Plattenkritik: Bavaria - We‘ll Take A DiveJohn Tejadas neues Projekt ist mehr Band als alles andere

Bavaria-Album

Der kalifornische DJ und Produzent mit österreichischen Wurzeln ist nicht der klassische Dancefloor-Eigenbrötler, im Gegenteil. Wenn ihn im Studio nicht nur das Summen der Maschinen begleitet, sondern akustische Instrumente oder echte Menschen flankieren, dann geschieht Großes. So auch bei „Bavaria“, der neuen Supergroup mit Kimi Recor.

Man möchte da schon gerne mal dabei sein, wenn John Tejada in Los Angeles auf Start drückt. Der Meister der Maschinen. Ein Auskenner durch und durch. Vor allem mit Gefühl für den Dancefloor. So kennt man ihn. Als DJ mit beherrschten Bewegungen und einem ganz eigenen Swing im Nacken. Aber auch als Produzent, als Herrscher über seine ganz eigenen Beats, als Sammler von Patch-Kabeln, mit denen er aus den wieder zunehmend analogen Geräten, einer ganzen Armee kleiner summender und brummender Bienenstöcke, genau die Bassline und die Melodie rausholt, die er benötigt, um dem mehr oder weniger ausdefinierten Genre Techno noch das i-Tüpfelchen Greatness aufzusetzen, dass uns immer wieder dazu verleitet, uns vor den Bassboxen zum Trocknen aufzuhängen.

John Tejada arbeitet gern allein (Vermutung), tut das aber nicht immer (Tatsache). Seine Live-Sets mit Arian Leviste sind legendäre Jams ohne Computer und vorbereitete Höhepunkte. Mit Jimmi Tamborello (Dntel, The Postal Service) verbindet ihn eine lange Freundschaft, nicht nur hinter dem Mischpult, und auch im mehr oder weniger klassischen Band-Format hat er bereits Erfahrungen gesammelt. Mit dem Japaner Takeshi Nishimoto hat er als I‘m Not A Gun diverse Alben aufgenommen, unsere tradierten Post-Rock-Erfahrungen auf den Kopf gestellt und als Drummer nicht nur technische Versiertheit, sondern vor allem ein allumfassendes Verständnis für den Groove unter Beweis gestellt. Sogar seiner Mutter hat er mit „Gira Gira“ einen Song auf den Leib geschneidert, der so in der Geschichte der elektronischen Musik bis heute einzigartig bleibt. Jetzt hat er sich mit Kimi Recor zusammengetan. Bavaria heißt das gemeinsame Projekt, und das klingt so.

Bavaria 02

Foto: Juan Mendez

Bavaria? Bayern? Ja! Kimi Recor kam mit ihrer Familie aus Bad Aibling nach Los Angeles, John Tejada mit seiner Mutter aus Wien. Ex-Pats, nur andersherum. So kennen sich beide schon seit langer Zeit und haben bereits einige Male zusammengearbeitet. 2004 sang Kimi erstmals auf einem Track von Tejada, auf seinem aktuellen Album „The Predicting Machine“ steuerte sie für das Stück „Stabilizer“ erneut ihre Stimme bei. Und zwischendrin? Traf man sich immer wieder mal und nahm Tracks auf. Wer jetzt wem letztendlich in den Hintern trat, um aus den Skizzen und Ideen ein Album zu destillieren, ist nicht überliefert, aber auch gar nicht wichtig. Wichtiger ist, dass es passierte und nun auf dem feinen Label n5MD aus Portland erschienen ist. Und endlich Tejadas Idee von Synthpop-artigem Songwriting auf LP-Länge zeigt. Könnte man zumindest denken, wenn der Eröffnungs-Track „We Break Through“ locker-flockig rein- und durchläuft. Ein fast schon hinterhältiges Täuschungsmanöver. Zum Glück, denn das ist nicht die eigentliche Geschichte, die man hier erzählen muss. „We‘ll Take A Dive“ ist ein sperriges, mitunter forderndes Album, das alle Beteiligten gleichberechtigt behandelt: Recor, Tejada und die Maschinen. Widmen wir uns zunächst letzteren.

Ein Album wie ein katholisches Hochamt. Großer Einzug, Nummer 257 aus dem Gotteslob mit allen Strophen, zwei Weihrauchfässer. Und mittendrin Recor und Tejada.

Tejada weiß, wie Synthesizer ticken. Kennt ihre dunkle Seite, ihre Ursuppe aus weißem Rauschen und scharfkantigen Filtern. Ihren Wunsch, so zu klingen wie eine heimatlose Lötstelle beim Trampen, bei der Flucht weg von der Elektroschrott-Sammelstelle. So klingt „Bavaria“. Immer mit einem klaren Blick auf den Dancefloor, auf unterschiedlichste Tempi, Stimmungen und Vorgaben. Catchy, mitreißend, und doch irritierend, immer einen kleinen Knüppel im Anschlag, damit das Voguing nicht zu glossy wird. Und Recor? Surft engelsgleich über diese Kraterlandschaft des Funk.

Bavaria 03

Foto: Juan Mendez

Alben wie „We'll Take A Dive“ sind selten geworden. Weil heute kaum noch jemand den Mut hat, wirklich so kategorisch ab- und einzutauchen. Der schmale Grat zwischen Experiment und Zugänglichkeit, Pop und whatever wird auf den hippen Hingucker- und Hinhörer-Labeln anders gedreht und entschieden. All das Klassische, das dieses Album bei allem Rumpeln ausmacht, ist andererorts so gut wie in Vergessenheit geraten. Track vs Song? Aktuell ist dieser Kampf verloren. Nicht so bei Recor und Tejada. Und nicht näher zu fassende Macht hält die Kompositionen zusammen, lässt die auf den ersten Blick eigentlich nicht zusammenpassenden Teile zu einem Kitt der Unendlichkeit werden, verleiht dem Album eine lange nicht mehr gehörte Würde und Stärke. So ist die Platte einerseits eine Erinnerungsmaschine. Recors Gesang hilft dabei. Mit großer, heller, natürlicher und unbefangener Stimme umschifft sie die Sägezahn-Miniaturen und den Ringmodulator-Porno, glättet, wo es zu glätten gilt, betont und verstärkt, wo es diesem Nachdruck bedarf. Eine feierliche Angelegenheit. Und so ist dieses Album fast wie ein katholisches Hochamt. Mit großem Einzug, der 257 aus dem Gotteslob mit allen Strophen und zwei Weihrauchfässern.

Andererseits ist „We'll Take A Dive“ aber auch ein Hoffnung machender Blick auf die Zukunft der Popmusik. Die gar nicht erst in ihren Strukturen hinterfragt und zerstört werden muss, sondern vielmehr darauf wartet, neu entdeckt zu werden.

Bavaria, We‘ll Take A Dive, ist auf n5MD erschienen.

John Tejada hat für Das Filter ein wundervolles Mixtape angefertigt.

Bavaria-Outro

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