Rewind: Klassiker, neu gehörtPortishead – Third (2008)

Rewind Portishead Third Banner

Am 29. April 2008 erschien „Third“, das dritte Album von Portishead. Die Band von Beth Gibbons, Geoff Barrow und Adrian Utley stand bis zu diesem Zeitpunkt für einen zwar eigenen Sound-Entwurf, wurde aber dennoch um dem TripHop-Marker verhandelt: Die schweren Beats des Debütalbums „Dummy“ einerseits und die Homebase Bristol andererseits waren ein gefundenes Fressen für die Musikpresse. Doch mit dem „gothic hip-hop“ (Rolling Stone) der frühen Tage der Band hat „Third“ rein gar nichts zu tun. Für Ji-Hun Kim ist das Album ein Meisterwerk. Thaddeus Herrmann kannte das Album bis zum Echtzeit-Gespräch gar nicht, behauptet er zumindest. Zeit für eine neue Folge von „Rewind“!

Ji-Hun: Thaddi, wieso kennst du diese Platte nicht?

Thaddi: Das ist eine sehr gute Frage, die ich tatsächlich nicht beantworten kann. Meiner Erinnerung nach war das erste Portishead-Album, also „Dummy“, nach Release 1994 absoluter Konsens. Auch bei mir in der Gang. Die Hits, Bristol aus einer anderen Perspektive, aber doch mit dem Hype, den die Stadt schon damals hatte. Das ging also klar. Die Band war ja auch irgendwie mysteriös. Anders als Massive Attack zwar, aber ähnlich schwer zu greifen. So personalities. Aber wie es eben manchmal so ist: Konsens-Platten nudeln sich ab, und ich verlor irgendwann das Interesse. Mir war das auch auf Dauer zu weinerlich. Ich ertrug Beth Gibbons nicht mehr. Das wird das Hauptproblem gewesen sein. Wenn selbst ich es als weinerlich empfand … das macht bei mir ja eigentlich alle Türen auf. Ji-Hun, du sagtest gerade, dieses Album hier sei geradezu perfekt. Erklär doch mal.

Ji-Hun: Weil es eben unperfekt ist. Eigentlich wollte ich dich UK-Onkel erstmal fragen, was TripHop überhaupt ist, wo Portishead ja auch dazugezählt wurden. War am Ende dann aber nur eine lokale Sache, weil Bristol, oder? Tricky war ja irgendwie auch Teil der Sache, was ich auch nie verstanden habe. „Third“ ist ein Band-Album, wie es deeper nicht sein kann. Ich denke 15 Jahre zurück, und das war ja eine Zeit, wo man bei UK eher an Dubstep und Plastic People gedacht hat. Hier gibt es eine sehr einzigartige Stimmung, verschroben, filmisch und intensives Songwriting, was man der Band in den 90ern wahrscheinlich nie zugestanden hätte. Sie wächst aber über Jahre, als ich sie das erste Mal gehört habe, da haben wir ja schon zusammen gearbeitet. Damals habe ich sie nicht so recht verstanden. Heute würde ich aber sagen, dass es wahrscheinlich das beste Album der Band und auch eines der besten Alben des Jahrzehnts ist. So gut, dass sich die Band wohl nicht „traute“, was Neues zu machen seitdem.

Thaddi: Diese Haltung ist ja angenehm konsequent. Nach TripHop klingen die Stücke hier tatsächlich gar nicht, wobei der Begriff – du hast vollkommen recht – ja eh nur heiße Luft war und ist. Downtempo, ja. Aber sonst? War es die Arbeit mit Breaks, die im Unterschied zu Drum and Bass eben nicht auf doppelter sondern auch halber Geschwindigkeit liefen? War es das vieles vereinnahmende Sound-Design, also die Genre-Offenheit, die Idee, den Sampler nochmal auf andere Art und Weise zu verwenden? Oder doch der eher offensichtliche Anschluss an die Pop-Musik? Ich weiß es nicht. Die Schwere der Beats von „Dummy“ erinnere ich jedoch genau und auch als stilistischen Taktgeber. Das war ja auch schon sehr gut. Ich folge deiner grundsätzlichen Analyse von „Third“ total. Was wenige Jahre zuvor vor allem nach Studio klang, ist hier Band-basiert, offener. Nicht so sehr im Instrumentarium, aber doch in den Arrangements und weiteren Strukturen. Mir kommen selbst jetzt gerade die Stücke noch vollkommen unbekannt vor. Ich höre die Ambition, den Drang, vielleicht auch die Auseinandersetzungen über die Produktion, das Ruppige in der doch über weite Strecken recht offenkundigen Schönheit. Liege ich damit ungefähr richtig?

Ji-Hun: Gibt ja kein Richtig oder Falsch. Aber nochmal kurz zum TripHop. Das „Problem“ bei Portishead war bestimmt die Nähe zur DJ- und Clubkultur. Turntables waren ja das heiße Ding, und Geoff Rowley hat auf den Tracks bei „Dummy“ auch viel gescratcht und gecuttet. Der eigentliche Trip findet meiner Meinung nach aber hier auf „Third“ statt. Der Sound ist gewissermaßen retro. Manchmal ein bisschen Borderline-Morricone, was direkt Körner auf Zelluloid und andere Assoziationen hervorruft. Ich denke, das Ganze ist auch eine gute Arbeit zum Thema drittes Album an sich. Ich finde ja noch immer, dass das eigentlich die wesentliche Frage bei den meisten Künstler:innen ist. Was kann das dritte Album und welche Rolle spielt das? Die Atmosphäre, die hier vorgegeben wird, muss man aber eingehen wollen. Hier gibt es keine Anbiederungen an flockige Beats, zu denen man wippen kann. Das ist aber auch das, was mich so überrascht hat und beim diesmaligen Hören auch wieder sehr berührt.

Thaddi: Das Stichwort DJ-Kultur ist wichtig. Denn auch wenn die Beats hier teilweise ziemlich 1:1 nach früheren Tracks klingen: Das Knistern fehlt, der offensichtliche Hinweis auf das Sampling also, oder zumindest die nachträglich aufgetragene Kompatibilität oder Kredibilität sozusagen. Was witzig ist, denn Morricone passt natürlich auch dazu perfekt. Ich nehme „Third“ tatsächlich als viel offener wahr als die früheren Produktionen der Band. Kann man das eigentlich sagen? Band? Ist Portishead eine Band? Was ich aber auch höre, ist vielleicht das, was mich aus heutiger Perspektive immer mehr hat Abstand nehmen lassen von der Gruppe: Es ist ihre Stimme. Leider. Die ist so toll, sie setzt sie aber auch so speziell ein, dass mir das einfach zu viel wurde. Ich konnte Beth Gibbons im Kopf nicht mehr verschubladen. Zu exhaliert, zu … ich weiß auch nicht recht: Zu bewusst mit sich selbst spielend. Sie ist eine wunderbare Sängerin und Künstlerin, aber irgendwie: Ich kam ja auch mit ihrer Górecki-Interpretation nicht so wirklich hin, da hat sie sich meiner Meinung nach ganz ordentlich verhoben. Egal. Musikalisch finde ich dieses Album hier jedoch tatsächlich wuchtig und großartig. Ich gehe im Kopf die dritten Alben von einigen Bands durch, die mir viel bedeuten: Da sind die Qualitäten doch sehr unterschiedlich. Das hier aber hat Größe. Weil die Produktion nicht einengt. Das ist wie eine zeitlupige Achterbahnfahrt mit zahlreichen Abzweigungen, die ich so nicht unbedingt erwartet hätte. Schon sehr gut.

Ji-Hun: Es ist natürlich eine Band, was man an den Strukturen erkennt, die organisch und unorthodox sind und auch beim 20. Hören noch immer überraschen. Zur Stimme: Es ist richtig, dass sie distanziert und kalt ist – was ich aber spannend finde, weil es eben keine Stimme einer Märchentante ist, zu der man immer wieder mit Anlauf zurück rennt. Hier geht es dann doch um die eigentlichen Abgründe der Menschheit, klingt natürlich großspurig, aber das ist ja schwierig zu kommunizieren, wenn man es eigentlich wirklich ernst meint. Dass eine große Stimme auch bewusst das Dissonante sucht, sich am eigenen Mythos abarbeitet, das hat Björk ja vielleicht auch ähnlich gemacht. Aber eben keine Madonna.

Thaddi: Das stimmt natürlich. Am Ende geht es darum, ob ich das verarbeiten kann oder nicht. Vor allem auf Strecke. Ich habe Jahre gebraucht, um die Stimme von Elizabeth Fraser wertschätzen zu können und dann davon abhängig zu werden. Bei Diamanda Galas renne ich bis heute weg. Unfairer Vergleich vielleicht, aber egal. Continue. Wie war das mit Madonna?

Ji-Hun: Gibt keinen Twist. Sondern einfach Künstler:innen, die sich selbst würdevoll dekonstruieren können und andere eben nicht. Madonna kann vielleicht nur Madonna, wobei ich das Fass jetzt eigentlich ungern aufmachen möchte bzw. kann. Ich denke eher, dass das eine Auseinandersetzung mit etwas Größerem ist, als das eigene Image oder Produkt. Es ist sehr britisch, finde ich. Diese Brüche, die ich auch von Broadcast kenne, das männliche Psychedelic-Rock-Ding auch neu zu erzählen, brüchig zu machen und das krass Reduzierte, Krautige. Auch, wie Streicher eingesetzt werden, eben selten orchestral, sondern eher wie ein Sinus-Ton, ach, weiß nicht, das beschäftigt mich schon emotional.

Thaddi: Ist das Brüchige, von dem du berichtest, ein Schritt auf einem vorzeitig beendeten gemeinsamen Weg der Musiker:innen von Portishead? Wäre das vierte Album der Abriss gewesen? Ich frage das aus ehrlichem Interesse, du kennst die Teilnehmenden besser. Weil nach Zerstörung klingt „Third“ für mich nicht.

Ji-Hun: Zwischen dem zweiten Album „Portishead“ und „Third“ lagen neun Jahre, und nun warten wir oder ich seit 15 Jahren auf ein neues Album. Ich kenne natürlich niemanden von denen, und mir würde es wahrscheinlich Angst machen, mit Beth Gibbons Tee trinken zu müssen. Ja, die Vorstellung macht mir in der Tat Angst. Frag nicht warum. Die Band ist ja irgendwie aktiv und es ist so gesehen auch kein Abriss. Aber wenn man ein Meisterwerk, ich bezeichne das mal so, geschaffen hat und die Welt da wie der Ochs vorm Berg steht, würde ich mir auch zumindest Zeit nehmen. Geht nicht darum, den beleidigten Genius zu spielen, aber das ist hier natürlich fordernd und fordert glaube ich auch ein bisschen Willen und Intellekt. Was macht man dann? Das ist vielleicht die Frage. Wieder kuschelige Kiffer-Beats, das können andere Bands dann besser. Rolling Stones, Coldplay, ach weiß der Hausmeister …

Thaddi: Korrekt. Und wer weiß: Vielleicht sitzen sie ja an neuem Material und treten damit im kommenden Jahr dem vermeintlichen TripHop-Revival in den Hintern. Das wäre doch was.

Ji-Hun: Wie wird dieses Revival aussehen? „Café del Mar“ soll ja auch wieder angesagt sein.

Thaddi: Zunächst wird es ganz zeitgemäß sehr viele Reissues geben. So schön gemachte, mit Doppel-Klappcover und extra 10"s dabei. Universal dreht eine Bristol-Doku, setzt mit Live Nation ein großes Festival auf, bei dem die Gagen einfach zu verlockend sind, um sie nicht mitzunehmen. Ausgang offen. Aber so könnte es schon laufen. Und ein Jahr später läuft dann bei arte eine weitere Doku über die vergessenen Held:innen der „Szene“. The End.

Ji-Hun: Vielleicht bin ich zu Fanboy. Aber genau dabei werden Portishead wohl nicht mitmachen. Eher gehen die noch mit Bob Dylan auf Tour.

Andalusien: Hotspot für großartige Festivals (Werbung)Und das ist erst der Anfang

Plattenkritik: Helios – Espera (Ghostly International)Im Mondenschein