Review: Apple AirPodsPopelige Nöpsis als Technikwunder

Apple AirPods lead

Doch keine Vapourware: Kurz vor Weihnachten stellt Apple die ersten eigenen drahtlosen Ohrhörer in die Regale.

Sollte mir irgendwann mal ein leicht angetüterter Tim Cook an der Bar begegnen: Ich hätte genau eine Frage an ihn. Nicht zu irgendwelchen Details des übernächsten iPhones, nicht zum autonom fahrenden Auto, nicht zu neuen iPads oder Macs. Ich würde von ihm gerne wissen, wieviele Milliarden Ohrhörer Apple seit 2001 hergestellt hat. Nicht das iPhone ist Apples erfolgreichstes Produkt, sondern genau diese Ohrstöpsel, die damals mit dem ersten iPod das Licht der Welt erblickten und seitdem jedem Musikplayer und jedem Mobiltelefon aus Cupertino beiliegen. Kein Statussymbol per se, eher ein klarer Hinweis darauf, dass man genau dies in der Tasche bei sich trägt. Tausendfach kopiert und bei aller Trashigkeit gar keine üblen Kopfhörer, gemessen an den wenigen Cents, die ihre Herstellung verschlingen. Ein zeitloses Apple-Produkt, bislang nur einmal neu designt: 2012 wurde aus den namenlosen InEars die EarPods. Und seit 2016 gibt es die – passend zu den aktuellen iPhones – nicht nur mit Klinkenstecker, sondern auch mit Lightning-Anschluss.

Aber Apple hat ja eigentlich überhaupt keinen Bock mehr auf Kabel. So wurden im September – auf eben jener iPhone-Party – auch die AirPods angekündigt: EarPods in drahtlos. Will sagen: komplett ohne Kabel. Beide Ohrhörer verbinden sich autark mit dem iPhone und empfangen das Signal über zwei parallele Bluetooth-Verbindungen. Ein Konzept, von dem die ganze Industrie träumt. Vor allem aber ein Konzept, das bislang niemand wirklich überzeugend umsetzen konnte. An irgendetwas scheitert es immer. An der Akku-Laufzeit, an der verlässlichen Verbindung zwischen Telefon und Ohrstücken, am synchronen Betrieb oder einfach nur am Klang. Dabei kommt das Startup Bragi genauso schlecht weg wie der Platzhirsch Samsung.

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Diesem Problem will Apple mit dem W1-Chip begegnen, einer Art in Silizium gegossenen Bluetooth-Zahnfee, die alles besser macht. Batterielaufzeit? Check. Sound? Check. Verbindungsstabilität? Check. Einfaches Pairing? Check. Dass dieser Chip einen tatsächlichen positiven Effekt hat, ließ sich bereits bei den neuen Kopfhörern von Beats by Dre feststellen. Denn kurioserweise kam der W1-Chip hier zuerst zum Einsatz. Die AirPods sollten ursprünglich im Oktober in den Handel kommen. Wurde aber nichts. Warum? Weiß niemand. Jetzt, kurz vor knapp vor Weihnachten und auch nur in sehr geringen Stückzahlen, werden die AirPods ausgeliefert.

Im Bluetooth-Glashaus

Was mussten die AirPods schon alles aushalten. Sehen doch aus wie Putzköpfe für elektrische Zahnbürsten, wenn man sie im Ohr hat. Und das kleine Case, in dem die Ohrhörer magnetisch einrasten und wieder aufgeladen werden, das sei doch die Jony Ive’sche Interpretation eines Zahnseide-Kanisters. Wer im Bluetooth-Glashaus sitzt sollte nicht mit Funkwellen-Steinen werfen. Denn tatsächlich ist Apple mit den AirPods etwas Bemerkenswertes gelungen. Wenn einem die neuen Ohrhörer denn passen.

Womit haben wir es hier also genau zu tun? Für 180 Euro – viel Geld, klar, aber: „The Dash“ von Bragi kosten 300 Euro, die „Gear IconX“ von Samsung auch noch 230 Euro –, für 180 Euro bekommt man die AirPods, das Case zum Transport und Aufladen und ein Lightning-Kabel. Die AirPods haben die exakt gleichen Abmaße und das gleiche Design wie die kabelgebundenen Vorgänger, mit dem Unterschied, dass dort, wo früher das Kabel seine Reise gen Telefon begann, bei den AirPods eine silber abgesetzte Öffnung prankt. Dort sind die Mikrofone untergebracht, dort docken sich im Lade-Case auch an den Strom an. Dieser „Hals“ der AirPods ist einen Tick länger, was nicht weiter verwundert, denn irgendwo muss ja auch die Batterie untergebracht werden. Öffnet man das Case zum ersten Mal, poppt auf dem iPhone sofort – das dauert unter einer Sekunde – ein Dialog auf. AirPods gefunden. Einmal drücken, schon sind sie mit dem Telefon verbunden. Einen so schnellen Verbindungsaufbau schafft sonst kein Hersteller. Bonus: Die AirPods werden in der iCloud als Gerät abgelegt, sind also sofort auch auf dem iPad und Mac einsetzbar. Praktisch.

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Der Näherungssensor arbeitet meistens einwandfrei und verlässlicher als ähnliche Technik bei Produkten von Mitbewerbern.

Als praktisch erweist sich auch das Lade-Case. Das ist zwar aus glänzend weißem Kunststoff – gar nicht mehr Apple-like, eigentlich – liegt dank des integrierten Akku aber genau richtig schwer und wertig in der Hand, segelt also nicht so leicht durch die Luft wie das Zahnseide-Pendant. Das magnetische Arretieren der beiden AirPods im Case, das ist etwas, was Apple natürlich nicht erfunden hat. Den beiden Teilchen dabei zuzusehen, wie sie praktisch automatisch in ihre Strom-Oase eintauchen und die Lade-LED fröhlich blinkt, ist einer dieser seltenen hellen Momente in Gadget-City, die man in der Vergangenheit oft schmerzlich vermisst hat. Apple verspricht fünf Stunden Laufzeit, was mehr als realistisch scheint, in Verbindung mit dem Case und dem dort integrierten Akku werden 24 Stunden angegeben. Das Aufladen der AirPods geht rasend schnell. Ein paar Minuten im Case und schon kann man die Ohrhörer schon wieder lange einklinken. Wenn man das tut, startet die Wiedergabe automatisch, nimmt man nur einen aus dem Ohr, stoppt das Playback: Der Näherungssensor, der das ermöglicht, arbeitet meistens einwandfrei und immer um ein vieles verlässlicher als ähnliche Technik bei Produkten von Mitbewerbern.

Echte Bedienung? Fehlanzeige

Und wie klingen die AirPods? Ziemlich genau so wie die herkömmlichen EarPods. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte, dass das Stereobild ein bisschen breiter ist, die Musik dadurch einen Tick räumlicher wirkt. Hier scheint ein bescheidenes DSP-Tuning am Werk zu sein. Wunder von konzertsaalgroßen Ausmaßen darf man von den AirPods nicht erwarten, wem die Kabelstöpsel bislang ausreichten, wird hier aber nicht enttäuscht, sondern vielmehr direkt abgeholt. Der Sound von Apples InEars war immer ok, meistens um Welten besser als der von anderen Teilen, die umsonst Telefonen beiliegen. Der feine Unterschied ist: Die AirPods gibt es nicht als Dreingabe, sondern müssen teuer bezahlt werden. Ob man das investieren will, sei jedem selbst überlassen. Beeindruckend und irgendwie future-technisch nicht nachvollziehbar ist die Tatsache, das diese popeligen Nöpsis tatsächlich keinerlei Bluetooth-Dropouts produzieren. Bei großen Monstern wie dem Beats Solo 3 Wireless kann man sich das mit viel Funkstrom ja nach schön reden, aber wie klein zur Hölle soll dieser W1-Chip denn sein? #onlyapple, nur dieses Mal im positiven Sinne.

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Wer sich nun fragt: Schön und gut, aber wie bediene ich die Teile denn?, dem sei gesagt: eigentlich gar nicht. Der schwierigste Aspekt der AirPods. Zwar lässt sich selber bestimmen, ob ein zweifaches Tippen nun Siri aktiviert oder die Musik pausiert/wieder startet: Das war es dann aber auch. Lauter oder leiser? Das geht ausschließlich mit Siri. Und diese Befehle (Mach mal lauter!) steuern die Lautstärke auch nur in homöopathischen Abstufungen nach oben oder unten. Da ist man deutlich besser beraten, in die Tasche zu greifen, die Lautstärkewippe des Telefons zu ertasten und selbst Hand anzulegen.

Wie man das besser regeln könnte? Da habe ich auch nichts anzubieten. Mit einer Wischgeste bestimmt nicht, auf deren nicht überzeugende Praktikabilität habe ich hier erst kürzlich hingewiesen, und zwar nicht zum ersten Mal. Vielleicht lässt sich dieses offenkundige Problem einfach nicht überzeugend lösen. Das Gute an dieser suboptimalen Situation ist ja, dass das iPhone oder der Rechner ob der Bluetooth-Reichweite nie wirklich außer Reichweite ist und die manuelle Anpassung so eigentlich nie ein Problem sein sollte.

Problemzone Ohr

Mit den AirPods legt Apple schon einen amtlichen Slammer vor. Wenn sie einem denn passen. Ich hatte diese Einschränkung weiter oben bereits in den Text eingewoben, denn die AirPods sind keine InEars, sondern schlichte Ohrhörer. Ob der generellen Passform und auch des glänzenden und somit eher rutschigen Kunststoffs, finden die AirPods, genau wie ihre Vorgänger, die EarPods, nicht in allen Ohren den nötigen Halt. Zum Beispiel in meinen. Im Vergleich zur kabelgebundenen Version sitzen die AirPods bei mir einen Tick besser, weil der Kabelzug wegfällt. Am Schreibtisch kann ich mich also überhaupt nicht beklagen. Da kann man noch so viel headbangen, die Teile sitzen.

Problematisch wird es eher draußen, beim Gehen. Gerade jetzt im Winter, unter der Mütze, flutschen die AirPods dann doch oft – bei mir zu oft – aus der perfekten Position, der Sound wird dünner, der Bass geht stiften und irgendwann – auch viel zu oft – muss ich die Dinger nachjustieren. Was oft genug Siri aktiviert. Und im Zweifelsfall auch bedeuten könnte, dass sie mir einfach aus den Ohren fallen. Bei schnellen unbedachten Bewegungen, im Gedränge. Hmmpfff. Aber meine Ohren sind nicht jedermanns oder jederfraus Ohren. Wer mit den EarPods gut zurechtkommt, wird die AirPods lieben. Ich gaffere mir die Ohren oder versuche es vielleicht mal hiermit. Denn auch wenn die AirPods meinen kabelgebundenen OverEar-Kopfhörer (mit Lightning-Adapter, motherfucker) nie ersetzen werden: Diese kleinen Nöpsis sind verdammt noch mal ein beeindruckendes Stück Technik.

Mehr zu den AirPods bei Apple. Die ersten Vorbestellungen werden morgen ausgeliefert, auch in den Apple Store sind dann (vielleicht) ein paar Exemplare verfügbar, die aktuelle Lieferfrist liegt bei sechs Wochen.

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