Experimentelles Iran„Gate of Tehran“ öffnet die Tür in die moderne Musikszene des Landes

Gates of Tehran

Bon Baz. Alle Fotos: Presse/Veranstalter

Experimentalmusik aus der Islamischen Republik Iran? Gibt’s das? Ja, aber sowas von – und ein Festival im Silent Green Kulturquartier in Berlin-Wedding möchte diese spannende Szene dem deutschen Publikum zugänglich machen.

„Gate of Tehran“: Hinter dem Festival stecken das Teheraner Künstler*innenkollektiv „House #4“ und die in Berlin ansässigen iranisch-stämmigen Musiker von Langtunes, die auch unter dem Namen Lashes Partys überall in der Stadt ausrichten. House #4 veranstaltet schon seit mehreren Jahren in Teheran die halbjährlich stattfindenden „Days of Experimental Sounds”, und nachdem einer der Köpfe hinter dem Kollektiv, Peter Pirhosseinlou, in diesem Frühjahr auf einer Veranstaltung von Langtunes in der Loftus Hall auftrat, war die Idee geboren, das Festival auch mal nach Berlin zu holen.

Behrooz Moosavi ist einer der Organisator*innen. Vor einigen Jahren kam er mit seiner Band Langtunes nach Deutschland, denn hier waren sie beim Nürnberger Label Parvenue unter Vertrag. Vor zwei Jahren verschlug es ihn und seine Mitstreiter dann nach Berlin. Mit dem Festival wollen sie nun eine andere Seite des Irans zeigen, „die wahre Szene in Teheran”, wie er sagt. Filme wie Raving Iran zeigen nur einen Ausschnitt der Szene des Landes – durchaus auch einen realistischen, aber eben nur einen Ausschnitt. Dabei gebe es eben noch viel mehr: Nicht jedes Musikevent, auch nicht jedes elektronische Musikevent sei verboten. Tatsächlich hat das Berliner CTM-Festival diesen Sommer zum Beispiel mit dem Teheraner SET-Festival, einem etablierten Festival für Experimentalmusik, kollaboriert – und das ganz offiziell.

„Unsere Szene ist ganz anders”, erzählt Behrooz in Bezug auf „Raving Iran“. Im Umfeld von House #4, dem SET-Festival und seiner Peergroup wird eher mit traditionellen persischen Sounds und Instrumenten experimentiert. Es geht weniger um die Party an sich als darum, neue Ausdrucksformen zu finden, traditionelle Elemente und zeitgenössischen Sound zu verschmelzen. Mit dem „Gate of Tehran“-Festival möchten er und seine Kollegen eben diesen Sound und diese Szene zeigen: „Wir wollen die Leute, die dort im Land aktiv sind, die Stimmung und die Atmosphäre nach Berlin holen.” Was die Veranstaltung einzigartig machen soll, ist, dass sie komplett von Iranern organisiert wird, die auch wirklich im Land leben und die musikalische Landschaft dort prägen.

gate of tehran

Graustufen statt Schwarz-Weiß

„Es passiert so viel dort”, sagt Behrooz. Letzten Monat zum Beispiel habe er das Festival Tehran Annual Digital Art Exhibition besucht: „Vor zwei Jahren war es noch klein, es hat nur in einem Zelt stattgefunden – dieses Jahr war es so professionell und super organisiert, ich war begeistert! Wir fühlten uns total frei, die Musik zu spielen, die wir wollten, Musik, die du hier auch im Berghain oder so hören würdest.” Zwischen Verbot und Liberalisierung gibt es natürlich viele Graustufen. Besonders im Iran. „Es ist sehr schwierig, die Lage dort von außen zu verstehen. Gleichzeitig hört man natürlich die negativen Nachrichten. Es existiert alles gleichzeitig. Natürlich gibt es immer ein Risiko, aber trotzdem können wir unsere Kunst ausüben.” Auf offiziellen Festivals stehen zum Beispiel auch Frauen auf der Bühne, aber nicht als Solosängerinnen. In der Undergroundszene gibt es dann alles: Es passiere eben alles in einem anderen Format, erklärt der Iraner. Wo und wie die Grenzen verlaufen, ist aus der westlichen Warte oft schwierig zu verstehen. Da können die Artist Talks auf dem Festival für mehr Verständnis sorgen: An jedem der drei Festivaltage wird es die Möglichkeit geben, sich mit den Künstlern auch zu unterhalten und ihre Arbeitsbedingungen zu verstehen. Eine einzigartige Gelegenheit, jenseits der Klischees zu blicken und sich mit dem speziellen Sound der Stadt auseinanderzusetzen.

Denn den, so Behrooz, gibt es auf jeden Fall. Teheran und Berlin würden sich auf einen ähnlichen Sound zubewegen, meint er, Ideen und die Techniken sind vergleichbar. „Was aber den Sound im Iran einzigartig macht, ist, dass immer öfter aus traditioneller Musik, traditionellen Gesängen und Instrumenten gesampelt wird.“

Solche Techniken findet man immer wieder im Iran, diesen Mix westlicher Einflüsse mit traditioneller, uralter Ästhetik. Besucht man Teheran, fällt dies in der Architektur der Sechziger- und Siebziger-Jahre auf, wo brutalistische Betonarchitektur mit persischen Elementen verbunden wurde. Ähnliches also jetzt in der Musik. Allerdings ist dieses Interesse an den künstlerischen und ästhetischen Traditionen des Landes durchaus eher ein Phänomen der privilegierten Schicht – ähnlich wie Gentrifizierung im Westen, ist ein solches Interesse an alter Baustruktur oder Ästhetik jenen vorbehalten, die sich um materialistische Grundsicherung nicht mehr ganz so viele Gedanken machen müssen. Das hat erst einmal auch nichts mit einer Nähe zum Regime oder dem politischen System zutun, sondern mit soziokulturellen und sozioökonomischen Hintergründen. Behrooz deutet etwas Ähnliches an: „In intellektuellen Kreisen im Iran gilt traditionelle Musik, Kunst oder Kaligraphie zum Beispiel als cool.”

Freier Ausdruck unter konstantem Risiko

Das Festival „Gate of Tehran“ will diese ganz andere Seite des Landes zeigen, die zwar auch unter konstantem Risiko agiert – die Verhältnisse könnten sich ganz schnell wieder ändern –, aber die sich immerhin ein Stück weit frei ausdrücken kann. Jeden Tag gibt es tagsüber Talks, abends die Konzerte, mit einem anderen stilistischen Schwerpunkt jeden Tag: Freitag geht es um experimentellen Jazz – mit dem einzigen nicht-iranischen Künstler des Festivals, Peter Brötzmann, der in eine musikalische Konversation mit den eingeflogenen iranischen Künstlern eintreten soll. Am Samstag steht elektronische Musik, am Sonntag Gesang im Vordergrund – Vocal Jazz mit persischem Einschlag. Unter anderem wird dann die Band Barad) auftreten, die vor fünfzehn Jahre Pioniere darin waren, Gitarrenmusik, persische Elemente und Jazz miteinander zu verknüpfen, sich zwischenzeitlich aufgelöst hatte und sich für diesen einen Auftritt wieder zusammentut. Und wem das noch nicht reicht, der kann dazwischen eine Ausstellung mit Videokunst und -installationen iranischer und iranisch-stämmiger Künstler besuchen.

Wohin sich die Szene im Iran entwickeln wird, auch angesichts der aktuellen politischen Lage, ist unklar. Auch dieses Festival kann darauf wahrscheinlich eher keine Antworten geben. Aber es kann ein Schlaglicht auf diese junge, spannende und vielschichtige Szene richten, die uns so viel mehr über das Land verrät, als verkürzte Schlagzeilen und Nachrichtenfetzen es je könnten.

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