Leseliste: 20. September 2015 – andere Medien, andere ThemenDatenschutz vs. Umsonst-Kultur, Deutschpop, Drehtür-Politiker und Beziehungsgrab IKEA

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Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.

##Der gläserne Gamer
Für Software zu bezahlen, war schon immer problematisch für viele Menschen. Kostet ja soviel! Mit dem Siegeszug der Smartphones hat sich dieser Trend noch verstärkt: Die Preise für Apps sind im freien Fall, wer mehr als fünf Euro für sein Programm verlangt, muss wirklich etwas ganz Besonderes zu bieten haben. Auffällig ist das nicht nur bei Software, die man bereits und nur auf der Handy-Plattform nutzt, sondern vor allem bei Spielen. Auf Konsolen kosten die in der Regel richtig viel Geld, auf dem Telefon wenig, beziehungsweise meistens gar nichts, zumindest auf den ersten Blick. Mit „In-App Purchases" verdienen die Entwickler Geld, also mit Erweiterungen, speziellen Features und Erweiterungen, die man nach dem Umsonst-Download dazu kaufen kann. Ein Spiele-Entwickler, der seit Jahren an solchen Produkten arbeitet, berichtet nun, wie Spiele-Hersteller diese Zukäufe entwickeln, oftmals personalisiert auf bestimmte Nutzer oder -gruppen. Denn die Software-Häuser haben die Daten. Unfassbar viele Daten. Umsonst-Spiele sind nichts anderes als Einkaufskörbe für User-Daten. Diesen geschenkten Gäulen sollte man besser nicht ins Maul schauen. Lieber die Spiele spielen, die etwas mehr Geld kosten und dafür keine Standleitung in die Werbewirtschaft haben.

„Mit beliebten Umsonst-Spielen kann man bis zu 300 Gigabyte an User-Daten sammeln. Pro Tag.“

We Own You

Blumenfeld

Foto: Blumenfeld via Shutterstock

##Reaktionär qua Sprache
Vor gut zehn Jahren reagierten Tocotronic mal äußerst übel gelaunt auf die Tatsache, dass sie aus irgendeinem Labelmanagement-Fehler auf einem Sampler namens „Junge Helden“ gelandet waren. Das ging natürlich gar nicht. Deutschtümelei ist keine Disziplin der Hamburger Schule, davon grenzt man sich ab. Jetzt kommt Pop-Theoretiker Georg Seeßlen mit einer Schrift daher, die auch die Tocos zurück ins Dilemma holt: Wer deutsch Pop singt, so seine These, kann nur reaktiv sein. Der deutschen Sprache ist das Regressive immanent - und das steht quer zum ursprünglich subversiv gedachten Pop. Der deutsche Pop-Mainstream? Nationalisiert. Der deutsche Beitrag zur Popgeschichte? Überbewertet. Nur, wer sich in Verfremdungseffekte rettet wie Fassbinder oder Lindenberg, kommt irgendwie noch aus der Nummer raus. Aber wäre der ostentative Akzent der migrantischen Interpreten deutschen Schlagers dann nicht auch eine Fluchtlinie aus der Blut- und Boden-Hegemonie? An dem Text kann man sich abarbeiten.

Das Deutschsein ist nicht mehr das Problem von Deutschpop, sondern seine Botschaft.

Yes. We. Can.

##Legalisierter Machtmissbrauch
Die Lobby als Vorhalle zur Korruption: Wer in Brüssel einen Posten als Kommissar ergattert hat, braucht sich danach keine Jobsorgen zu machen. Klar, das ist anderswo - man denke an Pofalla, Wissmann, Schröder, Müller, Clement, Rösler und viele mehr - nicht anders. In Brüssel aber ist es systemisch, der Wechsel von der Politik in die politiknahe Beratung wird hin- und hervollzogen, da ist das Bild der Drehtür in die Hotellobby („oh, schon wieder drin!") sehr passend. Die profilierte Ex-Kommissarin für Bildung, später Medien und zuletzt Justiz, Viviane Reding, eine Art Anti-Oettinger, macht da keine Ausnahme: Sie ist jetzt sowohl Aufsichtsratsmitglied der Bergbaugesellschaft Nyrstar, als auch der Bertelsmann Stiftung und zudem im Vorstand der Agfa-Gevaert-Gruppe tätig. Warum sollte sie auch - es scheint gar keinen anderen Ausgang zu geben als durch die Drehtür.

Wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments das Verhalten der Drehtürpolitiker verurteilen, erinnert das manchmal an das Sprichwort „Wasser predigen und Wein trinken“.

Brüsseler Drehtür

Kaffeetische Leseliste September 2015

Links Lack, rechts Klingsbo.

##Trennungsgrund Hemnes
Ein IKEA-Einkauf ist Sprengstoff für Beziehungen. Schnell artet die kleine Meinungsverschiedenheit zur Grundsatzdiskussion aus: Das Gerede über die Höhe der Arbeitsplatte wird zum Streit über die Hausarbeit, manchmal reicht der bloße Gang durch die Kinderzimmerabteilung für eine waschechte Krise in der Partnerschaft, inkl. Heulkrampf im Möbelhaus. Corinne Purtill vom Onlinemagazin Quartz hat sich die potenziellen Krisenherde im Laufe eines IKEA-Einkaufs von mehreren Psychologen, Verhaltensexperten und Familientherapeuten erklären lassen: vom Einkauf über das Auspacken bis zum Aufbau der Möbel. Sehr interessant, sehr witzig, inkl. Tipps.

„If I like the Lack and you like the Klingsbo, do we want the same kind of home? Do we want the same kind of life? Who are you, really?“

The psychology behind why couples always fight when assembling Ikea furniture

Wochenend-Walkman Spezial: »Independent Label Market«Die Labels City Slang und Erased Tapes stellen ihre Lieblingsalben vor

Heavy Metal, Burritos, MitbewohnerDas Pop-House-Duo Bob Moses im Interview