Soldaten im NebelBerlinale 2019: „Monos“ von Alejandro Landes

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Ein sinnlicher Film mit schalem Beigeschmack: In „Monos“ zeigt der in Kolumbien aufgewachsene Regisseurs Alejandro Landes den Zerfall einer paramilitärischen Einheit im südamerikanischen Dschungel und aktualisiert angestaubte Motive mittels zeitgemäßer Bildsprache.

Es beginnt im Nebel einer kolumbianischen Hochebene: Ein paar Jugendliche spielen Fußball mit verbundenen Augen. Sie trainieren so die akustische Vermessung des Raums. Das ist eine passende Anfangssequenz für einen Film, dessen erstes Anliegen darin besteht, die Sinne des Publikums maximal anzuspitzen. Für die Protagonist*innen des Films ist diese Sinnesschärfung jedoch eine Frage des Überlebens: Das blinde Ballspiel ist Teil ihrer Ausbildung zu einer paramilitärischen Einheit. Ihre Mitglieder sind jung, schwer bewaffnet und rufen sich mit Kampfnamen wie Rambo, Boom Boom oder Dog. Ihre Disziplinierung findet vor Panoramen im Halblicht statt, man sieht ihnen beim täglichen Exerzieren zu, aber auch beim nächtlichen über die Stränge schlagen. Außerdem hält die Truppe eine Amerikanerin als Geisel. Über den Grund der Geiselnahme erfährt man allerdings ebensowenig wie über den Zweck oder die politische Zugehörigkeit dieser Einheit. Es könnte dies alles nur eine Versuchsanordnung im Surrealen sein. Doch dann erfolgt sehr realer Angriff, der die Gruppe zum Rückzug in die Verborgenheit des tiefer gelegenen Dschungels zwingt, dem fast angestammten Reservoir eines Survival-Dramas.

Die bis ins Artifizielle changierende Farbgestaltung wirkt nicht nur sehr zeitgemäß, sie generiert einen Zustand des Un- oder wenigstens des Nicht-ganz-Wirklichen.

Statt seine Handlung in einen erklärenden Kontext zu betten, präsentiert sich Monos lieber als ästhetisches Erfahrungsgelände. Großen Anteil hat daran die Kameraarbeit von Jasper Wolf. Üppige Landschaftsgemälde und ausschweifende Fahrten verknüpfen sich zu einem düsteren Bilderstrom, der immer auch die Details im Blick behält. Das taktile Abtasten von Texturen beschert den Aufnahmen enorme haptische Qualität, und die bis ins Artifizielle changierende Farbgestaltung wirkt nicht nur sehr zeitgemäß, sie generiert auch einen Zustand des Un- oder wenigstens des Nicht-ganz-Wirklichen. Die tropische Vegetation erweist sich da als dankbares Sujet, oft aber heftet sich der Blick auch ans Profane: Selbst etwas Schlamm auf einer Plastikplane weiß zu betören. Der Score ist vergleichsweise reduziert, aber nicht minder wirkungsvoll: Mit digitalem Flackern versehene Streicher wechseln sich ab mit Flötenminiaturen und subtilen Drones, gelegentlich brausen auch noisige Soundscapes durch den Kinosaal. Mica Levi, deren Arbeiten für Filme wie Under The Skin oder Jackie schon gezeigt haben, wie modernes Scoring abseits von Jóhann-Jóhannsson-Bombast gelingen kann, hat diese Musk produziert.

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Neue Tonalität

Für ein ganze Weile scheint Monos wie ein in Hipster-Kino gewendeter Fiebertraum eines Regisseurs, dessen Aufwachsen von den kriegerischen Konflikten in Kolumbien begleitet wurde. Doch während man ästhetisierte Oberflächen bestaunt, streifen Rambo & Co durch den Urwald und beginnen sich auch untereinander zu bekriegen. Der Film zieht daraus eine neue Tonalität: Hierarchien und Führungsansprüche werden – meist nach strikt darwinistischen Prinzipien – neu verhandelt. Der Einsatz des Ernstfalls lässt die zivilisatorische Decke aufweichen, zuvor unterschwellige Gewalt bricht endgültig aus, die Gruppe zunehmend entzwei. Mit dieser dramaturgischen Verdichtung bekommt Monos allerdings auch einen Beigeschmack – mit leicht schalen Noten von William Goldings Lord Of The Flies.

Zwar widersteht Alejandro Landes der Versuchung, sein Drehbuch mit allzu psychologisierenden Beobachtungen oder moralisierenden Rückschlüssen anzudicken, wohl aber füttert er den Assoziationsapparat seiner Zuschauer*innen: Schließlich hat der in Monos aufgerufene Konnex zwischen Natur, Krieg und menschlichem Verhalten eine gewisse Tradition in Literatur- und Filmgeschichte. Man könnte sich auch an Werner Herzog erinnern und die berühmt gewordenen Sequenz aus dem Dokumentarfilm Burden Of Dreams, in der Herzog am Rande der Dreharbeiten zu Fitzcarraldo über die Gewalttätigkeit des Dschungels referierte: „I would see fornication and asphyxiation and choking and fighting for survival and growing and just rotting away. (…) It’s a land that god - if he exists - has created in anger“. Monos benutzt diesen Urwald als Kulisse, um letztlich die Existenz einer urtümlichen Natur des Menschen zu behaupten, die irgendwie animalisch und violent ist. Das wirkt dann angesichts der vielen Filme, die diese (wissenschaftlich mindestens strittige) Figur in der Vergangenheit durchgespielt haben, doch einigermaßen angestaubt.
Allerdings hat sie selten so gut ausgesehen wie in Monos.

Monos
Kolumbien, Argentinien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Deutschland, Uruguay, USA 2019

Regie: Alejandro Landes
Mit: Julianne Nicholson, Moisés Arias, Sofía Buenaventura, Karen Quintero, Laura Castrillón u.a.

Screenings während der Berlinale:
So, 10.02., 20 Uhr – International
Mo, 11.02., 12 Uhr – CinemaxX 7
Di, 12.02., 17:30 Uhr – Cubix 7
Do, 14.02., 22:30 Uhr – CinemaxX 7

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