert werden.

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